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Helmut Zander
Europäische Religionsgeschichte
Im Rahmen einer Globalisierung religiöser Entwicklungen ist die Position einer „europäischen“ Religionsgeschichte aus zwei Gründen neu zu bestimmen: Zum einen gibt es Hybridisierungs- und Austauschprozesse auf globaler Ebene, zum anderen existieren weiterhin Religionskulturen, die von regionalen Faktoren oder von einzelnen Religionen geprägt sind. In dieser Perspektive sind die Spezifika einer europäischen Religionsgeschichte zu beschreiben (so wie man analog die Spezifika von religiösen Entwicklungen in anderen Regionen beschreiben könnte). Eine Monographie zu strukturellen Eigenheiten einer so verstandenen europäischen Religionsgeschichte ist gerade erschienen ("Europäische" Religionsgeschichte. Religiöse Zughörigkeit durch Entscheidung - Konsequenzen im interkulturellen Vergleich, 2016)
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Viktoria Vitanova-Kerber
1. Der "neue Mensch" zwischen Esoterik und Sozialismus in Bulgarien
Ausgangspunkt dieses Dissertationsprojektes ist Ljudmila Zhivkova (1942–1981) – die Tochter vom Vorsitzenden der Bulgarischen Sozialistischen Partei Todor Zhivkov (1911–1998) und die einflussreichste Politikerin des Spätsozialismus in Bulgarien. Gleichzeitig folgte sie verschiedenen esoterischen Lehren – dem „Angi Yoga“ von Nicholas und Helena Roerich, Helena Blavatskys Theosophie, Peter Deunov’s “Weiße Bruderschaft“ sowie Sri Aurobindos reformpädagogischen Ideen. Was dies religionswissenschaftlich relevant macht, ist die Verschmelzung dieser beiden Aspekte in ihrer Person: Sie hat aus der Position einer einflussreichen Politikerin esoterische Ideen auf nationaler Ebene in einem sozialistischen atheistischen Land umgesetzt. Durch ihre Fürsprache wurden wissenschaftliche Einrichtungen für Parapsychologie geschaffen. Nicht nur hat Zhivkova sie zu Zentren der Wissenschaft und des Schulbildungswesens gemacht, sondern auch eine Reihe von Veranstaltungen zur Popularisierung von Roerichs Ideen durchgeführt und esoterische Symbolik an Schlüsselgebäuden der sozialistischen Gesellschaft integriert. Zudem pflegte sie gute Beziehungen zu der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche und organisierte, neben den mehreren Roerich-Ausstellungen, auch solche von orthodoxen Ikonen. Diese Elemente ihrer Kulturpolitik, die in Widerspruch zur gesamtsowjetischen antireligiösen Agenda standen, sorgten für innen- und außenpolitische Spannungen. Wie war ihr dies in einem atheistischen sozialistischen Land möglich? Welche rhetorischen, materiellen und personalen Ressourcen hat sie dafür mobilisieren können? Auf einem höheren Analyseniveau fungiert der Fall Zhivkova als eine spezifische Konstellation von Religion und Politik, die auch für das postsowjetische östliche Europa Erklärungspotentiale aufweist.
Das Promotionsprojekt reiht sich in den religionswissenschaftlichen Fachdiskursen zu Esoterikforschung sowie Religion und Politik ein. Herauszufinden, mit welchen Mechanismen das Spannungsverhältnis zwischen Esoterik und Sozialismus im sozialistischen Bulgarien verhandelt wurde, wird die Beziehung zwischen Religion und Politik auf dem Balkan verstehen helfen. Dadurch wird der Fall Bulgariens für den internationalen Vergleich erschlossen. Außerdem ist das Promotionsprojekt ein Beitrag zu einer globalen Religionsgeschichte, abseits von Zentrum-Peripherie- oder Kolonialismus-Postkolonialismus-Debatten.
2. Katholische Esoterik
Ein Sammelband, herausgegeben von H. Zander / V. Vitanova-Kerber ist 2025 bei DeGruyter erscheinen. Link
Katholizismus und Esoterik scheinen allenfalls feindliche Berührungen zu haben – aber das Gegenteil trifft zu. In beiden Traditionen finden sich Stigmata, Neuoffenbarungen, Visionen, „Magie", spiritistische Kontakte ...
Wir untersuchen, welche theologischen und soziologischen Konzepte dies möglich machen. Zentral ist eine poröse Transferzone zwischen „orthodoxer“ Theologie und „häretischen“ Vorstellungen. Ein Beispiel: Die Legitimationsstruktur von „Schrift und Tradition“ ermöglichte die Integration von religiösen Praktiken, die nicht aus dem Christentum stammten oder rechtfertigte Offenbarungen neben der Bibel. Dadurch blieben Gruppen innerhalb der Kirche, die sich im Protestantismus oft „separierten“ – und wurden dadurch von der Forschung kaum wahrgenommen.
Dies bedeutet für die Religionswissenschaft, das stark protestantisch geprägte boundary-work zu Bestimmung der Grenze einer christlichen „Orthodoxie“ zu revidieren und dabei die Rolle von spiritualistischen Theologien neu zu bestimmen. Der Katholizismus ist hier durch eine Grenzlandschaft gekennzeichnet, in der esoterische Vorstellungen flexibel adaptiert wurden – und in der man oft auf die Definition einer präzisen, eliminatorischen Grenzlinie verzichtete.
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