Proseminar III: Darstellungen des Orients in der Literatur des Mittelalters
UE-L03.00351
Enseignant(s): Senn Cyril |
Cursus: Bachelor |
Type d'enseignement: Proséminaire |
ECTS: 3 |
Langue(s) du cours: Allemand |
Semestre(s): SP-2023 |
Der Begriff ‘Orient’ ist in unserem Verständnis ein Begriff des Gegensatzes. Er bezeichnet das Gegenstück zum Okzident, also zu unserer westlichen Welt, und er meint somit ‘das Andere’, eine Welt der Fremde. Edward Said stellte in seinem bekannten Werk ‘Orientalismus’ diese Alteritätswahrnehmung und die damit verbundene eurozentrische Perspektive des Westens auf die nahöstliche Welt fest. Darüber hinaus bemerkte er aber, dass es sich dabei nicht nur um ein mentales Konstrukt handelt, sondern auch um eine Form von Herrschafts- und Machtausübung; der Orient wurde orientalisiert. Spuren dieser Orientalisierung halten teilweise bis heute an, was beispielsweise daran zu erkennen ist, dass Thomas Bauer Klärungsbedarf in der Frage sieht, ‘warum es kein islamisches Mittelalter gab’.
Die Darstellungen des Orients im Mittelalter sind vielseitig und besonders spannend zu lesen, denn sie sind geprägt vom Wundersamen. Ausgeklügelte Maschinerien, prachtvolle Kunsthandwerke oder magische Elemente vermitteln Faszination und lassen auf die Fortschrittlichkeit der islamischen Handwerkskünste und Wissenschaften schliessen; wundersame Kreaturen entstammen den Erzählungen der Reisenden und füllen die Vorstellung und Erwartungen an ferne, fremde Welten. Behandelt werden im Seminar aber ebenfalls die realhistorischen Hintergründe der Kreuzzüge, welche Aufschluss über die Kontakte und Konflikte zwischen Heiden und Christen ermöglichen. Daneben ist aber noch eine weitere Partei im kulturellen Gefüge von Bedeutung: Das christliche Byzanz ist selbst ein Ort der Fremde und kann je nach Perspektive Teil der christlichen Welt oder Teil des Orients sein.
Ziel des Proseminars ist es, ein vertieftes Verständnis darüber zu erlangen, wie Orienträume in der mittelalterlichen Literatur konstruiert wurden. Dabei steht weniger die Raumsemantik an sich im Zentrum, sondern die kulturhistorische Wahrnehmung dessen, was wir als Orient bezeichnen und was im Mittelalter vielleicht als Poetik des Fremden oder Fernen betrachtet werden muss. Der Orient konnte somit verschiedene Gegenden umfassen: Konstantinopel, das Heilige Land, Indien, Andalusien oder fiktive Orte der Ferne. Über das Semester hinweg werden Ausschnitte aus verschiedenen Texten v.a. des Hochmittelalters gelesen. Dies ermöglicht einen Überblick und erlaubt nebenbei die Einführung in verschiedene Gattungen mittelalterlicher Literatur.
Da im Anschluss an das Proseminar eine Proseminararbeit zu verfassen ist, sind einige Sitzungen zudem zur Vorbereitung und zur Einführung in das Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit geplant. Dies umfasst Recherchemethoden der germanistischen Mediävistik, Zitierweise und Formalitäten entsprechend dem Leitfaden sowie Hilfestellungen zur Themenfindung und Thesenbildung.