Die Christengemeinschaft in der Schweiz

(Foto: Moritz Bauer/ Ort: Altar der Christengemeinschaft in Zürich)

  • Grundlegende Informationen zum Teilprojekt

    Die Komparative Theologie hat es sich zur Aufgabe gesetzt, mittels den vergleichenden Methoden der Komparatistik religiöse Traditionen in Beziehung miteinander zu setzen. Sie unterscheidet sich von der herkömmlichen vergleichenden Religionswissenschaft dadurch, dass sie hierbei aus einer bestimmten Perspektive heraus den Vergleich betreibt. Komparative Theologie ist jedoch keinesfalls normativ voreingenommen, sondern sich ihres eigenen Ausgangspunktes als hermeneutische Vorbestimmung bewusst und weiß diesen zu reflektieren. Sie versteht sich somit explizit als Theologie und nicht als Religionswissenschaft.  

    Neben den „klassischen“ Vergleichsfeldern anderer „Religionen“ hat sich in den letzten Jahren ein weiteres Feld hervorgetan: die Esoterikforschung. Dieses Forschungsgebiet steckt sprichwörtlich noch in den Kinderschuhen. Der erste ordentliche Lehrstuhl für dieses Gebiet wurde 1979 in Paris ins Leben gerufen, 1999 kam ein zweiter in Amsterdam hinzu und inzwischen sind international weitere gefolgt. Die Forschungsgemeinschaft ist ebenso heterogen wie auch ihre möglichen Untersuchungsgegenstände und setzt sich heute aus Forschenden der unterschiedlichsten Disziplinen zusammen. Neben Religionswissenschaftler*innen tummeln sich hier auch Historiker*innen, Theolog*innen, Kunsthistoriker*innen, Kultur- und Literaturwissenschaftler*innen sowie viele mehr. Die gemeinsame interdisziplinäre Zusammenarbeit ist daher unverkennbar eine Kernkompetenz dieser Forschungsrichtung.

    Eine zentrale Einsicht der jüngeren Forschung lautet, dass die Beschäftigung mit alldem, was landläufig unter dem breiten Diskursfeld „Esoterik“ verhandelt wird unser Bild auf die religiöse Landschaft Europas maßgeblich verändert. Hiervon besonders betroffen ist zweifellos das Bild unseres „christlichen“ Europas sowie die Vorstellung davon, was denn das „Christentum“ sei. Die Beschäftigung mit historischen Personen, Ereignissen, Prozessen und stattgefundenen Machtdiskursen macht deutlich, dass sich die eigene christliche Tradition deutlich pluraler und heterogener gestaltet, als noch immer vorherrschend angenommen wird. Als geeigneterer Terminus für die Esoterikforschung erweist sich daher die Erforschung nichthegemonialer (christlicher) Traditionen. Deren Inhalte begegnen hierbei nicht nur als eine Art verworfenes Wissen der „europäischen“ Geistesgeschichte und somit als Ausschlusskategorie, sondern sind zugleich als eine Vernetzungsgeschichte eng mit den globalgeschichtlichen Prozessen des 19. Jahrhunderts – und selbstverständlich auch zuvor – verbunden.

     Eine der bis heute bekanntes Persönlichkeiten dieser „esoterischen“ Tradition stellt Rudolf Steiner (1861–1925) dar. Der Begründer der Anthroposophie, Waldorfpädagogik, der biodynamischen Landwirtschaft usw. hat unser gegenwärtiges Bild von einer „esoterischen“ Lebensauffassung und -gestaltung maßgeblich mitbeeinflusst. Selbst wenn dieser Einfluss bisher zumeist nur wenigen Fachexpert*innen ersichtlich ist.

    Auch im Bereich der Religion hat Steiner gewirkt. Wenngleich er die Anthroposophie explizit nicht als Religion aufgefasst hat, so erweist er (und sie) sich im Bereich des Religiösen keinesfalls „unmusikalisch“. In den Jahren zwischen 1921 und 1922 hielt Steiner auf Anfrage einiger junger, zumeist protestantischer, Theologiestudierender drei Kurse zur Frage einer Möglichkeit der religiösen Erneuerung auf Basis der Anthroposophie. Am Ende dieser Kurse gründete sich die sogenannte Christengemeinschaft (1922). Nach eigener Aussage versteht sie sich (bis heute) als eine Bewegung zur religiösen Erneuerung. Inzwischen existiert sie weltweit, wenngleich ihre Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum, insbesondere auch in der Schweiz, liegen.

