Komparative Theologie im Schweizer Kontext

  • Definition Komparativen Theologie

    „Eine Theologie, die sich (…) Einzelfällen zuwendet und begrenzte Probleme in religionsübergreifenden Zusammenhängen zu lösen versucht, bezeichne ich als Komparative Theologie. Ich verstehe Komparative Theologie dabei nicht als globale, interreligiöse Theologie, sondern als eine Theologie, die aus einer bestimmten Religion und Konfession bzw. aus einem bestimmten Weltbild heraus betrieben wird und aus dieser Perspektive heraus andere Religionen produktiv in das eigene Denken einzubeziehen versucht.“

    Mit diesen Worten fasst Klaus von Stosch, der Hauptvertreter der Komparativen Theologie im deutschen Sprachraum, zentrale Anliegen dieser Methode zusammen. Wie der Terminus andeutet, fußt sie auf zwei Säulen. Einerseits auf der Komparatistik – und somit auf einem religionswissenschaftlichen Instrumentarium. Andererseits auf der Theologie – und somit auf dem Einbezug normativer Positionen. Als Theologie stellt die Komparative Theologie unhintergehbar die Wahrheitsfrage und wir aus einer bestimmten Perpektive heraus betrieben.[1]

     

    [1] Vgl. Stosch (2012, 148)

  • Forschungsprojekt «Komparative Theologie im Schweizer Kontext»

    Die Komparative Theologie in Fribourg soll zwei Disziplinen verbinden: Die Religionswissenschaft und die Theologie.

    Nicht besonders aufregend? Doch. Warum die Verbindung im Zeitalter der programmatischen Interdisziplinarität etwas Neues sein soll, zeigt sich im Blick auf die Vorgeschichte. Die klassische Religionstheologie hatte sich überholt: Exklusivisten sahen nur in ihrer Tradition Wahrheit und Heil (und die anderen – in die ewige Hölle?), Inklusivisten beanspruchten ein großes Gemeinsames, oft ein/das Göttliche/s in allen Religionen (begreift man damit Unterschiede angemessen? produziert man damit eine Art Metareligion?), und Pluralisten tendierten dazu, alle Religionen in ihrer Unterschiedlichkeit nebeneinanderstehen zu lassen (aber wird man damit den Gemeinsamkeiten gerecht? oder Religionen, für die scharfe Pluralitätskonzepte ein koloniales Produkt sind)?

    Diese Krise ist der Kreisssaal der Komparativen Theologie. Und sie hatte neue Fragen. Was passiert, wenn man Selbstverständigungsprozesse kommunikationstheoretisch als „mutual understanding“ interpretiert, so Francis Clooney (Harvard Divinity School in Cambridge)? Wenn – unter Rückgriff auf die Philosophie von Paul Ricœur – das Subjekt anticartesianisch nicht als abgeschottetes, sondern verletzliches Selbst verstanden wird (Marianne Moyaert, Universität Antwerpen)? Und diese Theologie als Projekt von Biographien, die sich aufeinander einlassen, praktiziert wird und die voneinander lernen (Klaus von Stosch, Universität Bonn)? Oder man mit der philosophischen Intentionalitätstradition Subjekt- und Objektgrenzen osmotisch macht (Catherine Cornille, Boston College). Evidenterweise werden dadurch die vielfach idealistischen Modelle der klassischen Religionstheologien kritisiert. Aber damit passiert noch mehr: In ihrem Selbstverständnis lässt die Komparative Theologie die klassische Religionstheologie hinter sich.

    Und wir in Fribourg? Forschung macht selbstredend nur Spaß, wenn man der Überzeugung ist, dass es Defizite zu beheben gilt, auch in der Komparativen Theologie. Genau das wollen wir an zwei Stellen – wohlwissend, dass das schon wissenschaftstheoretisch nur Stückwerk und Wissen auf Zeit sein wird. Gleichwohl, was wollen wir? Erstens Lokalität als Faktor ernstnehmen. Nicht nur wissenschaftstheoretisch im Sinn von Perspektivität und raumrelativer Praxis, sondern mit dem praktischen Ernstnehmen ganz bestimmter Orte, mit ihren je eigenen kulturellen Kontexten, mit ihren eigenen Praktiken und politischen Existenzbedingungen. Der Buddhismus einem Kloster des Schweizer Kantons Waadt funktioniert eben anders als der Buddhismus in der Schweiz oder in Europa oder in Asien; das gleiche gilt für den Islam: Freiburg ist nicht einfachhin die Schweiz, diese nicht Europa. Die Komparative Theologie ist der Gefahr nicht immer ausgewichen, ihre Objekte zu groß anzusetzen etwa, um ein wenig zu übertreiben, „den Islam“ mit „dem Christentum“ oder „Buddhismus“ zu vergleichen. Und deshalb heißt Komparative Theologie in Freiburg: Glokalität. Wir betreiben Forschung an ganz konkreten, ganz spezifischen, unverwechselbaren Orten. Gleichzeitig nehmen wir ernst, dass jeder Ort ein Knoten in einem globalen Netz, Teile des globalen Kontextes ist. Dies hat unter anderem eine unmittelbare Folge: Uns interessiert, wie diese Austauschprozesse aussehen, wenn eine lokale Gemeinschaft europäische, schweizerische Merkmale ausbildet und gleichzeitig ihre Alterität behält, was also konkret mit einer Tradition des tibetischen Buddhismus oder einer Moschee arabischer Tradition in einem europäischen, schweizerischen Kontext passiert.

