Wie wird das Recht im Film dargestellt? Die Auswahl der Rechtswissenschaftlichen Fakultät präsentiert Ihnen jedes Jahr sechs Vorführungen mit je einem bestimmten Thema, die zum Entdecken einladen. Mit Prof. Eva Maria Belser haben wir über das diesjährige Sujet Krisen gesprochen. Die Film-Vorführungen stehen übrigens allen Interessierten unserer Universitätsgemeinschaft offen!
Eine Filmreihe zum Thema Krise … Wenn eine Krise nach der anderen kommt, ist das nicht sehr amüsant!
Wir haben schön etwas gezögert, ob wir wirklich das Thema Krise wählen sollen, weil wir doch ein wenig krisengesättigt sind. Wir haben dann aber gefunden, dass wir den Dialog suchen wollen zwischen Filmkunst und Recht. Bei der Filmauswahl haben wir aber darauf geachtet, dass wir nicht eine ganze Zahl erdrückender Filme haben. Wir haben auch humorvolle Filme, Satire-Filme … und wollen Krise durchaus auch als Chance diskutieren; als chaotische Möglichkeit, etwas Neues zu entwickeln.
Wie haben Sie Ihre Auswahl getroffen?
Michel Heinzmann und ich können nicht gleich tausend Filme selektionieren, aber wir haben doch einen langen Prozess der Filmselektion durchlaufen und haben uns auch von Lucie Bader beraten lassen. Wir sind ein ganzes Team; mit Assistentinnen und Assistenten, die recherchieren. Und bevor wir das Programm gemacht haben, haben wir als Team tatsächlich auch Filmabende gemacht. Wir haben viele Filme visioniert, verworfen, weitergesucht … Es war doch ein monatelanger Prozess, bis das Programm stand.
Kann das Recht Krisen verhindern? Inwiefern zeigt sich das in den Filmen?
Genau diese Frage möchten wir diskutieren. Uns interessieren nicht die Krisen an sich, sondern welche die Rolle des Rechts darin ist. Wann muss man Krisen voraussehen? Wie kann man aus Rechtsordnung Krisen verhindern? Vielleicht Folgen von Krisen abwenden oder mildern? Sind wir überhaupt richtig unterwegs in Bezug auf die Krisen, die wir hier vor der Tür haben? Covid haben wir jetzt extra nicht thematisiert, auch nicht Krisen wie Krieg oder Klima, denn wenn wir an Krisen denken, denken wir auch an Identitätskrisen, Beziehungskrisen, Entwurzelungskrisen … und möchten uns bei jedem Thema diese Fragen stellen: Was betrifft uns? Was ist die Rolle des Rechts? Wo kann es unterstützen, fördern, schützen? Und machen wir das eigentlich richtig?
Aktueller geht es nicht: Sie zeigen einen Film, der eine Ukrainerin porträtiert, die in der Schweiz Zuflucht findet. Was hat das Recht mit dieser Geschichte zu tun?
Das war unser Eröffnungsfilm. Wir haben uns gesagt: Wenn wir Krise thematisieren, dann müssen wir die Ukraine zum Thema machen. Wir haben es gemacht anhand dieses preisgekrönten Schweizer Films Olga, der nicht die jetzige Kriegssituation behandelt, sondern die Euromaidan-Revolution. Wir hatten unsere Migrationsexpertin Sarah Theuerkauf dabei, die uns z.B. den Schutzstatus erläutert hat, den Personen, die aus der Ukraine haben flüchten müssen und in die Schweiz gekommen sind, jetzt geniessen. Dieser wurde zum ersten Mal in der Geschichte aktiviert. Wir haben versucht zu verstehen, was das bedeutet und in Kontext gesetzt zu den Geschehnissen in der Ukraine bis zum heutigen Tag. Das Recht ist hier in vielfältiger Weise involviert: Fragen zum Schutzstatus, der Sanktionen gegenüber Russland, Neutralität, Reisebeschränkungen … Das Recht ist mittendrin.
In Woman at War geht es auch um zivilen Ungehorsam. Was sagt das Recht dazu? Dura lex sed lex oder verdient die Dringlichkeit der Klimakrise im Gegenteil eine gewisse Nachsicht, wie im Prozess gegen die jungen Aktivist_innen bei der Credit Suisse?
Ich will das jetzt nicht vorwegnehmen, weil das in zwei Wochen grosses Diskussionsthema sein wird. Ich glaube nicht, dass unsere Rechtsordnung im Moment eine Antwort bereithält. Es gibt Städte und Kantone, Staaten und Provinzen, die den Klimanotstand erklärt haben. Aber welche Bedeutung das rechtlich genau hat, ist nicht klar. Wahrscheinlich muss man auch differenzieren, welche Bedeutung es im öffentlichen Recht hat, für die Dringlichkeitsgesetzgebung und für das Strafrecht. Aber wir freuen uns sehr auf die Diskussion. Wir werden unseren Alumnus Raphael Mahaim hier haben. Er ist einer der Anwälte, der damals in Lausanne die Jugendlichen verteidigt hat, die in der Credit Suisse Tennis gespielt haben. Er wird nach dem Film genau über diese Frage referieren.
Der Film Parasite scheint zu zeigen, dass Armut manche Menschen dazu zwingt, das Gesetz zu brechen: Man kann z.B. dazu gezwungen sein, zu stehlen, um sich zu ernähren.
Das ist ein ausgezeichneter Film aus Südkorea, der tatsächlich eine Krise thematisiert, die wir wahrscheinlich vernachlässigen, weil wir den spektakulären Krisen hinterherrennen. Es geht um die Krise der wachsenden sozioökonomischen Ungleichheiten; weltweit ohnehin, aber auch innerhalb jedes Staates. Der Film porträtiert eine sehr reiche Familie – in anderen Ländern würde man von einer Oligarchen-Familie sprechen – und eine Familie am unteren Ende der Skala. Tatsächlich ist diese Familie, weil das soziale System zu wenig stark ist, darauf angewiesen, sich parasitär an diese reiche Familie anzudocken. Das Schöne am Film ist aber, dass man am Ende nicht weiss, wer denn nun genau der Parasit ist. Ist nicht jene Familie der Parasit, die von Anfang an diese Ungleichheit hat erzeugen lassen? Es ist ein wunderbarer Film, weil diese ganze Hierarchie unserer Gesellschaft auch filmisch wunderbar in Szene gesetzt wird: Es gibt immer Treppen nach oben, nach unten, Obergeschoss, Keller … Und es ist ein Film, der dauernd dreht und überrascht: Wer ist jetzt Opfer? Wer ist Täter? Als Zuschauer_innen werden wir sehr herausgefordert.
Welcher Film hat Ihnen am besten gefallen und warum?
Wir haben viele Filme erst ausgewählt und nach dem Anschauen und langen Diskussionen wieder verworfen. Ich muss sagen, dass ich mich in jeden dieser sechs Filme, die wir zeigen, verliebt habe. Ich bin von jedem einzelnen begeistert. Wenn ich aber spontan einen Lieblingsfilm wählen müsste, würde ich Parasite nehmen. Gerade, weil mich diese soziale Frage und die filmische Darstellung einfach völlig begeistern.
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