Aktuelle Ausgabe
Volume 116 (2022)
THEMA - THÈME: KATHOLIZISMUS ZWISCHEN DEN BEIDEN WELTKRIEGEN
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Franz Xaver Bischof, Franziska Metzger, David Neuhold, Markus Ries | Einleitung zum Themenschwerpunkt
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David Neuhold | Wenn Religion politisch und ökonomisch (un)mittelbar sich auswirkt… – Der Fall des österreichischen Priesters Johannes Ude und dessen Landesverweis aus Liechtenstein von 1932
Wenn Religion politisch und ökonomisch (un)mittelbar sich auswirkt… – Der Fall des österreichischen Priesters Johannes Ude und dessen Landesverweis aus Liechtenstein von 1932
Johannes Ude war ein sperriger Zeitgenosse. Rhetorisch hoch begabt, begeisterte er mit seinen elektrisierenden Reden in der Zeit der Wirtschaftskrise und der Zwischenkriegszeit. Er kann als alternativer und zugleich (ultra)konservativer Reformer gelten, dessen kognitiven und organisatorischen Fähigkeiten nicht nur in der Zeit selbst beeindruckten. Weil er der Freiwirtschaftsbewegung Silvio Gesells anhing und als katholischer Priester und Universitätsprofessor als einflussreiche Person galt, ereilte ihn 1932 in Liechtenstein ein Landesverweis, der in der Geschichte seinesgleichen sucht. Ude wich darauf hin in seiner antikapitalistischen «apostolischen, prophetischen Tätigkeit» in die Schweiz aus. Vorliegender Beitrag fusst auf der Habilitationsvorlesung des Autors von 2018.
Johannes Ude – Zwischenkriegszeit – Schweiz – Freiwirtschaftslehre – Lebensreform – Zinsverbot – Wirkungsgeschichte – Aussenseiter. -
Thomas Zaugg | The Rerum Novarum Terrace Restaurant – New Questions About Corporatism, Democracy, and Milieu Catholicism in Switzerland Between 1891 and the 1950s
Das Terrassenrestaurant Rerum novarum – Neue Fragen zu Korporatismus, Demokratie und Milieukatholizismus in der Schweiz zwischen 1891 und den 1950er Jahren
Unter dem Begriff «Korporatismus» formulierten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl der politische Katholizismus als auch liberale Kreise verschiedene Ideen zur Reform von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Der vorliegende Beitrag beleuchtet anhand der schweizerischen Diskussion die in der Forschungsliteratur bislang vernachlässigte Zeit nach 1935. Das Kernargument lautet, dass die Auseinandersetzung katholischer Politiker mit korporatistischen Ideen nicht allein vor dem Hintergrund des österreichischen Ständestaats interpretiert werden kann, sondern auch als eine konflikthafte und im Einzelnen oft widersprüchliche Aussprache mit liberal-kapitalistischen und gewerkschaftlichen Ideen verstanden werden muss, die mittelfristig aus dem katholischen Milieu hinausführte. In diesem Prozess spielte die Vorstellung eines demokratisch fundierten, durch die bestehenden
liberalen Wirtschaftsverbandsstrukturen geprägten Korporatismus eine entscheidende Rolle.
Korporatismus – Demokratie – Milieukatholizismus – Schweiz – katholische Kirche – Rerum novarum – Liberalismus – Wirtschaft – Staat. -
Kerstin Wirz-Burkard | Joseph Becks Der neue Schulkampf (1918) – Eine Schrift im Spannungsfeld von Schule, Religion und Staat
Joseph Becks Der neue Schulkampf (1918) – Eine Schrift im Spannungsfeld von Schule, Religion und Staat
Joseph Beck, römisch-katholischer Priester und Professor für katholische Theologie an der Universität Fribourg, war mehrere Jahrzehnte eine prägende Figur im Bereich der Politik und der katholischen Kommunikationsgemeinschaft in der Schweiz. Wie beurteilte Joseph Beck die Debatten rund um die Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 in Bezug auf die Schulthematik anhand seiner Schrift Der neue Schulkampf von 1918? Wie sind aus seinen Schilderungen persönliche Haltungen zur Thematik Schule-Religion-Staat ersichtlich? Der Artikel geht diesen Fragen nach und beleuchtet dazu auch die historischen Hintergründe, wobei der Kulturkampf und die Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert essenzielle Grundlagen darstellen.
