Edzard Schaper, Aphorismen

Bei der Ausstellung zu Edzard Schapers 100. Geburtstag im Jahr 2008 wurden diese Aphorismen aus seinem Werk gesammelt und als Denkanstöße in die Ausstellung integriert.

 

Man ist sich selber fremd in der Fremde


Der Mensch, wo er unterzugehen droht,
ist nicht mehr vom Menschen allein wieder aufzurichten


Das Unmögliche in einem persönlichen Wagnis zu wagen – 
das ist das ganze Geheimnis


Die tragische Unvereinbarkeit zwischen der Macht des Staates
und der Liebe Christi anzunehmen als persönliches Schicksal – 
das ist die Sache des Christen in der Welt


nicht die Polemik mit der Zeit ist der Ausgangspunkt,
sondern nur die Sorge, das Mit-Leiden und das Mit-Lieben


Eins der folgenschwersten Ereignisse unserer Zeit
ist die Flucht aus der Verantwortung des Individuums


Immer das gleiche Geheimnis:
wie es im geistigen Sinne noch zu leben möglich ist


das Wagnis einer geistigen Obdachlosigkeit auf sich nehmen?


dass ihn in Zweifeln und Verzweiflung nichts mehr retten konnte 
als ein Erbarmen über jedes Mass


Gott nicht verlassen zwischen fallenden Mauern,
die sterbende Kirche nicht verraten durch die Flucht


als ich dachte und mich laut fragte:
Wie lange hast du nicht mehr an Gott gedacht?
Da erst war die Macht des Nichts zu Ende


Gott hatte ihn durch das Bewusstsein seiner selbst
und seine Ohnmacht gerettet


Wenn der Geist Christi nicht so stark wäre,
dass er von Zeit zu Zeit seine Kirche abwerfen könnte
und in göttlicher Nacktheit sich nur in den Herzen Herberge suchte ...


die grösste Rache mancher Personen und Ereignisse besteht darin,
dass sie eine Art Gespenster werden


Bete um Kraft, Werke der Liebe zu tun.
Dann ruhst Du am Herzen aller Dinge


Dieses entsetzliche Sich-selber-keinen-Glauben-mehr-schenken-Können
ist nur die bitterste Logik der Schwäche im Glauben an Gott


warum soll nicht auch die Kirche sterben,
ja, warum eigentlich nicht?


Könnten wir glauben, dass es ein Martyrium der Verleugnung gibt,
wie es zu allen Zeiten ein Martyrium des Bekennens gegeben hat –
wir wären gerettet


Die in der Verdammnis sind, wissen sehr gut von der Gnade


vor dem Kruzifix ...: 
Der hängt ja nackt da ... so, wie du warst, und alle sehen ihn!


Gedacht und geredet worden ist genug ...


Vielleicht reicht die Menschlichkeit 
eben doch nicht zur Vervollkommnung der Menschheit aus


Sterben kann jeder Esel.
Aber mit Gott und seinem Gewissen in Frieden leben ...


die Grenze – kein Hindernis


Unsere Schulden sind wohl auch irgendwo unsere Guthaben –
wenn auch nur in der Hoffnung, mein Lieber!


Ach du Armer, du bist geritten, du bist gelaufen,
und hast ihn doch nicht eher gesehen als am Kreuz


Alle Gedanken des Christentums sind sozusagen komisch,
weil man sie auf den Tod zu denken muss, und nicht aufs Leben.
Nur aufs ewige Leben, wenn Sie so wollen


Ja, spassig sich zu denken, aber:
Selig mit nichts wäre für sie wahrscheinlich die Attraktion!


Gott untertan sein und ihm dennoch widerstehen


... dass auch die Hand versengt werden muss, 
um das Licht aus der Versuchung zu bergen


in aller Gemeinschaft doch einsam sein und frei für Gottes Berufung


Die Menschen sind wunderlich.
Wenn Gott ihnen kein Zeichen gibt, dass er zu ihnen kommt,
dann laufen sie trotzig wie die Kinder zum Teufel 
und sehen sich doch fortwährend nach Ihm um,
immerzu hoffend, Er käme ihnen nach...


