"Das Anna und ihr Hund" – Weibliche Rufnamen im Neutrum
Soziopragmatische vs. semantische Genuszuweisung in Dialekten des Deutschen und Luxemburgischen
In deutschen und luxemburgischen Dialekten kommt es bei der Referenz auf Mädchen und Frauen zu Genus-Sexus-Inkongruenzen, indem weibliche Rufnamen häufig ins Neutrum treten (das Anna), in manchen Dialekten ausschliesslich, in anderen mit einem Femininum daneben (die Anna). Ziel dieses Projekts ist 1. eine Bestandsaufnahme des basisdialektalen Neutrumareals. Mittels eines Fragebogens sollen in ganz Deutschland, Luxemburg und der Deutschschweiz der Definitartikel und das anaphorische Personalpronomen mit Bezug auf weibliche und männliche Personen mit unterschiedlichen Namen abgefragt werden, denn es gibt durchaus Dialekte, in denen zwar der Artikel sexuskongruent feminin ist, aber das Pronomen neutral oder umgekehrt (Typ die Anna/es; das Anna/sie). In manchen Schweizer Dialekten können auch Männernamen ins Neutrum treten. Manchmal bricht die Kongruenz auch beim Possessivpronomen oder einem anderen Genusträger um (das Anna und ihr Hund). Solche Feinanalysen sind jedoch dem qualitativen zweiten Untersuchungsteil vorbehalten: Im trinationalen Areal werden an über dreissig Orten drei Generationen mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden auf Personenreferenzen hin (Ruf-, Familien- und auch Verwandtschaftsnamen, Appellative) befragt. Bei der mittleren Generation wird zudem "mobil" gegen "ortsfest" differenziert, um den Einfluss sozialer Faktoren auf den Genusgebrauch ermitteln zu können. Durch die Berücksichtigung von drei Generationen soll eine diachrone Vertiefung erzielt werden und der Ursprung dieser Neutra rekonstruiert werden. Vor allem soll die genaue Qualität der Genuszuweisung ermittelt werden, die ersten Untersuchungen zufolge von Eigenschaften der Referentin bzw. der sozialen Relation Sprecher/in – Referent/in abhängt. Allem Anschein nach handelt es sich um soziopragmatische Genuszuweisungen, die von der Genusforschung bislang kaum erfasst wurden, aber für die Genusdiskussion von grosser Bedeutung sein werden. Die besondere zeitliche Dringlichkeit dieses Projekts erwächst aus dem Umstand, dass die jüngere Generation diese Namenneutra vielleicht noch kennt, aber kaum mehr benutzt
Trinationales Forschungsprojekt (zusammen mit der Universität Mainz und der Universität Luxemburg), unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Lead Agency), dem Fonds National de la Recherche Luxembourg und dem Schweizerischen Nationalfonds.
Laufzeit: 1. August 2015 – 31. Juli 2019
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Personen
Universität Freiburg/CH
Leitung: Prof. Dr. Helen Christen
Mitarbeiterinnen: Gerda Baumgartner, Melanie Bösiger, Sara Hugentobler, Martina Schläpfer, Jana Suvajac
Projektpartner Universität Mainz/DE
Leitung: Prof. Dr. Damaris Nübling
Mitarbeiterinnen: Simone Busley, Julia Fritzinger
Projektpartner Universität Luxemburg/LU
Leitung: Prof. Dr. Peter Gilles
Mitarbeiterin: Sara Martin
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Vorträge und Publikationen
2021
Gerda Baumgartner (2021): Ääs isch es Liebs: weibliches Neutrum und Beziehung im Schweizerdeutschen. Doktorarbeit an der Universität Freiburg.
Helen Christen/Gerda Baumgartner/Melanie Bösiger/Simone Busley/Julia Fritzinger/Peter Gilles/Damaris Nübling/Martina Schläpfer (Hg.) (2021): Pragmatik der Genuszuweisung. Linguistik online 107/2.
Gerda Baumgartner, Simone Busley, Julia Fritzinger, Sara Martin (2021): Das Anna und ihr Hund. Weibliche Hundenamen im Neutrum? In: Helen Christen u. a. (Hg.): Pragmatik der Genuszuweisung. Linguistik online 107/2, 99-124.
Melanie Bösiger (2021): Der onymische Artikel im Schweizerdeutschen in seiner Funktion als Genusmarker. In: Helen Christen u. a. (Hg.): Pragmatik der Genuszuweisung. Linguistik online 107/2, 209-222.
