• Cottier Maurice

• Cottier Maurice

Die Historiografie setzt sich mit der Geschichte der Geschichtswissenschaften auseinander. In den 1970er- und 1980er-Jahren kam innerhalb unseres Fachs zum sogenannten Cultural Turn. Stark beeinflusst von anderen Disziplinen wie der Philosophie und der Sozialanthropologie begannen Historiker*innen sich vermehrt für die ‘kleinen’ Leuten und deren alltäglichen Lebensweisen zu interessieren. Gleichzeitig ermöglichte Cultural Turn, die damals weitverbreitete Kritik an Fortschrittsdenken und Wissenschaftsgläubigkeit geschichtswissenschaftlich fruchtbar zu machen. Vormoderne und aussereuropäische Wissens-, Gesellschafts- und Lebensformen wurden nicht mehr länger als rückständig gesehen, sondern als eigenständige und in sich komplexe Kulturen untersucht. Der Cultural Turn in war in erster Linie ein emanzipatorisches Projekt, das die Lebens- und Denkweisen von subalternen, bis dahin wenig beachteten Akteur*innen in der Geschichte ins Zentrum rückte und dabei Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen übte. Allerdings war die Verwendung des Kulturbegriffs ambivalent. Teilweise wurde er dazu benutzt, um scheinbar unüberwindbare Differenzen zwischen angeblich verschiedenen und klar voneinander trennbaren Lebensformen und Wertsysteme zu markieren. In dieser Auslegung ersetzte Kultur teilweise den Begriff der ‘Rasse’, der nach 1945 zunehmend in Verruf geraten war. Schliesslich lässt sich retrospektiv auch kritisieren, dass mit dem cultural turn tendenziell Fragen von wirtschaftlichen Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnissen aus dem Fokus des Forschungsinteressens rückten.

Das Ziel des Seminars ist es, dass sich die Studierenden durch die Lektüre und Diskussion von klassischen Texten und aktueller Sekundärliteratur ein kritisches Wissen über die theoretisch-methodischen Grundlagen des Cultural Turn und deren historische Entstehungskontexte erwerben.