• Cottier Maurice

Der Neoliberalismus gilt als eine der einflussreichsten ökonomischen und politischen Strömungen der jüngsten Vergangenheit. Dabei handelt sich es jedoch um einen kontrovers diskutierten Begriff mit vielschichtigen und teilweise widersprüchlichen Bedeutungen. Ist der Neoliberalismus blosse Theorie oder handelt es sich um eine politische Praxis, die letztlich auch uns selbst betriff? Sind die Neoliberalen tatsächlich gegen den Staat? Fördert und schützt der Neoliberalismus individuelle Grundrechte oder wirkt er autoritär und antidemokratisch? Gestützt auf die neueste Forschungsliteratur geht die Vorlesung diesen Fragen aus theoretischer und historischer Perspektive nach. Sie gibt einen Überblick über die aktuellen Forschungsansätze und zeichnet die Entwicklungen neoliberaler Netzwerke, Konzepte und Politik im 20. Jahrhundert nach.

Es handelt sich dabei um eine globale Geschichte, die ihren Ausgangspunkt im Roten Wien nach dem 1. Weltkrieg nimmt. Nach der Gründung der Mont Pèlerin Society 1947 entwickelten sich vor allem in Chicago, Freiburg im Breisgau und Genf neoliberale Intellektuellennetzwerke. Während diese in der unmittelbaren Nachkriegszeit bescheidenen Einfluss auf die nationale und internationale Politik ausübten, gewannen die neoliberale Schlagworte des freien Marktes und der wirtschaftlichen Deregulierung in den turbulenten 1970er-Jahren rasch an Zugkraft. Nach dem Militärputsch von 1973 beeinflussten die «Chicago Boys» das Regime von Augusto Pinochet bei der Neugestaltung der chilenischen Wirtschaft. Ab den 1980er-Jahren setzten (neo-)konservative Exponenten wie Margareth Thatcher oder Ronald Reagan auf Deregulierung und Steuersenkungen. Zeitgleich begannen internationale Organisationen wie die OECD, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds neoliberale Rezepte in der Entwicklungszusammenarbeit zu propagierten. Auch die europäische Integration wurde teilweise durch neoliberale Hoffnungen genährt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs setzten schliesslich auch sozialdemokratische Parteien und die postsowjetischen Staaten immer mehr auf Deregulierung von Industrie, und Dienstleistungen.

Inhaltlich überschneidet sich die Vorlesung teilweise mit dem Proseminar «Neoliberalismus in der Schweiz» (HS 21), geht aber in vielerlei Hinsicht über dieses hinaus. Teilnehmende des Proseminars sind herzlich eingeladen die Vorlesung zu besuchen und ihr Wissen zum Thema zu vertiefen.

Lektüretipp: Slobodian, Quinn (2019): Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus. Berlin: Suhrkamp.