Der grosse, offenbare Tag

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[88]Er machte eine lange Pause und lehnte sich zurück.

"Wie Wachs zerschmilzt vor dem Angesicht des Feuers", sprach er leise aus dem Troparion weiter. Ja, meinte er dann, so sagte ich wohl. Ich betete das Troparion zu Ende. Die Meinen standen wie aus Eisen gegossen da, die Frevler lärmten draußen vor der Pforte. Niemand hatte den Mut, diesem teuflischen Gebilde aus unschuldigem Schnee, das da ins Allerheiligste grinste, einen Fußtritt zu geben, wie er einem Götzen der Gottlosigkeit gebührte. Nein, keiner rührte sich. Und - ich sehe heute noch, wie die Tür sich einen Spalt breit öffnet und die Untäter hereinlugen, die sich der Wirkung ihrer Schandtat vergewissern wollten - ich trat vor den Götzen und sprach: Nicht nur Wachs zerschmilzt vor dem Angesicht des Feuers. Auch der Schnee schmilzt hin unter der Sonne des Allmächtigen. Und wer ihn zu Werken des Frevels geballt und ihm Gestalt gegeben hat nach der Fratze des Bösen, dessen Hand wird verdorren, dessen entartetes Gesicht wird der Herr austilgen, auf daß dem Satan kein Denkmal bleibe, sondern der Mensch allein sei nach Gottes Bilde. "Die Gerechten aber müssen sich freuen..." Dieser Schnee war so rein, wie er vom Himmel gefallen ist, sagte ich zu den Meinen. Menschen haben ihn so beschmutzt. Habt Mitleid mit dem armen Schnee, sagte ich, und so wie ihr sanftmütig mit euern Feinden sein sollt, so nehmt auch keinen Anstoß an ihm da.

Und so blieb der Götze stehen. Und was teuflisch an ihm war, mag sich gequält haben, fortwährend auf den Opfertisch des Herrn zu sehen und des Herrn Auferstehung und Himmelfahrt verkündigt zu hören, an diesem "Tag, den der Herr gemacht hat, und an dem wir jubeln und fröhlich sein sollen"!

Nun, das war nicht die erste Schandtat, die jener Pitirim vom Sägewerk sich ausgedacht und mit seinen Kameraden ins Werk gesetzt hatte, aber es war die frechste. Wir hatten an Fest - und Feiertagen schon Pflöcke aus frischem Holz in die Schlüssellöcher getrieben gefunden, wenn die Kirche geöffnet werden sollte, wir hatten schon Fenster ohne Scheiben gehabt. Unter einer losen, federnden Planke hatte man einmal eine alte Ziehharmonika angebracht, die jedes Mal ein wildes Gedudel von sich gab, wenn jemand auf diese Stelle trat und damit den Balg zusammendrückte, und ein zweites Geheul, wenn die Planke sich wieder hob - o ja, wir hatten mehr als zwanzigjährige Erfahrungen. Bis hierzu aber hatte noch keiner von diesen jungen Gottesleugnern [89] gewagt, während der göttlichen Liturgie in die Kirche zu kommen.

Die Andacht am Vorabend der Himmelfahrt war zu Ende. Die Meinen gehen hinaus, draußen werden sie von den Schmähern erwartet. Ein Weilchen später gehe ich heim, und entgegen tritt mir eben jener Pitirim als Wortführer seiner Genossen.

Höre, Bürger Evangelium, beginnt er, aber was er sagen will, geht dann in dem Gelächter unter, das die Seinen über diesen Witz anstimmen.

Du hast recht, sage ich, ich bin ein Bürger des Neuen Bundes, ihr braucht nicht zu lachen.

Du wirst dein Geschäft schließen, Bürger, beharrt Pitirim, oder wir zeigen dich beim Kreissowjet an.

Das könnt ihr tun, sage ich, aber das wird euch nichts nützen. Nun hatte ich die Drohung, mich anzuzeigen, nicht zum ersten Male gehört, sie jagte mir auch diesmal keinen Schrecken ein.

Wir, sage ich, sind als "Gruppe von Gläubigen" registriert, der Kreissowjet hat uns die Kirche zur Nutzung übergeben, wir haben die Vorschriften des Gesetzes beachtet und werden sie weiter beachten, du bemühst dich unnütz, Genosse Pitirim. Aber, sagt er, die Kirche kann geschlossen werden, wenn ein Teil der Bürgerschaft Anstoß an ihren Umtrieben nimmt und gestört wird!

Du irrst, sage ich, ich kenne das Dekret des Rates der Volkskommissare besser. Sie muss öffentlich Ärgernis erregen, aber das tut sie nicht, und ihr seid keine Öffentlichkeit. Wir haben die Bestimmungen über das Veranstalten von Prozessionen genau eingehalten, wie du weißt. Und ich bin ein Werktätiger wie du und ihr alle.

Aber, beharrt er, hier ist gegen die Bestimmung verstoßen worden, daß bei Jugendlichen unter achtzehn Jahren keine religiöse Propaganda getrieben werden darf. Und dabei sind Jugendliche in der Kirche gewesen! Das werden wir anzeigen, und das wird dein Geschäft schließen.

Das letzte stimmte - und stimmte doch nicht. Es waren tatsächlich kurz vor Ostern ein paar halbwüchsige Kinder von ihren frommen Eltern zur Kirche geschickt worden und hatten vorzeitig getriebene Weiden und Blumen zur Schmückung des Sarges Christi bringen sollen; aber sie hatten nicht am Gottesdienst teilgenommen, waren nicht während des Gottesdienstes da ge-[]wesen, hatten nur einen Botengang für ihre Eltern gemacht. Und das erkläre ich Pitirim. Er grinst. Das genügt vor Zeugen, meint er und sieht sich siegesgewiss nach seinen Kameraden um.

Mensch, sage ich da und vergesse mich vielleicht zum ersten Male in einem Kampf mit ihm, der schon an die drei Jahre gewährt hatte, und trete auf ihn zu und will ihn schon beim Rock greifen, als ich's gerade noch bleiben lassen kann, wenn du schon keine Obrigkeit im Himmel kennst, so nimm doch Lehre an von deinen Oberen hier auf Erden. Und hast du selber keinen Glauben, dann halte dich an die Bekämpfung des Glaubens, und nicht der Gläubigen, wie Lenin gelehrt hat. Und versuch nicht, mit Schneemännern zu überzeugen, denn die schmelzen sehr schnell. Propagiere für deinen wissenschaftlichen Materialismus, wie Genosse Stalin es befohlen hat. Aber als Gläubiger rate ich dir: gib beides auf! Es hat größere Feinde Christi gegeben als dich, und am Ende sind sie doch immer für ihn gestorben. Der Himmel meint es bisweilen so scheinbar verkehrt. - Und damit ging ich, ohne seine Antwort abzuwarten.

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