Joseph Beck – Nationales Erziehungsprogramm – Nationale Erziehung – Spannungsfeld Schule-Religion-Staat im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert – Kulturkampf – katholisch-konservativ – radikal-liberal – Volksschule. -
Peter Heim-Niederer | Im Banne des Zeitgeistes – Die katholische Regionalzeitung Der Morgen 1933–1945
Im Banne des Zeitgeistes – Die katholische Regionalzeitung Der Morgen 1933–1945
Anhand von Stichproben (Machtübernahme Januar 1933, Anschluss Österreichs März 1938, Fall Frankreichs Sommer 1940, Kriegsende 1945) wird untersucht, wie die im Oltner Walter Verlag gedruckte katholische Tageszeitung Der Morgen über die Vorgänge im nationalsozialistischen Deutschland berichtete. Dabei stellt sich heraus, dass die Zeitung und insbesondere auch Otto Walter, der Gründer, Hauptdirektor und Titular des renommierten Oltner Verlagshauses, die Entwicklung im nationalsozialistischen Deutschland bewunderten, und zwar in einer Weise, die über das hinausging, was in den anderen bisher untersuchten konservativen Blättern der deutschen Schweiz festgestellt werden konnte. Der Terror der Naziherrschaft und insbesondere das Grauen der Konzentrationslager wurden der Leserschaft bis gegen Ende des Krieges weitgehend verschwiegen, und gelegentlich gab sich das Blatt auch zur Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda her.
Kulturkampf – Integralismus – Rechtskatholizismus – Antisozialismus – Antibolschewismus – Antisemitismus – Nationalsozialismus – Konzentrationslager – Anpasserei – Pressekontrolle. -
Daniel Annen | Theologische Aspekte in Meinrad Inglins Ingoldau-Roman – Religiöser Geschäftsbetrieb als Sünde wider den Heiligen Geist
Theologische Aspekte in Meinrad Inglins Ingoldau-Roman – Religiöser Geschäftsbetrieb als Sünde wider den Heiligen Geist
Im Jahre 1913 verlässt Meinrad Inglin (1893–1971) das Gymnasium im Kollegium Maria Hilf in Schwyz. Von dieser stark katholisch geprägten Mittelschule nahm er wichtige Begriffe mit in sein späteres Leben. Gerade darum konnte er sich während der Kriegsjahre zunehmend einer idealistisch vorgestellten Göttlichkeit öffnen, wie sie sein wichtigster Lehrer an der Universität Bern, der auch von der Psychoanalyse geprägte Philosoph Paul Häberlin (1878–1960), vertrat. Für seine literarischen Werke aus der Zwischenkriegszeit entwickelte Inglin von da herkommend ein Gottesbild, das neueren katholischen Theologie- Konzepten erstaunlich nahe ist. In Zusammenhang damit beleuchtete er gesellschaftliche Tendenzen kritisch, mehr noch: Er entfaltete neue Dimensionen innerer und äussererFreiheit.
Meinrad Inglin – Ingoldau – katholisches Milieu – Freiheit – idealistisches Gottesbild. -
Heidy Greco-Kaufmann | Oskar Eberle (1902–1956) – Theater im Spannungsfeld von individueller und nationaler Identitätssuche
Oskar Eberle (1902–1956) – Theater im Spannungsfeld von individueller und nationaler Identitätssuche
Der im katholischen Milieu der Innerschweiz sozialisierte und an den Universitäten in München, Berlin und Fribourg ausgebildete Oskar Eberle profilierte sich in der Zwischenkriegszeit als Theaterwissenschaftler und Regisseur im kulturpolitischen Diskurs der Schweiz. Auswüchsen moderner Grossstadtkultur stand er genauso kritisch gegenüber wie erstarrten Konventionen des Katholizismus. Geprägt durch persönliche Erfahrungen und gesellschaftspolitische Strömungen machte er es sich zur Aufgabe, die katholische Laienspieltradition zu erneuern und mittels Publikationen und Inszenierungen eine nationale Theateridentität zu konstruieren. Eberles Wirken geriet im Zuge der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Zeit der «geistigen Landesverteidigung» in Misskredit. Die Problemfelder werden im vorliegenden Beitrag anhand neu erschlossener Quellen beleuchtet.
