Klima27.05.2025
Schmelze des grönländischen Eisschilds: Eisplatten bremsen den Wasserabfluss ins Meer
Forschende der Universitäten Freiburg und Lausanne haben untersucht und dargestellt, wie das Schmelzwasser Grönlands ins Meer fliesst. Ihre in Nature Communications veröffentlichte Studie zeigt, dass der Klimawandel zur Bildung von Eisschichten unter dem Schnee führt, die in hoch gelegenen Bereichen des Eisschildes derzeit einen Teil des Schmelzwassers daran hindern, ins Meer zu gelangen.
«Die Lage ist schlecht, aber sie verschlechtert sich etwas langsamer als angenommen». Mit diesen Worten erklärt Andrew Tedstone, Forscher an der Fakultät für Geowissenschaften und Umwelt der Universität Lausanne (UNIL), die jüngsten Erkenntnisse, welche er bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Freiburg gewonnen hatte.
Der Wissenschaftler untersucht das Abschmelzen des Eises in Grönland – einer Region, die sich etwa doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Welt. Die Auswirkungen sind enorm: Derzeit erhöht sich der Meeresspiegel durch kalbende Eisberge und Schmelzwasser um rund einen Millimeter pro Jahr. Sollte der grönländische Eisschild vollständig abschmelzen, könnte der Meeresspiegel insgesamt um bis zu sieben Meter ansteigen. Bis 2100 wird erwartet, dass das Abschmelzen zu einem Anstieg des Meeresspiegels von 4 bis 30 Zentimetern beitragen wird.
Um die Prozesse vor Ort zu verstehen und die Entwicklung des Eisschildes vorherzusagen, nutzen Andrew Tedstone und sein Team Satellitenbilder, Modellierungen und führen Messungen direkt vor Ort durch. Ihre Studie befasst sich damit, wie die sommerliche Schneeschmelze zur Bildung von tiefen, wasserundurchlässigen Eisschichten führt. Diese Eisschichten zwingen das Wasser aufgrund ihrer Undurchlässigkeit, oberflächlich horizontal abzufliessen. Ausserdem ermöglichen sie es, dass ein Teil des Wassers wieder gefriert. «Wir wussten bereits, dass der im Winter gefallene und verdichtete Schnee (Firn) bei der Schmelze wie ein Schwamm wirkt: Das Wasser sickert ein, gefriert wieder und bildet unter dem Schnee überlagerte Eisschichten. Wir wussten jedoch nicht wie stark diese Schichten aufgrund ihrer Undurchlässigkeit den Abfluss ins Meer beschleunigen», erklärt Tedstone. Die neue Studie zeigt jedoch, dass ein Grossteil des oberflächlichen Schmelzwassers in den von Eisschichten bedeckten Gebieten wieder gefrieren kann, bevor es das Meer erreicht. «Unsere Analysen zeigen, dass zwischen 2017 und 2022 rund 56 Gigatonnen Schmelzwasser durch diese Schichten wieder gefroren sind. Zum Vergleich: Die gesamten Schweizer Alpen enthalten laut Daten von 2024 etwa 43 Gigatonnen Eis», fügt er hinzu.
«Man darf sich nicht täuschen lassen», schliesst Horst Machguth, Mitautor der Studie und Forscher an der Universität Freiburg. «Der grönländische Eisschild schmilzt, und über den Zeitraum 2017 bis 2022 stehen den 56 Gigatonnen an wieder gefrorenem Schmelzwasser ein totaler Massenverlust des Eisschildes von ca. 1200 Gigatonnen gegenüber.» Angesichts der warmen Temperaturen, die in Zukunft zu erwarten sind, werden die vorhandenen Eisschichten das Schmelzwasser nicht mehr zurückhalten können. Die neuen Analysen verbessern jedoch die Einschätzung des Phänomens und helfen, die Auswirkungen des Klimawandels auf diese einzigartige und sehr spezifische Region der Erde besser vorherzusagen.
Die Forschungsergebnisse wurden in Nature Communications veröffentlicht und durch den Europäischen Forschungsrat ERC finanziert.
Tedstone, A., Machguth, H., Clerx, N. et al. Concurrent superimposed ice formation and meltwater runoff on Greenland’s ice slabs. Nat Commun 16, 4494 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-59237-9