«Muslimische Organisationen sind Denkräume für junge Menschen»

Muslimische Organisationen sollten jungen Menschen auch Denkräume bieten, um sich mit der eigenen Tradition kritisch und konstruktiv auseinender setzen zu können. Im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit am SZIG analysiert die Religionspädagogin Nadire Mustafi (39), wie ein didaktisch aufbereiteter Religionsunterricht dazu beiträgt und wo in der Schweiz solche Angebote schon vorhanden sind.

 

Interview von Katja Remane

 

Frau Mustafi, im Rahmen Ihrer Dissertation am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg befassen Sie sich mit islamischer Bildung und Erziehung in der Schweiz. Wo und wie findet diese hierzulande statt?

 Tendenziell beobachte ich, dass vor allem muslimisch geprägte Organisationen wie Moscheevereine oder auch Jugendorganisationen Angebote haben, die auch sehr gerne von jungen Leuten in Anspruch genommen werden. Natürlich gibt es auch einen Austausch in informellen Gruppen unter Freunden und Interessierten, oder über das Internet und die sozialen Medien. Das sind so die drei Tendenzen, die ich bis Dato beobachten konnte. Die muslimischen Organisationen haben mein Forschungsinteresse geweckt. Dort schaue ich mir an, was für Jugendliche angeboten wird und wie das in Anspruch genommen wird.

 

Wie gestalten Sie Ihre Forschung und was sind Ihre Zielgruppen?

 Meine Forschung zielt mehr auf muslimisch geprägte Organisationen hin, also in erster Linie auf Moscheevereine. Wichtig sind für mich diese Organisationen sowie junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren mit muslimischem Hintergrund. Es geht auch darum, hier gewisse Dynamiken zu erkennen.

 

Mich interessiert der Islam als Gegenstand der Lehre und wie das in diesen Organisationen umgesetzt wird. Mein Ziel ist, zu schauen, wie weit dieser Unterricht didaktisch aufgebaut ist, ob er die Lebensrealitäten der jungen Menschen wahrnimmt und auch, was ein pädagogisch aufgebauter Unterricht im Rahmen der muslimischen Organisationen leisten kann.

 

Dahinter steckt natürlich ein religionspädagogisches Interesse. Ich bin selber Religionspädagogin. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass ein pädagogisch aufbereiteter Religionsunterricht immer ein Reflexionsraum für alle Teilnehmenden ist. In diesem Zusammenhang ist es für mich wichtig, dass man eher von Denkräumen spricht, von Reflexionsmöglichkeiten, sich mit der eigenen Tradition kritisch auseinender zu setzen. Es geht darum, dass junge Menschen selber definieren, was für ein Muslim sie sind. Ich möchte mir anschauen, inwieweit so ein Unterricht auch Platz lässt für kritische, konstruktive Reflexion einerseits und Selbstpositionierung andererseits.

 

Bevor Sie in die Schweiz kamen, waren Sie in Wien islamische Religionslehrerin und Lehrbeauftragte für islamische Religion und Sonderpädagogik. Wie ist der islamische Unterricht in Österreich im Vergleich zur Schweiz organisiert?

 Ein ganz wesentlicher Unterschied ist, dass der Islam in Österreich eine anerkannte Religion ist, was in der Schweiz nicht der Fall ist. In Österreich wird islamischer Religionsunterricht seit 1980-81 angeboten und von der Religionsgemeinschaft organisiert. Anerkannte Religionsgemeinschaften dürfen in Österreich einen konfessionell ausgerichteten Religionsunterricht in öffentlichen Schulen anbieten und die Lehrer werden von der Schule bezahlt. Prinzipiell sind es getrennte Klassen, aber der Religionsunterricht für katholische, evangelische, orthodoxe oder muslimische Schüler wurde möglichst parallel abgehalten. Das hat Möglichkeiten für Teamteaching eröffnet. Ich hab es sehr geschätzt, in Österreich über Religion im schulischen Rahmen zu sprechen, weil ich das Gefühl hatte, dass dieser säkulare Rahmen eine Möglichkeit eröffnet, auch mal in einem anderen Kontext als den der jeweiligen Religionsgemeinschaften über Religion reflektieren zu können.

 

Soweit ich die Situation überblicken kann, gibt es in der Schweiz Religionsunterricht in dieser Form nicht. In manchen Kantonen dürfen die Kirchen die Schulräume verwenden, aber die Lehrer werden von den Religionsgemeinschaften bezahlt. Mit der Einführung des Lehrplans 21 ist ein Unterricht über Religionen und Weltanschauung vorgesehen. Der Lehrplan 21 gibt einen inhaltlichen Rahmen und deswegen befürworte ich auch diesen Lehrplan. Ich persönlich sehe da eine Möglichkeit, Kinder und Jugendliche über Weltanschauungen reflektieren zu lassen, und das ist ganz wichtig, weil sie in der Realität auch mit der Pluralität in Kontakt kommen. Das ist aber nicht Thema meiner Dissertationsarbeit.

 

Welche Forschungsergebnisse Ihrer Doktorarbeit können Sie schon mit uns teilen?

Ich kann schon klar sagen, dass islamischer religionspädagogischer Unterricht in der Schweiz je nach kantonalen Kontexten unterschiedlich thematisiert wird. Da vieles in diesem Feld jedoch noch sehr aktuell ist, existiert keine weitreichende Erhebung und Forschung dazu. Mein Ziel ist es daher durch meine Arbeit einen Beitrag zur Erkenntnis in diesen Fragen zu leisten.

 

Ich untersuche daher, wo es solche Denkräume gibt und wo dieser Unterricht stattfindet. Religionsunterricht, der speziell für Jugendliche angeboten wird, findet ja nicht in jeder Moschee in der Schweiz statt. Es ist recht überschaubar. Aus der Literatur und durch soziale Kontakte sind mir bereits einige Personen bekannt, die beispielsweise in Moscheen unterrichten. Sie haben aus persönlichem Interesse heraus eine religionspädagogische Kompaktschulung in der Schweiz absolviert.

 

Ein wichtiges Mittel zu Erhebung derzeitiger Angebote bildet die Feldforschung. In einem ersten Schritt geht es um die Akteurinnen und Akteure, die diesen Religionsunterricht in den Moscheen anbieten. Anhand von Experteninterviews möchte ich mir anschauen, welche Materialen sie verwenden, welche Ziele sie im Unterricht formulieren und was für eine Ausbildung sie gemacht haben. In einem zweiten Schritt plane ich die Jugendlichen selbst zu befragen, indem ich teilnarrative Interviews mit ihnen durchführe.

 

Welchen Beitrag leistet Ihre Arbeit für die islamisch-theologischen Studien?

 Für mich sind islamisch theologische Studien auch ein Raum für Selbstreflexion mit der eigenen religiösen Tradition, mit eigenen Theologieverständnissen. Dazu kann die Religionspädagogik einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich glaube, dass Religionspädagogik für die islamisch-theologischen Studien eine wesentliche Disziplin ist, weil sie in einer wechselseitigen Beziehung zur Theologie steht und beide Bereiche sich gegenseitig prägen. Meine Dissertationsarbeit will diese gegenseitige Verknüpfung von Theologie und Pädagogik aufzeigen. Sie füllt auch eine gewisse Forschungslücke und setzt Impulse für weitere Forschungsarbeiten. Meine Dissertation wird sicher auch Anregungen für künftige Weiterbildungen in diesem Feld geben, die wir beim SZIG anbieten können.

Nadire Mustafi©Katja Remane