Publikationsdatum 27.05.2023

Das Wort des Dekans Joachim Negel - FS 2023/III


Liebe Mitglieder der Theologischen Fakultät
Liebe Freundinnen und Freunde

Das bevorstehende Pfingstfest ist einmal mehr Anlaß, über das elementare Zusammenspiel von Gott und Sprache nachzudenken. Denn „Theologie“ in des Wortes eigentlichem Sinn ist ja nichts anderes als der Versuch, Gott zu Wort kommen zu lassen – Gott, nicht den Theologen! Wie aber soll zu Wort kommen, was, obgleich Urgrund aller Sprache, jenseits aller Sprache ist? Wie ins Wort bringen, was menschliche Sprachlichkeit sprengt? Gilt für die Rede von Gott nicht genau jener Satz, mit welchem Ludwig Wittgenstein seinen berühmten „Tractatus“ beendete: „Wovon man nicht sprechen kann, davon muß man schweigen“? 

In der Tat müßte jeder Versuch, von Gott zu sprechen, durchzittert sein von einem ehrfürchtig-furchtsamen Schweigen. Das vollmundige Von-Gott-Reden, das manchen Gläubigen wie auch manchem Atheisten zu eigen ist, hat etwas Peinliches. Elias Canetti, der große Romancier, hat in einem seiner Bücher hierfür den herrlichen Ausdruck „Gottprotz“ geprägt. Der Gottprotz (es gibt auch athei­stische Gottprotze) ist einer, der immer schon weiß, was bzw. wer Gott ist oder auch nicht ist, was er will oder nicht will usw. Solche Leute sind in hohem Maße anstrengend, denn sie überspringen leichtfüßig die Diskrepanz zwischen dem schweigenden Sprechen Gottes (Wann hätte man Gott je reden gehört?) und einer redseligen Glaubensverkündigung. Und so reden sie unablässig über Gott, ihn selbst aber lassen sie nicht zur Sprache kommen. – Freilich, wie soll man Ihn, den Unnennbaren, zur Sprache kommen lassen?

Hier lohnt ein Blick ins Neue Testament. Auch wenn sich das Wort „Theologie“ oder gar das Wort „Theologe“ in keiner einzigen der neutestamentlichen Schriften findet, so wird dort immer wieder von Gott gesprochen wird, und zwar weil Gott – spricht, dies aber nie direkt, sondern im Zeugnis derer, die sich von ihm, dem Unnennbaren, als ergriffen, bedrängt, verfolgt, begehrt, gelitten, umworben, verführt, gemocht, geliebt erleben. Es scheint, daß Gott, eben weil er der Unnennbare ist, sich niemals in einem „chemisch reinen“ Sinn „objektiv“ als er selbst vernehmbar macht, sondern immer nur im Zeugnis derer, die sich von ihm als berührt erleben. Darin liegt das Prekäre, Schillernde aller Gottesrede, auch und gerade der biblischen. Das subjektive Moment ist aus keiner Gottesrede zu eskamotieren. Das muß freilich nicht im Umkehrschluß heißen, alle Gottesrede sei ausschließlich subjektive Menschenrede. Im Gegenteil, daß ich berührt wurde und diese Berührung mich zu einem Wort drängt, ist nichts, was ich mir selber ausgedacht hätte. Meine besten Ideen stammen gar nicht von mir, sie sind mir, wie man ganz zu Recht sagt, „eingefallen“; da ist immer auch etwas Unableitbares im Spiel. Der Philosoph Hans Blumenberg nannte dieses Inkommensurable, dieses Unableitbar-Unnennbare, das aller menschlichen Gottesrede zugrunde liegt, einmal den „Absolutismus der Wirklichkeit“. Ihm gilt es zu entkommen, ihn gilt es zu domestizieren und in Sprache zu bringen, um menschlich leben können.

Damit geraten wir unmittelbar in Reichweite des Pfingstfestes. Denn Pfingsten, jenes christliche Fest 50 Tage nach Ostern, begeht und bedenkt, daß der tödliche Absolutismus der Wirklichkeit auf Distanz gerückt ist, die Stummheit der Zungen sich lösen, die Erschöpfung des Geistes sich auffrischen und die depressive Gestimmtheit der Seelen und Leiber in eine Heiterkeit und Fröhlichkeit verwandelt werden könnte.

