Der grosse, offenbare Tag

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WIE GUT, daß ein Boot, wenn es am Strande liegt, so groß aussieht! Daß es das Selbstvertrauen des Menschen stärkt, der sich [105] damit aufs Wasser begeben will. Und daß ihm das Umkehren unmöglich erscheint, wenn er gewahr geworden ist, wie klein, wie verschwindend klein es in Wirklichkeit ist, nicht viel sicherer, als wollte er sich in seine eigene Hand setzen und darin wegschwimmen.

Dies war wohl unser beider erste Erfahrung, als wir abgestoßen waren. Makarius indessen war klug gewesen. Er hatte sich ein eigenes Boot gerüstet. Dieses, meinte er, sei besser, weil ein Boot immer vom Eise beschädigt und leck werden könne; auf dem Rückwege wollten wir ja zu dritt sein, und das sei viel für solch ein flaches Boot, zumal wenn etwas Wind aufkomme, und müssten wir auf dem Eis übernachten, dann habe jeder von uns in dem umgekippten Boot eine Hütte. Er hatte sich, wie ich, Kleider, Pelze und Decken und neben einem Essvorrat auch etwas Holz mitgenommen.

Bis zum Morgengrauen sprachen wir kaum ein Wort außer einem verlorenen: da! dort! so!, wenn wir uns auf den leichtesten und kürzesten Weg aufmerksam machten. Von Zeit zu Zeit blickten wir uns um, um uns nach dem Land unsere Richtung zu merken. Wir ruderten, wir stiegen auf das Eis, wo die Schollen sich drängten und keine handbreit Wasser mehr zu sehen war. Wir schoben unsere Boote wie Wasserschlitten vor uns her. Wir keuchten und schwitzten und hatten uns längst den Pelz ausgezogen und fröstelten gleich danach, wenn wir zu den Riemen greifen mussten. Wir hatten auch schon etliche Male offenkundig in Gefahr geschwebt. Gerne hätten wir uns mit einem Strick aneinander gesichert; aber das ging nicht, ohne daß der Strick uns unmöglich gemacht hätte, uns frei zu bewegen. So mussten wir uns, falls einmal der eine von uns stürzen oder ausgleiten und ins Wasser fallen sollte, darauf verlassen, daß der andere rasch zu Hilfe eilen konnte. Verräterische Schollen, die dünn und an den Kanten brüchig waren und entweder brachen oder in die Tiefe tauchten, wenn der Fuß sie betrat, gab es genug. Das Boot aber, das wir vor uns herschoben, sicherte den Weg, und etliche Male konnten wir uns noch im letzten Augenblick bäuchlings auf seinen Bord werfen, als der Fuß keinen Halt mehr fand. Die Klarheit aber, die bald nach Mitternacht angebrochen war, hielt an und verstärkte sich.

Sie offenbarte uns, als das Morgengrauen über den östlichen Himmel kroch, ein unbarmherziges Bild. Was half es uns, daß [106] wir uns lobten, wir hätten seit dein Aufbruch schon ein tüchtiges Stück Weg hinter uns gebracht - entmutigend war die Öde der grauen und schwärzlichen Schollen, zwischen denen kleine Bäume und verschrobenes Wurzelwerk wie abgenagte Skelette herausstaken, und so weit der Blick reichte, war nichts als nur eben dies zu sehen - und hinter uns die gleichsam schützende Umarmung der Wälder am Horizont. Vergebens stieg Makari von Zeit zu Zeit auf die Ruderbank seines Bootes und hielt Ausschau. Er sah auch von dem erhöhten Standort aus nicht mehr.

Je weiter wir in den See hinaus gelangten, um so größer und stärker wurden die Schollen. Oftmals gewahrten wir, daß sie in zwei oder gar drei Schichten übereinander lagen. Da hatten sich über die geborstene Eisdecke des Sees die Schollen geschoben, die mit den befreiten Flüssen gekommen waren, und dieser ganze schwere, graue, schwärzlich angelaufene Panzer über dem Leib des Sees hob und senkte sich und knisterte zuweilen leise wie von gewaltigen, ruhigen Atemzügen eines Schlummers in der völligen Stille.

Als die Sonne aufging, rasteten wir das erste Mal und stärkten uns mit einem Imbiss. Boot an Boot und darin Bank an Bank saßen wir und ratschlagten. Da der Wind an jenem Morgen von Südosten geweht hatte, mussten wir ihn weiter nördlich suchen, meinten wir beide, denn wo die Strömung ihre Kraft verloren, hatte sicher der Wind den Weg der Scholle beeinflusst. Und wenn die Glocken am zweiten Feiertag nachmittags noch in Hörweite geklungen hatten, konnte er ja doch jetzt schwerlich mehr als doppelt so weit hinausgelangt sein. Wenn er nun überhaupt in die Weite gelangt war, und nicht in die Tiefe... Und wenn er überhaupt noch am Leben war, denn wir hatten ja heute schon den vierten Tag, seitdem er...

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