Einheit - Spaltung - Entfremdung - Vielfalt der Traditionen? Eine Annäherung in Bildern
Das Bild von den Ostkirchen in den Köpfen sieht nicht selten so aus.
Die Idee, die zu diesem Bild führt, ist einfach: Die römisch-katholische Kirche steht im Zentrum und hat sich klar und ungebrochen als die wahre Kirche entwickelt. Von dieser Kirche erfolgten verschiedene Abspaltungen, die in drei Phasen unterteilt werden können:
- die Abspaltungen der altorientalischen Kirchen im Umkreis der Ökumenischen Konzilien;
- die Abspaltung der Orthodoxen Kirchen, datiert auf 1054 (das "Morgenländische Schisma");
- die Abspaltung der Protestanten in der Reformation (das "Abendländische Schisma"), aus der weitere Spaltungen hervorgegangen sind.
Es gibt nicht wenige orthodoxe Darstellungen, die von einem komplementären Bild ausgehen, für das ein Beispiel folgt: Die Orthodoxe Kirche mit Christus, der Gottesmutter Maria, den Aposteln und Heiligen an Bord ist die wahre Kirche und die Arche des Heils, die von den Häretikern und Schismatikern verlassen worden ist und angegriffen wird. Unter diesen Angreifern sind Lenin, der Papst, aber auch andere orthodoxe Kirchenoberhäupter.
Der emeritierte Professor für Ostkirchenkunde Ernst-Christoph Suttner hat eine geschichtlich und theologisch angemessenere Darstellung entwickelt:
In dieser Darstellung gehen die verschiedenen kirchlichen Traditionen nicht primär aus Abspaltungen hervor, sondern aus der Verkündigung des Wortes Gottes, das in verschiedenen Sprachen und Kulturen vielfältige Gestalten annimmt. Die ostkirchlichen Traditionen sind gleich ursprünglich zur westkirchlich-lateinischen. Das Bild zeigt auch sehr deutlich, dass die katholisch-protestantischen Debatten anderer Art sind: Sie beruhen auf einer "Familienstreitigkeit" innerhalb derselben lateinischen Tradition. Sie enthalten ein Ja und ein Nein in Bezug auf die Frage, was diese Tradition als apostolische Tradition wesentlich konstituiert. Hier ist daher nicht Anerkennung von berechtigter Vielfalt, sondern Klärung und Versöhnung erforderlich. In den Beziehungen zwischen der lateinisch-katholischen und den ostkirchlichen Entwicklungen sollte von Entfremdungen gesprochen werden, in den katholisch-protestantischen Beziehungen liegt eine wirkliche Kirchenspaltung vor.
Die folgende Skizze lässt die Entfremdung zwischen Ost und West erkennbar werden:
Die Punkte auf den Karten zeigen die Bischofssitze, die auf den genannten Konzilien durch einen Bischof vertreten waren. Beim Konzil von Nizäa 325 liegt der Schwerpunkt deutlich in dem Bereich, den wir heute den "Nahen Osten" nennen. Nur wenige Bischöfe kamen aus dem Westteil des Römischen Reiches. Beim Konzil von Trient, das im 16. Jahrhundert die kirchliche Einheit angesichts der Reformatoren zu wahren versuchte, hat sich der Schwerpunkt deutlich nach Westen verlagert. Die Bischöfe des Ostens waren von den Fragen der Reformation nicht betroffen und blieben weitgehend fern. Von diesem Zeitpunkt an ist die katholische Kirche romanisch geprägt.