Auslöser dieser Erfahrung ist Jesus von Nazareth. Er wurde von seinen Zeitgenossen (Freunden wie Gegnern) erlebt als „Theologe“ durch und durch. – Was ist ein Theologe? Die klas­sische Antwort findet sich nicht in der Bibel, sondern bei Platon: Ein Theologe ist einer, der „des Gottes voll“ (entheos) ist. Ein rechter Theologe ist nicht einer, der über Gott redet (das wäre einer, der theologisiert, und von solchen Leuten gibt es genug); vielmehr ein rechter Theologe ist ein »Gott-Sager«, d.h. einer, der in seinem Reden über Gott den Gott, von dem er sich berührt weiß, zu Wort kommen läßt. Ein Theologe im echten Sinn des Wortes ist insofern eine Art Hermeneut bzw. Dolmetsch, d.h. ein Mensch, der die Wirklichkeit Gottes auf heilsame Weise in die Lebenswirklichkeit der Menschen überträgt.

Mit einem Mal sieht man, weshalb die Lebensgeschichte Jesu von Nazareth nicht nur weihnachtlich, karfreitaglich oder österlich, sondern so elementar pfingstlich geprägt ist. Denn der Her­­meneut par excellence ist ja kein anderer als Jesus selbst. Er ist es, der „Kunde gebracht hat vom Vater“; er ist es, der ihn uns „aus­­legt“ (Joh 1,18) – zunächst in Gestalt aufsehenerregender Symbolhandlungen und Gleichnisse, zuguterletzt in der Gestalt des radikalen Selbst­ein­satzes. Und damit wäre nun auch deutlich, weshalb das Wort „Theologie“, christlich verstanden, ein so überaus pfingstliches Wort ist. Denn wenn Theologie (jenseits bloßen Theologisierens) eine Form menschlichen Redens und Handelns ist, in welcher etwas aufscheint von der Wirklichkeit jenes Gottes, von dem da geredet wird, dann war Jesu Gleichnisrede von Gott als ei­­nem liebenden Vater (und, darin eingeschlossen, Jesu symbo­lisch-darstellendes Han­deln, mit welchem er seinen Gott „als die für den Men­schen unwider­ruflich und voraussetzungslos entschiedene Liebe“ erfahrbar machte) Theologie im eigentlichen und prä­zisen Sinn des Wortes: „Er redete mit Voll­macht [exousía], nicht wie ihre Schriftgelehrten“ (Mk 1,22 parr). In seiner Nä­he wußte man sich dem, von welchem er sprach, nahe.

Was wäre das für eine Theologie, der es gelänge, eine solche Übersetzungskraft an den Tag zu legen?! Es wäre heilsame Theologie durch und durch. Beten wir, daß unser Theologietreiben etwas von dieser Glaubwürdigkeit habe:

Veni creator spiritus[1]

Hierhin, Brise Atemzug,
wo die treuen Seelen sind,
die gänzlich dein eigen sind.
Daß wir neu geschaffen werden,
daß wir off’ne Felder sind
für den Tau von deiner Gnade.

Paraclete, Trösterin,
uns in Gottes Nam‘ gegeben,
aus der Höhe, Funkenfall
neuen Lebens, Flammenglut,
wenn Verzweiflung in uns tobt,
salbe uns mit zarten Händen.

Siebenmal, steht schwarz auf weiß,
hat der Vater dich verheißen
linde Hand auf müdem Kopf –
alle Tage dieser Wochen,
unsrer Jahre, siebenmal
klingst du auf aus unsrer Kehle.

Kalt mein Fleisch, säe dein Licht –
Lust weck meine Lust doch wieder.
Feind zwingt meinen Leib danieder.
Du allein kannst ihn verjagen.
Du allein die Fährfrau sein.
Du entführst mich aus dem Bösen.

Niemals hab‘ ich Gott gesehen,
nicht den Vater, nicht den Sohn.
Du der beider Geistkraft bist,
laß in ihrer Lieb‘ mich wohnen.
Danke, daß du mich gesucht,
Paraclete, Atemzug.


[1]     Übersetzung des „Veni Creator Spiritus“ (Hrabanus Maurus, um 820) durch Huub Osterhuis (1933 – 2023), ins Deutsche übertragen von Alex Stock in: Alex Stock, Andacht. Zur poetischen Theologie von Huub Osterhuis, St. Ottilien 2011, 177-185.