Schule der ZukunftPublikationsdatum 10.02.2021

Bildung für das 21. Jahrhundert: Wie sieht die Schule 2040 aus?


Bildung für das 21. Jahrhundert: Wie sieht die Schule 2040 aus?

Diese Frage stand am 29. Januar 2021 im Mittelpunkt der interaktiven Netzwerktagung des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Universität Freiburg (ZELF).

Der Lockdown vom Frühling 2020 hat alle Schulen unverhofft in den Fernunterricht gezwungen. Auch Skeptikern wurden damit die Chancen der Digitalisierung vor Augen geführt. Höchste Zeit also, einen Blick in die Zukunft zu werfen und sich zu überlegen, wie Schule in zwanzig Jahren aussehen soll. Welche Herausforderungen werden anstehen? Was müssen Schülerinnen und Schüler können, um den Herausforderungen nach der Digitalisierung zu begegnen?
Heute ist der ideale Zeitpunkt, um Bildung und Ausbildung neu zu denken.

Am Weiterbildungstag des ZELF diskutierten 75 Lehrpersonen, Bildungsverantwortliche, Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 1 und 2 sowie Lehramtsstudierende mit dem Bildungsexperten Jöran Muuß-Merholz ihre Visionen der Schule der Zukunft. Gezwungenermassen – aber ganz passend zur Thematik – wurde die Netzwerktagung nicht vor Ort, sondern virtuell via Videokonferenz durchgeführt.

In verschiedenen Kurzvideos wagt der Hauptreferent Jöran Muss-Merholz einen Blick in die Zukunft und skizziert als Zukunftsforscher «Augustine Berlinghoff Prefect» drei typische Schulen des Jahres 2040: Die Greta-Thunberg-Reformschule, das Manfred Spitze-Lyceum sowie die vorwiegend staatlichen LIDA-Schulen (Lernen Interaktiv Digital Adaptiv). Die Videos sind hier zu sehen.

Die Greta-Thunberg-Reformschule steht für nachhaltige Entwicklung mit einem globalen Blick auf die grossen Menschheitsfragen. Ihre bevorzugte Lernform sind konkrete Projekte, die in (virtuellen) Laboren, interdisziplinär, möglichst international und digital vernetzt angegangen werden. Es gilt folgendes Prinzip: erst reisen die Daten, dann reisen die Menschen. Die Schule ist vielfältig vernetzt mit Partnerschulen auf der ganzen Welt. Die Schülerinnen und Schüler verstehen sich als verantwortlicher Teil ihrer Gesellschaft und ihre Lernarbeit findet Anwendung im Alltag.

Das Manfred-Spitzer-Lyceum: Je unvorhersehbarer die Welt, desto wichtiger sind die Fundamente. Diese Schule fördert den klassischen Fächerkanon. Sie setzt in einem weitgehend digitalfreien Umfeld auf Medien wie Wandtafel und Kreide. Diese Schule versucht in einer hektischen Zeit Ruhe, Achtsamkeit und Disziplin zu fördern und die Jugendlichen so vor Mediensucht zu schützen. Damit bekennt sie sich zum sorgfältigen Aufbau von Grundlagenwissen und verbindlichen standardisierten Lerninhalten. Computer garantieren in speziellen Räumen Zugriff auf digitale Quellen.

Lernen – individuell – digital – adaptiv (LIDA) heisst der Ansatz, der sich 2040 in den meisten staatlichen Schulen durchgesetzt hat. Diese Schulen setzen auf ein Lernangebot, das beim individuellen Vorwissen und Können der Lernenden ansetzt. Eine künstliche Intelligenz (KI) bietet den Einzelnen ein auf sie massgeschneidertes Lernprogramm an, welches sich durch den stetig wiederholenden Ablauf von Diagnose, Input, Übung und Evaluation dem jeweiligen Kompetenzstand der Lernenden ideal anpasst. Das Programm hinter der KI lernt ständig dazu, passt sich an. Es hat unbegrenzt Zeit und bleibt immer geduldig und freundlich. In diesen Schulen arbeiten nur noch wenige Lehrpersonen.

Vision Schule 2040 aus der Perspektive von Schüler*innen, Studierenden und Lehrpersonen
Bereits vor der Tagung wurden acht Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen 1 und 2 sowie Lehrdiplom-Studierende zu ihrer ganz persönlichen Zukunftsvision befragt. Zur thematischen Einstimmung konnten die Interviews bereits vor dem Netzwerktag visioniert werden.

An welche Schule möchten Sie Ihre Kinder schicken? Mit dieser Einstiegsfrage wurde eine intensive Diskussion lanciert, in der persönliche Visionen, unterschiedliche Perspektiven und Überzeugungen aufeinandertrafen.

In einer Art «Hearing» zirkulierten die Schülerinnen und Schüler, die Studierenden des ZELF sowie der Referent in den verschiedenen Diskussionsgruppen. In den Gesprächen trafen unterschiedliche Auffassungen von Lehren und Lernen aufeinander. Wie systematisch oder wie projektbezogen soll unterrichtet werden? Wie produktorientiert und wie ergebnisoffen soll gearbeitet und beurteilt werden? Welche Rolle werden Lehrpersonen in Zukunft neben der künstlichen noch spielen?

