ForschungPublikationsdatum 12.04.2022

Professor Dutton: Die Grossmeisterin der SNF-Projekte


Bild: Aufführung des Dido-Stücks von William Gager als Abendessen Unterhaltung am Christ Church College, Oxford

Elisabeth Dutton wurde 2011 zur Professorin für englische Literatur des Mittelalters an der Universität Freiburg ernannt, nachdem sie den grössten Teil ihrer früheren akademischen Laufbahn in Grossbritannien verbrachthatte, konkret an der Universität Oxford, wo sie den BA, den MA und den Doktortitel erwarb und anschliessend mehr als zehn Jahre lang dozierte, sowie an verschiedenen Universitäten in London. 

Duttons Forschungsinteressen gelten vor allem dem Studium mittelalterlicher Andachtspraktiken (Ausdruck religiöser Gefühle durch Handlungen wie Gebete) und der Untersuchung dramatischer Darbietungen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, die sich häufig mit religiösen Themen befassen, zwei Gebiete, die sich infruchtbarer Weise begegnen. Da sie selbst eine Theater- und Tanzausbildung absolviert hat, war Dutton schon immer daran interessiert, die traditionelle Literaturwissenschaft durch die Frage zu ergänzen, was uns die Inszenierung dieser Stücke in verschiedenen zeitgenössischen Kontexten über mittelalterliche Aufführungen sowie über unsere eigene Einstellung zu Religion und Spiritualität sagen kann. Da solche Unternehmen sehr zeit- und ressourcenaufwändig sind, hat sie sich oft - mit grossem Erfolg - um eine Förderung durch Drittmittel bemüht, in der Schweiz meistens beim SNF, welcher insbesondere ihre letzten beiden grossen wissenschaftlichen Vorhaben im Gebiet des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theaters mit seiner Projektförderung unterstützt hat. 

Das erste dieser Projekte, das von 2014-17 teilweise vom SNF, aber unter anderem auch von der British Academy finanziert wurde, trug den Titel "Early Drama at Oxford" und umfasste die herausfordernde Aufgabe, Stücke zu studieren, zu bearbeiten, zu übersetzen, zu inszenieren und zu filmen, die historisch gesehen in den Oxford Colleges vom späten fünfzehnten bis zur Mitte des siebzehnten Jahrhunderts aufgeführt wurden, und zwar sowohl in Latein als auch in Englisch. Im Rahmen dieser Forschung konnte Dutton eine Aufführung von William Gagers Dido nach dem Abendessen im Speisesaal des Christ Church College in Oxford organisieren (mit einer Dido, die wie oben abgebildet Königin Elisabeth ähnelte). Es war ein echter Coup, denn diese Studentenaufführung fand genau an dem Ort statt, an dem das Stück rund 450 Jahre zuvor zum ersten Mal aufgeführt worden war, und zwar ebenfalls von Studenten, für den damaligen polnischen Botschafter. Dies konfrontierte Dutton, mit ähnlichen Inszenierungs- und Zeitfragen wie ihr frühneuzeitliches Pendant. Sie erzählt auch, wie die Erfahrung, solche Stücke an Ort und Stelle zu inszenieren, ihrem Team half, zu verstehen, dass viele von ihnen wahrscheinlich oft kleine Insiderwitze und Sticheleien über die Professoren der Hochschule enthielten. 

Ihr nächstes vom SNF gefördertes Projekt (2016-2020) wendet sich dem Kloster als Ort der Aufführung zu. Das Projekt "Medieval Convent Drama" konzentrierte sich auf Theaterstücke, die von Ordensfrauen in Klöstern in England, Frankreich und den Niederlanden zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert geschrieben und produziert wurden. Dabei kombinierte Dutton Archivstudien mit ethnografischen Untersuchungen, indem sie zunächst die in Manuskriptform vorliegenden Stücke edierte, sie dann versuchsweise an verschiedenen Orten (darunter auch moderne Klöster) aufführte, und schliesslich Interviews mit Schauspielern und Zuschauern, insbesondere Nonnen, führte. Diese Forschung unterstrich die doppelte Funktion vieler Dramen, insbesondere der Klosterspiele, als pädagogische und andächtige Erfahrung: Man lernte aus diesen Stücken - über die biblische Geschichte oder über komplexe Konzepte wie die Dreifaltigkeit oder die Transsubstantiation (die Verwandlung des Brotes in den Leib Christi in der Eucharistie) -, aber das Ansehen oder Aufführen dieser Dramen war auch eine spirituelle Erfahrung, welche die biblische Geschichte für die Klostergemeinschaft ins Hier und Jetzt brachte.Eine Verfilmung des mittelalterlichen Klosterstücks auf der Grundlage von Deguilvilles "Pèlerinage de la vie humaine" befindet sich derzeit im Stadium der Postproduktion.

