«Die Vielfalt der Religionen ist von Gott gewollt»

Der Basler Frithjof Schuon (1907-1998) gründete im Jahr 1933 die erste muslimische Gemeinde in der Schweiz. Er plädierte für einen gegenseitigen Respekt der Religionen. Alexander Boehmler (32), Doktorand am SZIG, analysiert die historische und aktuelle Relevanz von Schuons Lehre.

 

Interview von Katja Remane

 

Herr Boehmler, Ihre Dissertation am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg ist dem Basler Frithjof Schuon gewidmet, der zum Islam konvertierte und eine muslimische Gemeinde in der Schweiz gründete. Welche Aspekte seiner Lehre interessieren Sie besonders?

 Die innere Einheit der Religion und der mystische Aspekt. Frithjof Schuon lehrt, dass alle grossen Religionen von Gott stammen. Er vergleicht dies mit einem Licht, das durch verschiedenfarbige Gläser leuchtet. Das göttliche Licht selbst ist farblos, aber die Menschen sehen das Licht in der Farbe seiner Gläser. Die Gläser sind die Religionen, aber in allen Religionen leuchtet der gleiche Gott. Diese Vielfalt ist von Gott gewollt. Unterschiedliche Religionen seien erforderlich, weil sie erstens verschiedene Aspekte Gottes betonten und zweitens den unterschiedlichen Kulturen der Menschen entsprächen. Das ist ein interessanter Ansatz, weil er zu einem gegenseitigen Respekt der Religionen führt.

 

Wie positioniert sich Schuon in seiner Lehre zum Universalitätsanspruch des Islam und zur Gewalt in Namen der Religion?

 Schuon lehnt den Universalitätsanspruch des Islam zwar nicht ab, aber er relativiert ihn, weil er ja davon ausgeht, dass alle Religionen ihre Legitimität haben. Er geht auch auf kulturelle Unterschiede ein. Er sagt, dass der Islam und das Judentum von der semitischen Kultur geprägt sind, das Christentum von der Kultur des römischen Reichs geprägt wurde und der Protestantismus von der Nordischen Kultur.

 

Zum Thema Gewalt und Religion: Schuon hat den Terrorismus oder politische Machtansprüche sehr deutlich abgelehnt. Er hat sich 1979 auch gegen die «Islamische Revolution» von Ayatollah Khomeini geäussert. Er erklärt, dass der Prophet Mohammed und seine Anhänger auch bewaffnete Kämpfe führten, da die frühen Muslime ihre Gemeinschaft gegen feindliche Stämme verteidigen mussten. Er bezeichnet sie aber nicht als besonders gewalttätig, da die frühen Muslime auch sehr tolerant waren und andere Religionen in ihrem Herrschaftsbereich zugelassen haben.

 

Welchen Platz nimmt Ihrer Meinung nach der Islam in der Schweiz ein und wie sehen Sie das Zusammenleben von Muslimen mit Bevölkerungsgruppen anderer Religionen, sowie mit unreligiösen Menschen?

 Ich sehe das Zusammenleben der Religionen in der Schweiz als sehr positiv an. Im Gegensatz zu Frankreich haben wir bisher keine islamistischen Anschläge. Grundsätzlich muss man Islam und Muslime unterscheiden. Ich denke, die meisten Muslime, die in der Schweiz leben, haben einfach einen familiären Bezug zum Islam. Die Mehrheit stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien, es sind hauptsächlich Albaner und Bosnier. Diese Menschen sind im Durchschnitt weniger religiös als die Schweizer und da sie aus ihren Herkunftsländern ein Zusammenleben verschiedener Religionen gewohnt sind, gibt es in der Praxis keine Probleme. Ich finde es bemerkenswert, dass in der Öffentlichkeit vorwiegend die religiösen Muslime als Muslime wahrgenommen werden und die anderen hauptsächlich aufgrund ihres Migrationshintergrund und weniger als Muslime.

