Publikationsdatum 12.08.2025

Berücksichtigung der Gender-Dimension in der Hochschullehre – eine Frage der Qualität und Gerechtigkeit


Obwohl Frauen mittlerweile die Mehrheit der Hochschulabsolvierenden stellen, bestehen in den Hörsälen nach wie vor geschlechtsspezifische Ungleichheiten, die sich auch auf den akademischen Werdegang auswirken. Die Berücksichtigung der Gender-Dimension in der Hochschullehre bedeutet, konkret auf diese Dynamiken einzuwirken und zu einer hochwertigen, inklusiven und gerechten Pädagogik beizutragen.

In vielen Ländern, darunter auch in der Schweiz, stellen Frauen heute die Mehrheit der Hochschulabsolvierenden. Aktuelle Berichte zeigen jedoch, dass Parität allein nicht ausreicht, um Gerechtigkeit zu gewährleisten, und dass geschlechtsspezifische Ungleichheiten weiterhin bestehen: fachliche Segregation, eingeschränkter Zugang zu Führungspositionen und insbesondere zu akademischen Karrieren sowie sexistisches Verhalten und Belästigung (Mott, 2022; Nouwynck & Uyttebrouck, 2023). Diese Berichte betonen, dass Universitäten eine zentrale Rolle bei der Reproduktion oder Infragestellung dieser Ungleichheiten spielen (Rosa & Clavero, 2022) und fordern eine explizite Berücksichtigung der Gender-Dimension im Hochschulwesen (Nouwynck & Uyttebrouck, 2023).

Warum soll das Thema Gender in der Hochschulbildung behandelt werden?

In Hörsälen spielen sich selten keine Gender-Dynamiken ab. Diese können sich auf subtile Weise zeigen – durch die Wahl der Beispiele, die Verteilung der Redezeit, die Bewertungsmodalitäten oder auch die impliziten Erwartungen an die Studierenden – oder auf offensichtliche Weise durch stereotypische Bemerkungen oder Haltungen. Diese Dynamiken können sich auf das Gefühl der Legitimität, die Beteiligung im Unterricht und den akademischen Erfolg auswirken.

Die Einbeziehung einer Genderperspektive in die pädagogische Praxis wirkt sich daher direkt auf die Qualität der Lehre und die Chancengleichheit aus. Eine hochwertige Hochschullehre garantiert allen optimalen Lernbedingungen und trägt dazu bei, Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Ausbildung und Karriere abzubauen.

Eine Herausforderung … und eine Chance für die professionelle Weiterentwicklung

Die geschlechtergerechte Gestaltung der Hochschullehre ist kein einfaches Vorhaben, da sie eine Hinterfragung der eigenen Praxis und den Erwerb spezifischer Kompetenzen erfordert. Um Lehrpersonen bei diesem Vorhaben zu unterstützen, bietet die Dienststelle für Hochschuldidaktik und digitale Kompetenzen (DidaNum) der Universität Freiburg (CH) das Tool "Geschlechtergerechte Hochschullehre  | Pour un enseignement supérieur sensible au genre" (auf Deutsch und Französisch verfügbar) an.

Diese Online-Ressource basiert auf einem Fragebogen zur Selbstevaluation, der zwei Ansätze verfolgt: Der implizite Ansatz bietet einen ersten Einstieg in das Thema, während der explizite Ansatz darauf abzielt, die Reflexion zu vertiefen. Der Fragebogen ermöglicht es, je nach Bedarf verschiedene Dimensionen der Lehre zu untersuchen:

  • Kommunikation durch die Lehrperson
  • Fachinhalte
  • Lehr-/ Lernmethoden
  • Interaktionen in der Lehre
  • Selbstverständnis als Lehrperson
  • Überprüfung der Leistungen von Studierenden
  • Evaluation der eigenen Lehre

Jeder Abschnitt enthält Definitionen und Handlungsempfehlungen. Ein Glossar und eine Bibliografie ermöglichen es, die Aspekte, die nach der Selbstevaluation als vorrangig identifiziert wurden, zu vertiefen. Die Nutzung des Tools erfolgt anonym, mit der Möglichkeit, die Ergebnisse zu speichern, um die Entwicklung der eigenen Praktiken im Laufe der Zeit zu verfolgen. Ein zusätzlicher Teil ist der Analyse der Studiengänge gewidmet. Diese Ressource richtet sich an alle, die ihre Lehrpraxis im Hinblick auf Inklusion weiterentwickeln möchten.

