Der grosse, offenbare Tag

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Und so erlebten wir mit zitternden Knien, auf unsere Stangen gestützt, mit leeren Augen und einem Kopf, in dem jeder Muskel uns schmerzte, alles, was jetzt noch geschah. Ich sage Ihnen: hätte dieses Ungeheuer von einer Eisscholle seinen Weg geändert, hätte es sich höher den Hang hinan gewälzt - wir hätten uns nicht von der Stelle zu rühren vermocht, seine Zähne hätten uns mit zersägt. Aber es kam nicht. Es kroch wie eine sagenhafte Larve langsam auf die Kirche zu: ächzend von seiner eigenen Schwere, die immer neue Kraft aus dem Schwall bezog; es brach [99] nicht entzwei an seiner eigenen Größe, nein, es bog sich, und es gab dabei einen Ton von sich wie eine ungeheure Saite, aber es war zäh wie federnder Stahl. Und kein Laut bei uns allen, die zusehen mussten, nur ein Atmen von erstickten Schreien - bis die schartige Kante dieser Scholle anfing, an dem Fundament unserer Kirche zu sägen. Da erst brach ein Stöhnen aus unserer Brust. Doch das Mühelose dieser Zerstörung war für unsere Augen zuviel. Die Frauen pressten sich die Hände vors Gesicht, denn unsere Kirche wankte, unsere Feste wankte! Mit einem vielstimmigen Klang, der so schrill war wie ein Schrei, begannen die Glocken zu tönen, denn der kleine Turm stand mit einem Male schräg. Gleich darauf vernahmen wir ein Splittern und Krachen, von dem wir nicht begriffen, wie es zustande gekommen war, wir Narren! Hätten wir doch sehen müssen, mit eigenen Augen, daß diese Scholle sich unter unserer Kirche hindurch schob: zur einen Seite hinein - ein Klageschrei aus allen Glocken, deren Klöppel gegen eine Wand geschleudert wurden! - zur anderen Seite hinaus - ein zweiter Schrei nach leise bebendem Wimmern, als die Klöppel gegen die andere Seite geschleudert wurden - und dann, barmherziger Gott! wir sinken in die Knie; denn hinter dem gurgelnden Wasser, das zwischen den verbliebenen Grundbalken schäumt, aufrecht, mit scherbendem Glockenklang im Gepolter der Schollen, treibt unsere Kirche stromabwärts davon!

"Herr, erbarme dich unser! Herr, erbarme dich unser! Du kennst, was für ein Gemächte wir sind, du gedenkst daran, daß wir Staub sind..."

Gott im Himmel! schreit aber mit einem Male eine von unseren Frauen, im Turm...! und weint laut auf.

Und was sehen wir? Aus der Kirche, die auf dem Strom dahintreibt, ist mit einem Male ein Mensch auf dem Turm erschienen. Er läuft von einer der Pforten zur anderen, beugt sich hinaus, blickt hinunter - wir denken, er will springen, aber nein, das tut er nicht, er steht da, er eilt weiter zur nächsten Pforte, er rennt umher, wie ein Vogel im Käfig flattert.

Das ist Pitirim! ruft jemand von den Unsrigen. Und dann ist er nicht mehr zu sehen. Ist es der Dunst, sind es die Tränen, die in unseren Augen stehen? Die Kirche entschwindet...

Wir aber, dort bei den Wassern der Schmelze auf den Knien liegend, wie die Letzten vor der Drangsal des himmlischen [100] Zorns, wir hören ein Brausen zwischen Himmel und Erde, die roten Feuerzungen der Sonne spielen durch den Dunst, und wir beten, daß unsere ohnmächtigen Lippen kaum noch die Worte recht zufassen vermögen: "Ich habe den Herrn allezeit vorgesetzt vor mein Angesicht; denn er ist an meiner Rechten, auf daß ich nicht bewegt werde. Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge freuet sich; denn auch mein Fleisch wird ruhen in der Hoffnung.

Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen, auch nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe. Du hast mir kundgetan die Wege des Lebens; du wirst mich erfüllen mit Freuden vor deinem Angesicht!"

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