 

Ich habe mir auch die Frage gestellt, ob es möglich ist, aus dem Koran oder aus islamischen Quellen eine positive Haltung zu nicht religiösen Menschen zu entwickeln. Man kann sicherlich darauf verweisen, dass der Koran sagt, man solle nur in der besten Art Streitgespräche führen, an einer anderen Stelle heisst es auch, es gibt keinen Zwangsglauben. Auf solche Stellen kann man sich für ein ziviles, friedfertiges Zusammenleben berufen. Ich denke aber, dass es schwierig ist, aus islamischen Quellen dem Atheismus oder dem Materialismus einen Wert zuzusprechen, der dem der Religion nahe kommt. Atheismus im heutigen Sinne gab es damals natürlich nicht. Die Nichtreligiosität ist ein Phänomen, dem weder die Öffentlichkeit noch eine islamische Selbstreflexion aus dem Weg gehen kann. Es ist sehr wichtig, dass man sich mit solchen Fragen auch konstruktiv auseinandersetzt.

 

Sie haben Religionswissenschaften in Frankfurt studiert und sich für verschiedene Religionen interessiert, bevor Sie 2016 Ihre Doktorarbeit am SZIG begonnen haben. Woher stammt Ihr Interesse für den Islam?

 Ich habe mich im Studium mit verschiedenen Religionen beschäftigt und habe schon damals den Schwerpunkt auf den Islam gelegt. Ich hatte schon früher Kontakt mit Muslimen, als ich 2004 in Paris war und bei späteren Aufenthalten in Nordafrika. Die ästhetische Dimension des Islams spielt dabei eine grosse Rolle. Es gibt Kalligrafien und sehr schöne Rezitationen des Korans, die von professionellen Rezitatoren vorgetragen werden. Auch die Rituale, die es im Sufismus gibt, verschiedene Arten von Tänzen, von Gesängen mit Repetitionen, die zu gewissen geistigen Erlebnissen führen, haben mich beeindruckt.

 

Was sind die ersten Ergebnisse Ihrer Doktorarbeit?

 Ich habe mich sehr intensiv mit der Frage des religiösen Pluralismus beschäftigt und habe Schuons Lehre mit anderen verglichen. Schuon sieht den Islam, den er praktiziert und auch gelehrt hat, wie auch andere Religionen nach dem Modell des Lichtes, das ich anfangs erwähnt habe. Er lehrt, dass alle grossen religiösen Traditionen von Gott gewollt sind. Andere Ansätze leiten diese Toleranz gegenüber anderen Religionen vom Koran Text ab. Ich habe auch nicht-pluralistische Ansätze angeschaut. Es gibt im Koran Stellen, die man sehr stark für pluralistische Ansätze heranziehen kann. Es gibt aber auch Stellen, die man dagegen anführen kann.

 

Welchen Beitrag leistet Ihre Arbeit für die islamisch-theologischen Studien?

 Ich fand es sinnvoll mit einer Bestandsaufnahme zu beginnen und zu schauen, was für ein Islamverständnis im Schweizer Kontext schon entwickelt wurde. Da Schuon eine historische Bedeutung hat und bei den muslimischen Intellektuellen auch weltweit eine starke Anerkennung gefunden hat, entstand die Idee, sich dieses Gedankengut zu erschliessen. Der vorläufige Titel meiner Dissertation ist ˈRäume eines Schweizer Islamsˈ, weil ich frage, was Schuons Lehren für den Islam in der Schweiz heute bedeuten können. Er ist der erste, der in der Schweiz eine muslimische Gemeinde gegründet hat.

 

Das Ziel meiner Dissertation ist zu schauen, wie Schuon den Islam konkret im System der anderen Religionen betrachtet. Besteht die Möglichkeit auf Schuons Gedanken zurückzugreifen oder passen manche Ansätze heute nicht mehr? Ich finde es interessant, seine Lehre in der Gegenwart ins Gespräch bringen.

 

Alexander Boehmler©Katja Remane