... dass wir füreinander verloren werden und füreinander gefunden


Auferstehen, ja, aber wozu,
wenn nicht, um die zu lieben, die einen töten, jeden Tag!


Was gilt das Beten und Betrachten,
solange uns Gott unsern Willen lässt!


Kann man mit dem Frommsein Hurerei treiben?


... so wie wir alle das am tiefsten lieben,

was uns an unwiederbringlich Verlorenes gemahnt


Glaub dir nur, wo du dich verleugnest!

Nur dort bist du im Recht!


Den Menschen gab es nicht, 
dem er das gestehen und den er weiter lieben durfte.


es gibt wohl Schuld auf Erden, für die es in den Grenzen dieser Welt
und dieses Lebens keine befreiende Sühne mehr gibt – 

keine Sühne, die unser irdisches Glück schont.
Ja, so gibt es schon hier auf Erden Verdammnis.


Zwischen dem Guten, das man verraten und verlassen,
und dem Bösen, dem man erschrocken den Rücken gekehrt hat,
liegt das graue, hoffnungslose Land der Verzweiflung


... eingefordert in einen anderen Menschen, der er gar nicht kannte
und der ihm zugleich über Sinn und Verstand ging


Die Gefangenschaft im Bösen kann einem ganz ungeahnt zur Freiheit verhelfen


Kain ist ja nur damit zu entsühnen, dass wir uns für Abel opfern


von dem wird man leben müssen, den man in einer tragischen Verschuldung,
der das Leben nicht ausweichen kann, getötet hat – 
und den man auf irgendeine Art und Weise wieder zum Leben erwecken muss?


Hier ist Christus wie gestern geboren,
und Judas hängt jeden Tag unter jedem Baum, 
Herodes herrscht fürchterlich und vergiesst das Blut der unschuldigen Kinder Gottes,
aber der vierte König ist auch immer noch unterwegs ...


Gott lebt, und der vierte König lebt ...


durch solche Grenzen und das Kategorienschneidern ist das meiste Unglück entstanden.
Wenn die Wahrheit einmal so offenbar liegt ...


Viele Theologen gibt es, wenig Zeugen ...


Die heute in Russland nicht glauben, glauben sogar ihren Unglauben


Ja, der Feind geht um hinter den eigenen Linien –
im gestohlenen Kleide der Frommheit und in der angemassten Uniform

des Soldaten


Nur als Gottes Knechte haben wir keine Fesseln mehr.
Die hat er schon vor uns und für uns getragen


Der geborstene Himmel barst unter der Offenbarung – und die blendete ihn.
Er schlug den Blick nieder, er verleugnete seine Ahnung,
er floh noch davor, er ging Umwege zu seiner Richtstätte


… eine Ahnung, dass er die letzte Gerichtstätte noch nicht kannte,
dass es viel vorläufige gäbe und nur eine letzte, 
und dass die ihm verborgen wäre und bliebe, bis er vor ihn stände.


In der menschlichen Traurigkeit einer jeden Zelle wacht auch noch
die göttliche Traurigkeit.
Und neben der Verzweiflung des Gefangenen wacht die göttliche Hoffnung


Auch das Gute und das Böse standen unter der gleichen Majestät.
Anbetend oder abtrünnig, aber nie ihrer Untertänigkeit enthoben


Ich glaube, so muss es immer einen geben, der den Plan und die Unruhe bringt,
damit alle andern leben und in Frieden schaffen können


das Leben – ein Buch, 
geschrieben in einer Sprache, die sich nicht übersetzen lässt


Man liebt es, uns alle, wie im Himmel, auf Goldgrund zu sehen.
Aber jetzt wird, nach dem Leben, in Staubgrau und in Blut gemalt


Ja, der Tod ist heilig, 
auch wenn die Lebendigen bisweilen ein bisschen Firlefanz darum machen
Das gilt dem Stand, dem Rang und dergleichen.
Er selber? Nein, heilig, heilig ...