Der grosse, offenbare Tag

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[102]Friede mit Euch, Vater Tichon! antworteten sie mir. Während ich die Kleidungsstücke zur Hand nahm, begann ich mir meinen Plan zu machen - ach nein! da überkam mich ein Gesicht! Ich sah mich selber in einem Boot mit flachem Boden, wie wir's zum Fischen auf den Seen benützen, zwischen Eisschollen draußen auf dem offenen See, das Boot bald aufs Eis ziehend und vor mir her schiebend, wie einen Wasserschlitten, bald rudernd, wo die Waken sich öffneten und das bleigraue Wasser schweren Dunst ausatmete. Und mit einem Male, sehe ich, wächst unsere Kirche, schief geneigt, doch immer noch stehend, riesiger als die Isaakskathedrale vor mir auf, stumm in den Schwaden, ohne Glockenklang. Pitirim aber steht an der Pforte, wie die Büßer und Bettler, und ich bin gekommen, um ihn aus Gottes Gewahrsam abzuholen, ins Leben auf Erden zu retten.

Nun, so war es in Wirklichkeit nicht. Nur mein Entschluss, ihn zu suchen, blieb immer der gleiche. Vor den besorgten Mahnungen der Meinen, diese Gefahr nicht auf mich zu nehmen, die Gott als tollkühnen Frevel ansehen möchte; vor den Tränen meines Weibes, das sich vorzeitig zur Witwe gemacht sah, während in Wirklichkeit ich es dann war, der sie überlebte; vor den finsteren, misstrauischen Blicken der Kameraden jenes Pitirim, die unten am Strande hausten und Feuer unterhielten und Lärm machten - sie sagten, um ihm die Richtung nach Hause anzuzeigen, ich glaube aber, um sich Mut zu machen, so wie Kinder im Dunkeln zu singen anfangen. Wie war es in Wirklichkeit? Schwerer, viel härter, viel wirklicher, ja, Gott sei gepriesen: wirklich!

Die große Prüfung war für mich nur zu Anfang, daß der Nebel sich nicht heben wollte. Der ganze zweite Feiertag lag wie unter einem grauen Leichentuch. Hätte ich meinen Entschluss gleich in die Tat umsetzen können - nichts wäre leichter gewesen, so merkwürdig das auch klingt. So aber hatte ich Zeit zum Überlegen, Zeit zum Ängsten, Zeit zum Zweifeln. Ich hatte Zeit, den Fluss zu betrachten, der immer noch gewaltig angeschwollen war, doch nicht mehr ganz so hoch wie in jener Nacht. Ich hatte Zeit, meine Gefährten und Feinde zu betrachten, gegen die ich schon eine Nacht lang um die Kirche gekämpft: die Eisschollen, die mich draußen auf dem See zahllos umgeben würden. Ich hatte Zeit, unten am Strande zu stehen und in die milchigen Schwaden zu starren, unter denen es knisterte und knarrte und [103] gluckste und schmatzte, wie von einem lüsternen, sich räkelnden Untier - und mich zu fragen, ob in dieser ungeheuerlichen Öde, deren ganze Maßlosigkeit der Dunst mir noch gnädig verbarg, irgendwo auf einer der treibenden Schollen unsere Kirche stehen und drinnen ein Mensch sein mochte, ein verlorener, dem Tode geweihter, wenn Gott ihm nicht seinen Engel schickte. Ich hatte Zeit, an meiner Kraft zu zweifeln, an der Vernunft in meinem Vorhaben, an der Wahrscheinlichkeit, daß er noch lebte - barmherziger Gott! es war eine lange, schreckliche Zeit. Doch als zweifelte, zagte, zauderte ich gar nicht, betrieb ich nebenher meine Zurüstungen für die Fahrt.

Als die Burschen am Strande das sahen, wurden ihre Mienen noch finsterer.

Wann, fragte ich sie, hat man unsere Kirche das letzte Mal läuten hören?

Das letzte Mal, sagten sie, hörten wir sie am zweiten Feiertag nachmittags. Aber da war es, als schrien alle Glocken zugleich.

Glaubt ihr, daß er selber sie geläutet hat?

Nein, so hatte es nicht geklungen. Eher so, als hätte sie jemand hingeworfen, alle zugleich.

Sie konnten auch nicht ungefähr die Richtung angeben, aus der die Glocken geklungen hatten. Von draußen, vom See her war der Schall gekommen, von dort...! und die Hand, die hinaus zeigte, nahm sich so armselig und klein aus, wie der Mensch unter dem Himmel ist. Aber was mir eine Prüfung zu sein schien, war nichts als Gottes Güte. Hätte ich spornstreichs davonfahren können, wäre ich gewiss nicht wieder zurückgekommen. So aber vermochte ich die Fahrt besser vorzubereiten. Ich sah gründlicher, wie gefährlich und anstrengend sie sein würde, und richtete mich danach ein. Und wunderbar war auch, wie alle mich warnten und mich davon abzuhalten versuchten - und gleichzeitig ungefragt und ungebeten am Strande zusammentrugen, was mir nützlich sein könnte. Sie rüsteten mich wie zum Seehundsfang aus, und das war mein Glück.

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