Islam und GesellschaftPublikationsdatum 27.06.2025

Seelsorge als Ort des gesellschaftlichen Umbruchs


Seelsorge in säkularen Institutionen wie Spitälern, Gefängnissen und Asylunterkünften erweist sich als dynamische Ausdrucksform von Religion und Spiritualität. So lautet das Fazit einer internationalen Tagung «Muslim Chaplaincy. Practice, Research and Recognition» an der Universität Freiburg. Anhand von Seelsorge lässt sich der Umbruch des Stellenwerts von Religion im öffentlichen Raum verstehen und analysieren.

Auf internationaler Ebene zeigt sich, dass sich Seelsorge von religiösen Monopolen hin zu einer stärkeren Diversifizierung und Zusammenarbeit entwickelt. So wirken inzwischen vielerorts unterschiedliche Religionsgemeinschaften an der Seelsorge mit. In vielen Ländern übernehmen Frauen eine Führungsrolle in der Seelsorge, darunter auch Musliminnen. Während sie von der Imamtätigkeit ausgeschlossen sind, erlangen sie als religiöse Fachpersonen ein hohes Mass an Sichtbarkeit und erfahren als Akteurinnen der Seelsorge Geschlechtergerechtigkeit im öffentlichen Raum. In der Seelsorge bilden sich schliesslich auch die Spannungen von realen Lebenserfahrungen ab, die oftmals in Spannung zu religiösen Dogmen stehen.

Praxisbeispiele aus der Schweizer Armee- und Spitalseelsorge
Die vom Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg in Zusammenarbeit mit dem Islam-UK Centre der Universität Cardiff veranstaltete Tagung «Muslim Chaplaincy. Practice, Research and Recognition» vom 24. bis 26. Juni brachte erstmals mehr als 100 Wissenschaftler_innen sowie in Gesundheitseinrichtungen, im Strafvollzug und an Hochschulen tätige Seelsorgende aus 15 Ländern zusammen – darunter Japan, Malaysia, Singapur, Kanada, den USA sowie verschiedenen europäischen Ländern. Es wurden mehr als 40 Vorträge und Workshops angeboten.

Ziel der Tagung war es, ein internationales Netzwerk für die Forschung zu muslimischer Seelsorge zu entwickeln und zukünftige Prioritäten für die Forschung zu identifizieren. Über drei Tage war die Universität Freiburg weltweites Zentrum eines neuen Forschungsfeldes, für welches diverse Arbeiten des SZIG eine wichtige Grundlage boten. Im Rahmen der Tagung wurden auch Praxisbeispiele aus der Schweiz in der Armeeseelsorge, der vom SZIG evaluierten Spitalseelsorge in Zürich sowie der Aufbau eines Vereins zur Qualitätssicherung in die internationale Diskussion eingebracht.

Weit mehr als Sicherheit und Extremismusprävention
Die Tagung bot auch die Gelegenheit, neue Methoden vorzustellen, wie Praxiserfahrungen wissenschaftlich ausgewertet und reflektiert werden können. So können Sichtweisen von gewöhnlichen Gläubigen genutzt werden, um das Verständnis von Zweifel, Geduld oder Dankbarkeit im Kontext einer hochtechnisierten Gesellschaft weiterzudenken. Ebenso diskutierten die Teilnehmenden, wie künstliche Intelligenz für die Seelsorge genutzt werden kann. Schliesslich ging es um die Frage, wie Seelsorgende Menschen in ethischen Konfliktsituationen wie bei einer Organtransplantation unterstützen können.

Seelsorge wird in einer Vielzahl von öffentlichen Institutionen angeboten. In verschiedenen Ländern besteht aber auch die Gefahr, dass die Institutionen Seelsorge einseitig mit Sicherheit und Extremismusprävention in Verbindung bringen. Daher sind Aushandlungsprozesse erforderlich, wie sich Erwartungen der Institutionen, professionelle Standards etwa im Bereich der personenzentrierten Begleitung und religiöse Authentizität miteinander vereinbaren lassen. Dadurch führt Seelsorge auch unterschiedliche religiöse Richtungen, Denkschulen und Spiritualitäten zu einem gemeinsamen Fokus zusammen.

Über das SZIG
Das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) ist ein interfakultäres Institut der Universität Freiburg. Es betreibt Forschung, bietet das Masterprogramm «Islam und Gesellschaft» sowie den Weiterbildungsstudiengang «Muslimische Seelsorge in öffentlichen Institutionen». Es arbeitet regelmässig mit Behörden, Gesundheitseinrichtungen und Religionsgemeinschaften zusammen. Das SZIG hat im Mai sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Die Forschungspartnerschaft mit dem Islam-UK Centre besteht seit 2023.