07.09.2011

Studie: Folgt das Parlament dem Volkswillen?


Ein Forschungsprojekt an der Universität Freiburg analysiert, ob und wie die Politiker im Parlament dem Willen der Wähler nachkommen. Erste Zwischenresultate liefern angesichts des anstehenden Wahlherbstes interessante Einsichten.


Der Ständeratssaal im Bundeshaus (Foto: Parlamentsdienste)

Das 2009 initiierte Forschungsprojekt will nicht nur herausfinden, ob die National- und Ständeräte das Volk mit ihrem Abstimmungsverhalten adäquat repräsentieren, sondern auch welche institutionellen, ökonomischen und sozio-demographischen Faktoren bei der Wählervertretung eine Rolle spielen. Dazu bietet die Schweiz ideale Bedingungen: Bei Volksabstimmungen können die Entscheidungen der eidgenössischen Räte direkt mit den Entscheidungen der Bürger ihres Kantons wie auch der Schweiz insgesamt verglichen werden. Die Arbeit des Forscherteams um Prof. Reiner Eichenberger vom Departement für Volkswirtschaft liefert neue Erkenntnisse, die sowohl für die Schweiz als auch für die internationale Forschung relevant sind.

Insbesondere das individuelle Stimmverhalten der Ständeräte wurde nun genauer beleuchtet. Die Forscher haben dazu die Videoaufzeichnungen aus sämtlichen Sitzungen der kleinen Kammer seit 2006 analysiert und dabei neue Erkenntnisse zur Volksnähe des Ständerats im Vergleich zum Nationalrat gewonnen: Über die ausgewerteten Abstimmungen hinweg ist die individuelle Übereinstimmung der Ständeräte mit ihren Kantonswählern deutlich grösser als jene der Nationalräte. Während die Mitglieder des Ständerates im Durchschnitt in 69 % der Abstimmungen mit den Wählermehrheiten in ihren Kantonen übereinstimmen, liegt die Übereinstimmung im Nationalrat bei 60.5 %.

Ständerat durchgehend näher beim Volk

Vertiefte Analysen zeigen, dass die Unterschiede nicht nur daran liegen, dass die Nationalräte nach dem Proporzverfahren gewählt werden und deshalb auch Randpositionen vertreten. Die Unterschiede bleiben weitestgehend auch dann bestehen, wenn Ständeräte mit Nationalräten aus Kantonen mit nur einem oder zwei Vertretern verglichen werden. Die Übereinstimmung im Ständerat bleibt sogar dann noch höher, wenn die kantonalen Vertreter in den Räten kollektiv verglichen werden. Dazu wurde als Vergleichsmassstab geprüft, ob die kantonalen Vertreter im National- bzw. Ständerat per Mehrheitsbeschluss zum selben Resultat wie die kantonale Volksmehrheit gelangen. Hier beträgt die Übereinstimmung für den Nationalrat 67.0 % und für den Ständerat 69.7 %.

Der am Forschungsprojekt beteiligte Wirtschaftswissenschaftler David Stadelmann skizziert den Wert der Untersuchungen wie folgt: „Auch wenn die Auswertung des Abstimmungsverhaltens der eidgenössischen Räte nicht die ganze Bandbreite des parlamentarischen Betriebs abdeckt, erachten wir den Analyseansatz als fruchtbar für die zukünftige Forschung. Wir hoffen, damit die Diskussion über institutionelle Reformen in der Schweiz zu stimulieren und vor den Wahlen Spekulationen über die Volksnähe von National- und Ständerat durch Fakten zu ersetzen.“

Artikel des Forschungsteams zum Thema:

http://dx.doi.org/10.1007/s11127-010-9760-0
http://ideas.repec.org/p/cra/wpaper/2011-15.html
http://ideas.repec.org/p/cra/wpaper/2011-14.html

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz
http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2011/02/


Kontakt: David Stadelmann, Departement für Volkswirtschaftslehre, 026 300 82 63, david.stadelmann@unifr.ch