Der grosse, offenbare Tag

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WIR WACHTEN etliche Male in der Nacht auf und lagen auch meistens nur im Halbschlaf. Die Kälte und das beim Liegen viel vernehmlichere Gurgeln und Brausen des Wassers unter uns setzten uns hart zu. Einige Male riss es gewaltsam im Eis, und wir lagen wie auf einen lang verhallenden Donner gebettet. Als der Mor-[111]gen graute, waren wir flink auf den Beinen und stampften uns warm, bevor wir etwas aßen und tranken. Zum ersten Male geschah es, daß ich Makari Gottes Friede bot, und er errötete bis unter das Haar hinauf.

Sei im Frieden Gottes auch ohne Furcht, sagte ich später zu ihm. Er ist das einzige, worin man keine Angst mehr auf dieser Welt zu haben braucht!

Ich merke es, sagte er.

Woran merkst du das? fragte ich.

An Ihnen selber, Vater, erwiderte er. Sie waren der erste und der einzige, der ihn suchen wollte - Pitirim, meine ich.

Aber der zweite bist du gewesen. Ich habe schon recht, daß du die ganze Zeit ein halber Christ gewesen bist. Und was die Angst betrifft, mein Freund - ich hatte auch Angst. Barmherziger! ich hatte Angst, als ich am Strande stand und so recht sah, womit ich's aufnehmen wollte. Auch Christus hat einmal Angst gehabt, mein Lieber.

Wir waren fertig und brachen auf. Die Sonne stieg eben über den Saum des Horizontes, in dessen dunklerer Schattenlinie man sich einbilden konnte, noch den Wald zu erkennen. Aber wohin sollten wir? In dieser grenzenlosen Öde, in der uns nichts mehr als das verlassene Lager einen Anhaltspunkt bot, tauchte diese Frage zum ersten Male beunruhigend auf. Nach einigem Überlegen beschlossen wir, unsere gestrige Richtung beizubehalten, mit der Zeit aber mehr nach Westen und Südwesten zu gehen und endlich... Ja, es stand uns klar: mit diesem Bogen wollten wir wieder zurückkehren nach Hause. Hatten wir ihn heute bis Mittag nicht gefunden, dann traten wir den Heimweg an.

Eine halbe Stunde später hielt Makari zum ersten Male an und bestieg die Ruderbank. Stand und reckte sich und spähte - ich sah es mit der Zeit seiner Haltung an, daß er nichts fand. Schweigend kletterte er aufs Eis zurück.

Nichts, sagte er nach einer Weile. Dieses einzige Wort tropfte nach. Und dann blieb es still. Das Eis wurde schlechter. Viele kleine Schollen nebeneinander, wie Fünfrubel-Stücke aus alter Zeit und kaum so groß, daß sie einen sicher trugen, aber auch kein offenes Wasser zum Rudern. Dazwischen, wie ein Feld zwischen kleinen, zerstückelten Gärten, wieder einmal eine große Scholle, auf der wir sicher ausschreiten konnten. Und dann [112] mit einem Mal ein breiter Riss, der sich meilenweit hinzuziehen schien. Eine seltsame Grenze. Begann von hier an ein neues Reich? Es glich dem alten ebenso sehr, wie eine von den kleinen Schollen der anderen glich. Vielleicht wurde es hier ein wenig kälter, das mochte sein.

Makari hielt inne und wischte sich mit seiner Mütze die feuchte Stirn. Uns beiden schmerzten die Augen, wir glaubten vom Schweiß, aber es war die Weiße des Eises, die uns brannte. Dann stieg er ins Boot und betrat die Bank. Im selben Augenblick tat auch ich das, ich weiß nicht, warum. Und da standen wir, keines einzigen Wortes fähig, nur mit einem so starken Gefühl von Schwindel, daß wir beinahe gleichzeitig polternd von unseren Bänken strauchelten - dicht bei den Resten unserer Kirche! Jetzt, wieder auf dem Eise stehend, sahen wir sie sogar. Wir hatten vorhin nur nicht aufgepasst. Ein wenig weiter zur Linken als unsere Marschrichtung gewesen war, lag ein wirrer Haufen Planken und Balken, halb auf dem Eise und halb aus dem Wasser einer Wake ragend...

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