Der Zugang zu bestimmten Klöstern war zwar der schwierigste Aspekt des Projekts, aber wahrscheinlich auch der lohnendste für Dutton und ihr Team. Sie erwähnt zum Beispiel, dass bei der Aufführung eines Stücks im Karmeliterkloster Le Pâquier-Montbarry im Kanton Freiburg die Nonnen im Publikum plötzlich spontan die Lieder sangen, die die Spielerinnen und Spieler aufführten: Sie kannten die Lieder noch, was zeigt, dass das Schauspiel in bestimmten Orden eine kontinuierliche Tradition hat.

Über ein besseres Verständnis mittelalterlicher Aufführungen und ihrer sozialen und religiösen Funktion hinaus versucht Dutton stets die Inszenierung dramatischer Aufführungen auch als eine Gelegenheit zu nutzen, über aktuelle religiöse und kulturelle Fragen zu reflektieren. So inszenierte sie 2004 eine Doppelvorstellung, bei der das spätmittelalterliche Croxton Play of the Sacrament, ein besonders antisemitisches Stück, und Steven Berkoffs Ritual in Blood (2001), eine zeitgenössische Reflexion über die Verfolgung der Juden, nebeneinander aufgeführt wurden. Sie war dabei so erfolgreich, dass die Aufführung in der Wissenschaft grosse Aufmerksamkeit erregte und später in einer professionellen Produktion wiederaufgenommen wurde. Dieses Anliegen ist auch Teil ihres nächsten und bisher ehrgeizigsten Projekts, für das sie soeben ein neues SNF-Projektgesuch eingereicht hat: eine vergleichende Studie über Frauen und Märtyrertum in den dramatischen Traditionen der drei abrahamitischen Religionen (im ta?ziyeh, einer Form des schiitischen Andachtsdramas, im purimschpil, einer jiddischen Tradition, und im frühchristlichen Drama). Die Gemeinsamkeiten zwischen den Traditionen werden nicht nur für Genderfragen aufschlussreich sein, sondern auch den konstruktiven Dialog zwischen den verschiedenen religiösen Konfessionen fördern. 

Möchten Sie sich für ein SNF-Projekt bewerben? Die nächste Antragsfrist ist der 1st  Oktober 2022. Das DFF-Team unterstützt Sie gerne dabei! Kontaktieren Sie uns unter research@unifr.ch.

Möchten Sie mehr über die Forschung von Professor Dutton erfahren? Hier finden Sie Links zu ihren beiden Projekt-Websites sowie zu einigen relevanten Publikationen: 

Website zum Medieval Convent Drama Project

Website zum Early Drama at Oxford Project

Elisabeth Dutton und Olivia Robinson, hrg, Religious Drama and Community (Cambridge: D.S. Brewer, 2021).

Matthew Cheung-Salisbury, Elisabeth Dutton und Olivia Robinson, 'Medieval Convent Drama: Translating Scripture and Transforming the Liturgy", in A Companion to Medieval Translation, hrg. Jeanette Beer (Michigan: Medieval Institute Publications, 2019), S. 63-74. 

Aurélie Blanc und Olivia Robinson, "The Huy Nativity from the Seventeenth to the Twenty-first Centuries: Translation, Play-back and Part-Back", in Medieval English Theatre 40 (2018), S. 66-97.

Olivia Robinson und Elisabeth Dutton, "Drama, Performance and Touch in the Medieval Convent and Beyond", in Touching, Devotional Practice and Visionary Experience in the Late Middle Ages, ed. David Carillo-Rangel, Delfi I Nieto-Isabel, und Pablo Acosta Garcia (New York: Palgrave Macmillan, 2019), S. 43-68. 

Elisabeth Dutton, "A Manifesto for Performance Research", in The Methuen Drama Handbook to Theatre History and Historiography, hrg Claire Cochrane and Joanna Robinson (London: Bloomsbury, 2019), pp. 249-60.