Der grosse, offenbare Tag

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JA, SIE MÖGEN sich wundern und fragen, hub er nach einer langen Pause wieder an, warum ich Sie jenem Pitirim verglichen habe, von dem Sie doch nach allem, was ich erzählt habe, meinen könnten, er wäre nur ein ganz roher, ungeschlachter Raufbold und Friedenstörer gewesen. Nun, das war er gar nicht. Diese Rohheit war sicher nur sein letzter, dreister Versuch, des Allmächtigen Liebe auf sich zu lenken. Vielleicht ist das bei vielen der Gottlosen so. Die Menschen sind wunderlich. Wenn Gott ihnen kein Zeichen gibt, daß er zu ihnen kommt, dann laufen sie trotzig wie die Kinder zum Teufel und sehen sich doch fortwährend nach Ihm um, immerzu hoffend, Er käme ihnen nach - und ohne zu wissen, daß sie ja auch auf diesem verkehrten Wege häufig nur auf einem Umweg zu Ihm sind. Man muss Erbarmen mit ihnen haben und Geduld, wie Er mit uns allen. Nun ja... Ich habe diesen Pitirim schon gekannt, als er ein halbwüchsiger Bursche war und mit seiner Mutter, der Witwe eines Verbannten, aus der Gegend von Petrosawodsk zu uns kam. Er war ein nachdenklicher, lesehungriger Knabe; man merkte ihm an, daß er nicht vom Lande stammte, sein Vater soll ein Beamter oder so etwas Ähnliches gewesen sein. Ich war der einzige im Dorf, der noch ein paar Bücher und alte Zeitschriften besaß, die habe ich ihm ausgeliehen. Später bekamen wir die Kinderkrippe des Ortssowjets beim Kolchos, und die Vorsteherin dort bekam auch ein paar Handbücher und Zeitschriften zugeschickt. Da las er bei ihr. Er war damals ein Bursche, der gerne fragte und disputierte und vor allem gern die Schulbeispiele der Logik an der Heiligen Schrift abhandeln wollte. Ich habe mich oft im Stillen gewundert, wie gut er die Heilige Schrift kannte und alles, was sie an einer Stelle sagt, mit einer anderen verglich; mir kam es zuletzt vor, als lebte er förmlich in einem Zimmer voller Lam-[91]pen und säße doch im Dunkeln, denn keine Lampe gab Licht. Vor lauter Lesen und spitzfindigen Versuchen, das Wort Gottes bei einer Dummheit zu ertappen, vergaß er, um die Offenbarung der Herrlichkeit zu beten. Die unseligen Verhältnisse, daß ich mich schwer gegen das Gesetz vergangen hätte, wenn ich auch nur einen Versuch machte, mit ihm zu sprechen - das wäre die streng geahndete Propaganda bei Jugendlichen gewesen -, brachten es mit sich, daß ich nur durch seine Mutter zu ihm sprechen konnte, die damals noch lebte und tief unglücklich über ihren Sohn war. Das Gefährliche lag darin, daß er unter den einfältigen Bauernschädeln seiner Arbeitskameraden unvergleichlich klüger als alle war, als der Klügere Achtung und Einfluss genoss und auch dementsprechend hoffärtig wurde. Man betraute ihn mit allem, was Zelle, Block, Ausschuss, Stoßbrigade und Arbeitsschlacht hieß, und eher schwächlich in seiner Gesundheit, wie er es war, bei einem Beruf, der starke körperliche Kräfte forderte, musste er vor allem mit dem Kopf wettmachen, was ihm in den Muskeln fehlte.

Der rote Pitirim hieß er, nicht wegen seiner Treue zur Sache der Revolution, sondern seiner Rothaarigkeit wegen, die ihm zusammen mit seinem etwas spitzen Gesicht, der bleichen, teigigen Haut mit seltsamen rötlichen Adern und Tupfen im Gesicht immer etwas Fiebriges und Heftiges gab. Und, sehen Sie, keiner ist so klug, daß er sich nicht, wie seine Kameraden, wenigstens zeitweise das Denken abnehmen ließe. Damit rechnen die Gottlosen auch. Sie liefern ihren Mitgliedern die Lösung des Lebensrätsels bis auf eine Bruchstelle genau ausgerechnet und nennen es wissenschaftlichen Materialismus. Aber in der einen Stelle liegt immer weiter die große Unbekannte; nur nennen sie es genau, und das besticht. Wir Christen haben es nur unter den Theologen zu ähnlicher Leichtfertigkeit gebracht wie sie. Und ein Kniefall schon täte oftmals der Herrlichkeit Christi mehr Ehre an als alle ihre Auslegungen, ach ja... Was würde geschehen, kann man sich fragen, wenn Gott sich nicht immer wieder offenbarte und die Ordnung des Teufels heilsam verwirrte?

Die sieben Sonnen, zwischen denen er gen Himmel fuhr, loderten bis um die sechste Stunde in einem geheimnisvollen Kreis, und wir fragten uns in unseren Herzen: "Herr, willst du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel?" und antworteten uns selber: "Es gebührt uns nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche [93] der Vater seiner Macht vorbehalten hat." Uns war nur auferlegt, zu bleiben und zu warten und die Kraft des Heiligen Geistes zu empfangen und alsdann seine Zeugen zu werden zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde - einmütig beieinander mit Beten und Flehen, wie geschrieben steht. Und glauben Sie mir, hatte jemals einen von uns der Ödmarksschrecken befallen, wenn er an einem Augusttag halb von Sinnen vor Angst geraten konnte in der Unendlichkeit der Stille, über der die Sonne für ihn zu tanzen begann, dann war das doch nichts gegen den Schrecken, der uns jetzt befiel, als um die neunte Stunde das Licht der sieben Sonnen abgelöst wurde von einer seltsamen Dunkelheit, in welcher der Himmel sich verschleierte, der Schnee grau dahin zu siechen schien und die Wälder zu seufzen begannen, ohne daß sich ein Wind geregt hatte. Um die dritte Nachtstunde bewog mich eine unerklärliche Unruhe, zur Kirche hinüberzugehen. Aber dort war niemand, nur die Finsternis noch erschreckender dort, und das Horn des Mondes, das über den Wäldern aufstieg, floss nach unten geneigt aus und war von brandiger Röte. Um diese Zeit aber hörte ich auch schon, wie es in dem finsteren Mantel der Nacht knisterte und krachte. Die Nähte des Eises auf dem Fluss waren bis zum Bersten gespannt.

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