    Der zweite Bereich der Freiburger Selbstpositionierung betrifft den Schlüsselbegriff „komparativ“, der, vorsichtig gesagt, in der Komparativen Theologie oft unterbestimmt bleibt. Klar ist vorweg gesagt, dass am Vergleich schon epistemologisch kein Weg vorbeiführt. Wir nehmen wahr, indem wir vergleichen, und im Extremfall gilt: Wer behauptet, zwei Kulturen sein unvergleichbar, kann diese Aussagen nur treffen, weil er schon verglichen hat. Nun hat der Vergleich seine methodischen Tücken, und diese nehmen wir ernst. Vergleichen bedeutet, eine Vergleichsobjekt auswählen und eine Vergleichsebene („tertium comparationis“) bestimmen. Wer aber diese beiden Schritte vornimmt, selektiert, und das ist ein normativer Akt. Ein Vergleich und damit Komparative Theologie ist schon von daher nie neutral, ist immer wertend. Gleichwohl kann man versuchen, intentional neutral zu sein und sich zumindest asymptotisch einer wissenschaftlichen Neutralität anzunähern. Der Königsweg dazu führt über Methoden, bei uns insbesondere auf zwei Ebenen: Wir analysieren Texte betreiben teilnehmende Beobachtung. Derartige Methoden sind neutral, insofern es keine tibetisch-buddhistische oder sunnitisch-islamische oder katholische-christliche Philologie oder Soziologie gibt (nicht zu verwechseln mit der Tatsache, dass es natürlich buddhistische, islamische oder christliches Gegenstände gibt). Im Prinzip sind die Regeln der Textanalyse oder der empirischen Soziologie nicht an eine Religion gebunden – und gleichzeitig wissen wir natürlich, dass auch in solchen Methoden kulturrelative Elemente stecken, spätestens in der Sprache, in der man die Ergebnisse zuerst ermittelt und schließlich interpretiert. Letztlich versuchen wir ein wenig die Quadratur des Kreises, im Vergleich eine intentional neutrale und alteritätssensible Wahrnehmung des oder der anderen zu erreichen. Nochmals anders verwendet: Im Vergleich nutzen wir das Instrumentarium der Kulturwissenschaften, welches in der Religionswissenschaft auf die Religionen hin operationalisiert wurde. Unser erstes komparatives Bein ist deshalb Religionswissenschaft.

    Und dann, erst dann, aber dann auch ganz bewusst nutzen wir unser zweites komparatives Bein, nun geht es um Theologie, dann, wenn die Bestimmung des Verhältnisses von katholischen zu nichtkatholischen Traditionen ansteht. Hier kommen evidenterweise neue normativen Faktoren ins Spiel. Wobei ganz grundsätzlich gilt, dass es keine Erkenntnis ohne Interesse gibt, aber auch, weil die Begegnung, der Austausch, der Dialog zwischen zwei religiösen Gruppen die andere Seite dann besonders ernst nimmt, wenn man deren Überzeugungen nicht als kontingente Elemente, gar als Ornamente einer religiösen Essenz deutet, sondern wenn man Alterität, Eigenheit, Differenz als konstitutiv begreift: als Zentrum von Identität, als der Ausgangspunkt eines Reichtums von Pluralität – und, auch dies, als Konfliktfaktor. Natürlich gilt auch hier: Schon logisch gibt es keine Differenz ohne Gemeinsamkeiten, und auch die Gemeinsamkeiten gehören zu den konstitutiven Dimensionen der Existenz verschiedener Gruppen. Aber gerade Konflikte kann man nur bewältigen, wenn man Differenz ernstnimmt, wenn man Überzeugungen bereit ist, auszuhalten und letztlich sogar gutzufinden. Im Rahmen dieser Laudatio auf Differenz und Pluralität geht es nicht allgemein um Theologie, sondern um eine konfessionell geprägte, katholischen Theologie – die wir an einer Fakultät betreiben, deren größtes Institut dasjenige für ökumenische Theologie ist, an einer Fakultät, in der vermutlich fast ein Viertel der Studierenden eine protestantischen Hintergrund hat, wo wohl zwei Dutzend Doktorandinnen und Doktoranden aus den ostkirchlichen Christentümern kommen, wo es einen Studiengang Interreligiöse Studien gibt, und wo es einen religionswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt zur Anthroposophie Rudolf Steiners gibt.

  • Publikationen, Veranstaltungen, Konferenzen

    28.–30. Oktober 2021, Fribourg 

    Tagung Katholische Esoterik

    Conference Catholic Esotericism

    Programm 

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  • Kontakt
    Adresse

    Helmut Zander

    Universität Freiburg

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      helmut.zander@unifr.ch