Helen Christen/Gerda Baumgartner (2021): Anneli, Ruedi, Mami. Das Diminutiv und seine Rolle bei der Entstehung und Verfestigung onymischer Neutra. In: Helen Christen u. a. (Hg.): Pragmatik der Genuszuweisung. Linguistik online 107/2, 177-208.
2020
Gerda Baumgartner/Simone Busley/Julia Fritzinger/Sara Martin (2020): "Dat Anna", "et Charlotte" und "s Heidi": Neutrale Genuszuweisung bei Referenz auf Frauen als überregionales Phänomen, In: Helen Christen/Brigitte Ganswindt/Joachim Herrgen/Jürgen Erich Schmidt (Hg.): Regiolekt – Der neue Dialekt? Stuttgart, 175-192.
2019
Helen Christen: "s Viola" und "s Karin". Synchrone und diachrone Aspekte der neutralen Genuszuweisung bei Personennamen. Vortrag am Center for the Study of Language and Society (CSLS), 21.5.2019, Universität Bern.
Gerda Baumgartner / Simone Busley / Julia Fritzinger / Sara Martin: Das Anna und ihr Hund. Weibliche Hundenamen im Neutrum? Vortrag im Rahmen der Internationalen Tagung 'Pragmatik der Genuszuweisung', 1./2. Februar 2019, Universität Freiburg i. Ü.
Gerda Baumgartner / Helen Christen: Das Mami und das Grosi – die (letzte) Bastion neutraler Frauennamen in der Deutschschweiz? Vortrag im Rahmen der Internationalen Tagung 'Pragmatik der Genuszuweisung', 1./2. Februar 2019, Universität Freiburg i. Ü.
Melanie Bösiger: D Eveline chunnt und s Anna goot – zur Funktion des Artikels vor Eigennamen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der Internationalen Tagung 'Pragmatik der Genuszuweisung', 1./2. Februar 2019, Universität Freiburg i. Ü.
Gerda Baumgartner / Helen Christen (2019): Von männlichen Männern und sächlichen Frauen. Ein trinationales Forschungsprojekt sucht sprachliche und soziale Gründe für das Neutrum bei Frauennamen. In: Sprachspiegel 1.
Gerda Baumgartner: „S Doris in däm wisse Fätze“ – Das Neutrum als affektives Genus im Namengebrauch der Deutschschweiz. In: Tagungsband zur 19. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie. Linguistik Online. [eingereicht]
2018
Gerda Baumgartner: "dr Abschtand vo dr Beziehig" – Neutrale Genuszuweisung als sprachliche Beziehungsmarkierung. Vortrag im Rahmen der 10. Tage der Schweizer Linguistik. 12. Oktober 2018, Universität Bern.
Sandro Bachmann / Gerda Baumgartner / Martina Schläpfer: "s Anna" und "ds Rüedi" grüssen "Fritzen" – Zur Arealität von grammatischen Eigenschaften bei Personennamen in der Schweiz. Vortrag im Rahmen der Namentagung in Mainz, 17./18. September 2018, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
Gerda Baumgartner / Simone Busley / Julia Fritzinger / Sara Martin: Et Lisbeth, eist Claire, s Elsi und dr Seppli – Räumliche Variation der Genuszuweisung bei Rufnamen. Vortrag im Rahmen der Namentagung in Mainz, 17./18. September 2018, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
Gerda Baumgartner / Simone Busley / Julia Fritzinger / Sara Martin: Dat Anna, et Charlotte und s Heidi - Neutrale Genuszuweisung bei Referenz auf weibliche Personen als überregionales Phänomen. Vortrag am 6. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) in Marburg, 13.-15. September 2018, Philipps-Universität Marburg.
Melanie Bösiger: Das versteckte Genus – Eine Untersuchung von Personennamen im Schweizerdeutschen. Vortrag am 6. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) in Marburg, 13.-15. September 2018, Philipps-Universität Marburg.
2017
Gerda Baumgartner / Helen Christen (2017): Dr Hansjakobli und ds Babettli – Über die Geschlechtstypik diminuierter Rufnamen in der Deutschschweiz. In: Martin Reisig/Constanze Spieß (Hg.): Sprache und Geschlecht. Band 2. Duisburg (=Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 91), 111-145.