    Wie vielleicht kaum eine andere religiöse Gruppierung oder Tradition, stellt sie ein Paradebeispiel für das Stichwort des nichthegemonialen Christentums dar. In ihr verschmelzen in einmaliger Art und Weise protestantische, katholische und „esoterische“ Elemente zu einer ganz eigenen und selbstverständlich schätzenswerten religiösen Alternative. Die Mitglieder genießen hierbei sowohl Bekenntnis- wie auch Religionsfreiheit. Gleichzeitig kennt die Christengemeinschaft auch bereits seit ihrer Gründungszeit die Möglichkeit der Frauenordination. Höhepunkt und Zentrum dieser Bewegung und des Lebens ihrer Mitglieder stellt der Kultus dar: die sogenannte Menschenweihehandlung (vergleichbar mit der Eucharistiefeier). Ihre weiteren Aktivitätsfelder würden eine einfache Liste sprengen. Beispielswiese kennt die Christengemeinschaft sechs weitere Sakramente aus der chistlichen Tradition, organisiert erwachsenbildnerische Veranstaltung, beschäftigt sich (theologisch) mit ihren möglichen Glaubensinhalten oder stellt Überlegungen zu einer zeitgemäßen Kindererziehung auf. Zusammenfassend möchte die Bewegung Antworten auf die religiösen Fragen der Zeit liefern und ein erneutes religiöses Erleben möglich machen. Hierbei versteht sie sich als unabhängig von den „großen“ Kirchen oder auch von der Anthroposophie – wenngleich es immer wieder Kontaktpunkte nach beiden Seiten gibt.

    Was bedeutet es nun in diesem Bereich mittels der Komparativen Theologie zu forschen? Was sind mögliche Gegenstände? Was Erkenntnisinteressen und was der Forschungszweck? Die Antwort lautet wohl folgendermaßen: Zunächst bedeutet es ein Abtauchen in fremde Welten. Die Beschäftigung mit der Christengemeinschaft überrascht immer wieder. Die Vielfalt ihrer Praxis und Themen mutet einerseits merkwürdig vertraut an und ist andererseits ungewohnt fremd. Der eigene Horizont – so viel lässt sich sagen – wird ständig erweitert und die Pluralität religiöser Ausdrucksmöglichkeiten wird immer deutlicher erkennbar. Dementsprechend lassen sich nahezu unendlich viele mögliche Gegenstände für die komparatistische Methodik gewinnen. Angefangen beim Evangelienverständnis, über Fragen der Sakramente, bis hin zur Liturgie oder der Kirchenarchitektur. Das Erkenntnisinteresse und der damit verbundene Forschungszweck liegen ebenfalls klar auf der Hand. Ziel soll es sein, die religiöse Pluralität in der Schweiz zu erkunden. Hierbei interessiert besonders die Frage, welche Farbvarianten sich finden lassen, wo Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten liegen und wie sich dieser heterogene Flickenteppich mehr oder minder harmonisch in der Schweiz arrangiert. Quasi als eine Art „Nebenprodukt“ offenbart sich zeitgleich ein neuer Blick auf die eigene „christliche“ Tradition und deren mögliche Schattierungen. Das Bild der hegemonialen Großkirchen und der mit ihnen verbundenen Riten und Traditionen gerät mehr als nur ins Schwanken; es bricht schlicht auf. Somit wird aus religionshistorische und theologischer Perspektive (hoffentlich) der Weg frei für neue Erkenntnisse über die religiöse Beschaffenheit und Entwicklung in unseren Breitengraden und über unser eigenes Selbstverständlich. Zuletzt, und dies ist wohl einer der wichtigsten Punkte, treten wir in einen Dialog mit anders Denkenden, lernen diese kennen , können positive Beziehungen zueinander aufbauen, lernen neues Kennen und Eigenes zu verstehen beziehungsweise auch hiervon abzugrenzen.

     

  • Vergangene Veranstaltungen

    28.–30. Oktober 2021, Fribourg 

    Tagung Katholische Esoterik

    Conference Catholic Esotericism

    Programm 

    Flyer

  • Status des Projektes

    Das Projekt war aufgrund der eingeschränkten Forschungsmöglichkeiten während der Corona-Pandemie nicht mehr durchführbar. Moritz Bauer hat sich in dieser Situation und aufgrund seiner veränderten Interessen neu orientiert. Es war nicht mehr möglich, die Stelle zu besetzen.