Auf dem Weg zu einer inklusiven Pädagogik

Das Tool wurde nach dem von Dehler & Gilbert (2010) vorgeschlagene Konzept der geschlechtergerechten Gestaltung von Hochschullehre entwickelt und 2020 und 2024 aktualisiert. Es verbindet Gender-Dimension, Studierendenzentrierung und Offenheit für Diversität. So werden Aspekte wie soziale und kulturelle Herkunft, sexuelle Orientierung, religiöse Überzeugung, Alter oder Behinderung zusätzlich zur Gender-Dimension punktuell berücksichtigt.

In diesem weiteren Sinne bietet das Instrument HEAD CD Frame (Higher Education Awareness for Diversity Curriculum Design) einen integrativen Rahmen zur Unterstützung der Konzeption inklusiver Studiengänge, die mehrere Diversitätsachsen, darunter kognitive und disziplinäre Aspekte, einbeziehen (Gaisch & Linde, 2020). Es ist in der Tat von entscheidender Bedeutung, eine pädagogische Kultur zu fördern, die der zunehmenden Heterogenität der Studierenden gerecht wird. Dies ist das Ziel der inklusiven Pädagogik, die darauf ausgerichtet ist, ein Lernumfeld zu schaffen, das den unterschiedlichen Bedürfnissen entgegenkommt und in dem sich jede/r Studierende/r legitimiert fühlt und sich voll einbringen kann.

Wir laden Sie ein, Ihre Lehrveranstaltungen mit Hilfe des Online-Tools selber zu evaluieren und die umfangreichen Ressourcen zu konsultieren. Die DidaNum-Dienststelle steht Ihnen im Rahmen seines Beratungsangebots auch für alle Fragen im Zusammenhang mit geschlechtergerechter Hochschullehre zur Verfügung.

Zum Online-Tool auf Deutsch oder Französisch

Um sich zu diesem Thema weiterzubilden und auszutauschen

Pädagogische Pause am 9. September 2025 "Enseignement sensible au genre et enseignement inclusif: découverte d’un outil d’auto-évaluation et d’auto-formation" (auf Französisch, Teilnahme auf Deutsch willkommen)

Um sich zu diesem Thema zu informieren

Capsules vidéo "Vers un langage plus inclusif" (Pascal Gygax & Natasha Stegmann pour l’EPFL): https://www.epfl.ch/about/equality/fr/langage-inclusif/outils/capsules/

Vidéo de présentation des travaux de Pascal Gygax à l’occasion de son obtention du Prix scientifique suisse Marcel Benoist 2024: https://www.youtube.com/watch?v=-riz9ca0BUs&t=1s

Webseite der Dienststelle Gleichstellung, Diversität und Inklusion der Universität Freiburg (CH): https://www.unifr.ch/egalite/de/

Webseite swissuniability – Inklusionssensible Hochschullehre: https://www.swissuniability.ch/de/Barrierefreiheit/Inklusionssensible-Hochschullehre

Referenzen

Dehler, J. & Gilbert, A.-F. (2010). Geschlechtergerechte Gestaltung der Hochschullehre. In B. Berendt, H.-P. Voss & J. Wildt (Hrsg.), Neues Handbuch Hochschullehre: Lehren und Lernen effizient gestalten (G 2.6). Raabe.

Gaisch, M. & Linde, F. (2020). Der HEAD CD Frame: Ein ganzheitlicher Zugang zu einem inklusiven Curriculum-Design auf Basis des HEAD Wheels. Diversität konkret. Handreichung für das Lehren und Lernen an Hochschulen, 01. Zentrum für Hochschulqualitätsentwicklung der Universität Duisburg-Essen. DOI: 10.17185/duepublico/71251

Mott, H. (2022). Gender equality in higher education: maximising impacts. British Council.

Nouwynck, S. & Uyttebrouck, E. (2023). Pour une pédagogie universitaire sensible au genre: 8 fiches-outils. Université Libre de Bruxelles. https://cescup.ulb.be/wp-content/uploads/2023/03/Pour-une-pedagogie-universitaire-sensible-au-genre.pdf

Rosa, R. & Clavero, S. (2022). Gender equality in higher education and research. Journal of Gender Studies, 31(1), 1-7, DOI: 10.1080/09589236.2022.2007446