• Ertl Tobias
• Gelshorn Julia

Proseminar: Quérelles du Réalisme. Kunst, Kapitalismus, Kommunismus

Prof. Julia Gelshorn, Tobias Ertl M.A.

FS 2021

Was gemeint ist, wenn wir von ‚realistischer Kunst‘ sprechen, ist bis heute Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Der Begriff Realismus ist zwar eng mit der Frage des Abbilds und des Naturalismus verknüpft, sperrt sich jedoch stilgeschichtlichen Definitionen ebenso wie einer Festlegung auf Figuration. Seit seiner (modernen) Entstehung in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Konzept realistischer Kunst stets auch als politisches verstanden. In ihrer Absage an das Ideal und die klassische Repräsentationsfunktion steht realistische Kunst für die Hinwendung zum alltäglichen Leben der Gegenwart und für eine Demokratisierung von Kunst und Gesellschaft. Die Kunst des Realismus lässt sich daher von einer kritischen sozialhistorischen Perspektive auf die bürgerliche Gesellschaft und den Kapitalismus ebenso wenig trennen wie von der politischen Geschichte revolutionärer Bewegungen.

Im Proseminar wollen wir die Grundlinien der europäischen Realismusdiskurse von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert herausarbeiten. Wir werden diskutieren, wie die Kunst soziale Wirklichkeit(en) des Kapitalismus reflektiert, darstellt und kritisch bearbeitet, und wie sie selbst als Mittel politischer Kämpfe aufgefasst wurde. Der Bedeutungswandel der historischen Semantik des Realismus wird uns dabei ebenso interessieren wie seine spannungsreiche Stellung innerhalb der künstlerischen Moderne. Dabei werden insbesondere jene Bruchlinien – zwischen Abbild und Konstruktion, Figuration und Abstraktion, politischem Engagement und künstlerischer Form – im Fokus stehen, welche bis heute für seine kontroverse kunsthistorische Bewertung sorgen. Strukturiert nach chronologischen, geographischen (Frankreich, England, Deutschland, Russland, USA, Mexiko) sowie medialen (Malerei, Druckgrafik, Fotografie, Film) Gesichtspunkten, soll das Proseminar zugleich einen Überblick über wichtige künstlerische Positionen und historiographische Ansätze der Realismusforschung vermitteln.

Sollte es die Situation erlauben, werden wir auswählte Werke auch in den Sammlungen Schweizer Museen im Original betrachten und diskutieren.