Jöran-Muuß-Merholz plädiert wie viele Bildungsexperten nicht für ein Entweder-Oder, sondern für ein Sowohl-als-Auch, also für eine Versöhnung und nicht für eine Polarisierung dieser Positionen. Er sagt dezidiert «man kann nicht keine Entscheidungen in Bezug auf die Digitalisierung treffen» und fordert die Bildungsverantwortlichen, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler auf, als gestaltende Akteure aufzutreten. Die Frage lautet «Was machen wir mit der Digitalisierung?» und nicht «Was macht die Digitalisierung mit uns?».

Schule als Ort der Begegnung
Die interviewten Schülerinnen und Schüler waren sich einig, dass die Schule im Jahr 2040 sehr digital unterwegs sein wird. Es werde kaum noch Schulbücher und Arbeitsblätter geben, sondern Lernplattformen, digitale Werkzeuge und audio-visuelle Materialien. Eigenständiges, interdisziplinäres und überfachliches Lernen seien aber wichtige Pfeiler.

Schule bleibt für alle ein Ort der Begegnung, wobei sich ein Teil reelle Gebäude mit strukturiertem Stundenplan, Schulklassen und direkten Begegnungen zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern wünschen und die anderen mehr von Homeschooling, Begegnungen mit vielen zeitlichen, räumlichen oder virtuellen Möglichkeiten ausgehen.

Die Gemeinschaft müsse unbedingt erhalten bleiben. Gleichzeitig müssten unterschiedliche Ansprüche der Lernenden berücksichtigt werden, wobei nicht nur die Lehrperson die Struktur vorgeben solle, sondern die Schülerinnen und Schüler mitbestimmen wollen.

Viele erhoffen sich von der Schule der Zukunft weniger Prüfungen und weniger Stress. Arbeit und Anstrengung dürften aber weiterhin erwartet werden. Die Schule müsse aktiv zur Verbesserung der Welt beitragen. Wäre es nicht toll, wenn die Schule 2040 so zu einem Hobby statt zu einem Müssen für Kinder und Jugendliche würde? Wie viel wäre gewonnen, wenn Schule stärker als Lern-, Erlebnis- und Erfahrungsraum wahrgenommen und geschätzt würde?

Welche Rolle wird die Lehrperson noch spielen?
Der Vertreter der Studierenden vertrat die Ansicht, dass die KI (künstliche Intelligenz) den Schülerinnen und Schülern in Zukunft fachlich alles beibringen könne, was heute eine Gymnasiallehrperson vermittle. Im Gegensatz zur Lehrperson werde die KI aber keine Fehler machen. Mit dieser provokativen Feststellung war eine heftige Diskussion über die Rolle der Lehrperson im Jahr 2040 lanciert.

Wozu brauche es noch Lehrpersonen? Als Vorbild? Um Authentizität, Begeisterungsfähigkeit zu vermitteln und emotionales Lernen zu ermöglichen? Die provokative Gegenthese einer anderen Lehrperson «Soll die Lehrperson durch künstliche Intelligenz ersetzt werden, so muss die KI so gut sein, dass sie auch Fehler macht und nicht immer angemessen reagiert». Die Antwort eines Gymnasiasten beruhigte die anwesenden Lehrpersonen: «Ich würde eine echte Lehrperson der KI auf jeden Fall vorziehen».

Die Schulen heute müssen wohl ein viertes, eigenes Modell entwerfen, welches die Stärken der beschriebenen Schulen aufnimmt und flexibel bleibt für künftige Entwicklungen. Darin müssten Interdisziplinarität und der Aufbau von überfachlichen Kompetenzen gebührend berücksichtigt werden. Deren konsequente Förderung würde aktuell durch strikte Stundentafeln und andere strukturelle Vorgaben behindert.

Ausgehend von konkreten Erfahrungen aus der Praxis konnten die Teilgebenden am Nachmittag der Tagung in Barcamps ihren eigenen Unterricht weiterentwickeln und so ihrer Vision von Schule 2040 einen (kleinen) Schritt näherkommen. Gute Weiterbildung und konstruktive Kooperation sind durchaus auch auf Distanz möglich!

Schule der Zukunft heute denken
Am Nachmittag richtete sich der Blick der Teilnehmenden auf die Gegenwart. Konkret ging es darum, den eigenen Unterricht schon heute in die gewünschte Richtung weiterzuentwickeln. In einem sogenannten Barcamp wurden spontan konkrete Ideen, Projekte und Anliegen diskutiert, erarbeitet und weiterentwickelt.

In einer ersten Barcampsession wurden vorwiegend Good-Practice-Beispiele mit digitalen Schwerpunkten aus dem Unterrichtsalltag vorgestellt und deren Entwicklungsmöglichkeiten diskutiert.. Wie lassen sich diese Projekte im Hinblick auf zukünftigen Fernunterricht optimieren? Welche Erfahrungen mit digitalen Medien finden künftig generell Eingang in den Unterricht?

In den nachfolgenden beiden Barcampsessions standen interdisziplinäre Themen zur Wahl: Wie sieht das Lehrmittel der Zukunft aus? Welche Herausforderungen stellt der digitale Unterricht an die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Lernenden?  Chancen und Grenzen von Lehrvideos oder neue Prüfungsformen im digitalen Unterricht.