Gerda Baumgartner: S Marietta – ääs isch es Liebs: Liebkosung oder Spott? Pragmatische Aspekte neutraler Genuszuweisung bei Rufnamen und Personalpronomen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der 19. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie, 11.-13. Oktober 2017, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Melanie Bösiger: Jessica und d'Lea chömed au: Vermeintliche Artikellosigkeit vor weiblichen Vornamen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der StuTS - 61. Studentische Tagung Sprachwissenschaft, 25.-27. Mai 2017 an der Universität Zürich.
Nadine Mathys: Ds Beatrice u d Hänsa - Besonderheiten der Genuszuweisung bei weiblichen und männlichen Rufnamen und der Einflussfaktor Alter. Vortrag im Rahmen der StuTS - 61. Studentische Tagung Sprachwissenschaft, 25.-27. Mai 2017 an der Universität Zürich.
Gerda Baumgartner: Variabler Genusgebrauch bei Rufnamen in Dialekten der Deutschschweiz. Poster-Präsentation an der Internationalen Nachwuchstagung (CSF Workshop - GAL Research School) Variationslinguistik trifft Textlinguistik, Ascona, 19.-22. März 2017.2015
Helen Christen: "Das Anna und ihr Hund": Skizzen zu einem Forschungsprojekt zur Genuszuweisung bei Personennamen. Vortrag am Kolloquium des "Forschungszentrum Arealität und Sozialität in der Sprache", Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 24.06.2015.
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Qualifikationsarbeiten
Dissertationen
Gerda Baumgartner: Ääs isch es Liebs: weibliches Neutrum und Beziehung im Schweizerdeutschen.
Martina Schläpfer: Neutrale Männernamen in der Deutschschweiz. (Arbeitstitel)
MA-Abschlussarbeiten
Melanie Bösiger: Evelyne redt mit s Claudias Ma. Artikellosigkeit und Artikelgebrauch vor (weiblichen) Vornamen im Schweizerdeutschen in allen vier Kasus.
Nadine Mathys: Der Einflussfaktor Alter beim Gebrauch von Neutra für weibliche Personennamen am Beispiel des Senslerdeutschen.
Martina Schläpfer: Genuszuweisung bei Personen- und Verwandtschaftsnamen im Prättigau und im Wallis.
MA-Seminararbeiten
Melanie Bösiger: Aus s Heidi wird d Heidi. Ein Vergleich der Genus-Verwendung für Frauenfiguren in der Originalausgabe von Heidi (1880) und dem neuen Buch zum Film (2015).
Patricia Fux: Ds Michi und ds Martina – Weibliche und männliche Personennamen im Neutrum im Urner- und im Walliserdeutschen.
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Medienberichte
März 2019
- Aargauer Zeitung, 20. März 2019: "Ds Lisi": Lieb oder patriarchalisch?
- Horizonte. Das Schweizer Forschungsmagazin, 7. März 2019: Wenn die Elisabeth "ds Elisabeth" ist.
Februar 2019
- Der Bund, 8. Februar 2019: Das Anna und ihr Hund werden erforscht. Beitrag von Daniel Goldstein. Auch einsehbar unter www.infosperber.ch.
Dezember 2016
- Universitas, Dezember 2016. Von Pascale Schaller: Dr Hansjakobli und ds Babettli.
April 2016
- NZZ am Sonntag, 3. April 2016. Von Andreas Frey: Sagen Sexisten s'Heidi? Online unter: Ist, wer s'Heidi sagt, ein Sexist?
Februar 2016
- 20min : S Heidi oder d Heidi ? Hinweis auf die Online-Umfrage, 12.2.2016.
- Coopzeitung: Neutral oder weiblich – das ist die Frage. Hinweis auf die Online-Umfrage, 1.2.2016.
Januar 2016
- Radio SRF1: S’Heidi oder d’Heidi? Wie reden Sie? Beitrag in der Dialektsendung Schnabelweid mit Prof. Dr. Helen Christen und lic.phil. Gerda Baumgartner, 28.1.2016.
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Vernetzungen
Forschungsprojekt der Universität Zürich: Dialektsyntax des Schweizerdeutschen, Leitung: Prof. Dr. Elvira Glaser.
Forschungsprojekt der Universitäten Marburg/Wien/Frankfurt: Syntax hessicher Dialekte, Leitung Marburg: Prof. Dr. Jürg Fleischer.