Theater – Katholizismus – Kulturpolitik – Zwischenkriegszeit – Schweiz – Laienspieltradition – geistige Landesverteidigung – Identitätssuche.
DOSSIER 175 JAHRE BISTUM SANKT GALLEN
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Franz Xaver Bischof | 175 Jahre Bistum St. Gallen – Einleitung
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Sebastian Wetter | Die Errichtung des Bistums St. Gallen – Ein Drama in fünf Akten
Die Errichtung des Bistums St. Gallen – Ein Drama in fünf Akten
Instabilis rerum humanarum: Die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge – so beginnt die Bistumsbulle von St. Gallen. Treffender hätte Papst Pius IX. den Errichtungsakt der Diözese nicht einleiten können, wenn man sich die bewegte Gründungsgeschichte des Bistums vor Augen führt. Sie fiel in eine Zeit, die von politischen Umwälzungen geprägt war, welche die Französische Revolution ausgelöst hatte und welche 1803 zur Gründung des Kantons St. Gallen führten. Der Fürstabt von St. Gallen konnte sich als Landesherr nicht behaupten und riss mit dem Beharren auf seiner politischen Herrschaft auch die Klostergemeinschaft mit in den Abgrund. Mit der Auflösung des Bistums Konstanz wurde man zudem kirchlich heimatlos. Damit begannen die Verhandlungen um ein eigenes Bistum, die 1823 zum Doppelbistum Chur-St. Gallen führten. Unzufrieden mit dem «Halbbistum» handelte man schließlich ein Konkordat mit dem bis heute bedeutenden Bischofswahlrecht des Domkapitels aus, woraufhin Pius IX. im Jahr 1847 die Diözese St. Gallen errichtete.
Bistum Sankt Gallen – Gründung – Doppelbistum – Französische Revolution – Pius IX. – 1847 – Kanton Sankt Gallen. -
Franz Xaver Bischof | Zweites Vatikanisches Konzil. Herausforderungen der späten 1960er Jahre und Synode 72
Zweites Vatikanisches Konzil, Herausforderungen der späten 1960er Jahre und Synode 72
Das Zweite Vatikanische Konzil und die Synode 72 der Schweizer Katholiken bildeten einen markanten Wendepunkt in der Geschichte des Bistums St. Gallen. Der nachkonziliare Aufbruch, wie er vor allem durch die Liturgiereform, die Einrichtung neuer Beratungsgremien und die Auffächerung der kirchlichen Dienste geprägt war, führte zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Seelsorge. Vor dem Hintergrund der sozio-kulturellen Transformationsprozesse, für die exemplarisch die Reaktionen auf die Enzyklika Humanae vitae stehen, fand die Synode 72 statt, die gesamtschweizerisch vorbereitet und in den Jahren 1972 bis 1975 in den Schweizer Diözesen und der Territorialabtei St. Maurice getrennt durchgeführt wurde. Sie wurde im Bistum St. Gallen für die Synodenmitglieder zu einem einzigartigen Kirchenerlebnis, machte aber auch deutlich, dass das kirchlich-religiöse Leben plural geworden war. Obschon das Echo in den Pfarreien zurückhaltend blieb, haben ihre Ergebnisse an Aktualität und Brisanz nichts verloren.
Zweites Vatikanisches Konzil – Bistum St. Gallen – nachkonziliarer Aufbruch – soziokulturelle Transformationen – Humanae vitae – Synode 72 der Schweizer Katholiken – Synodalität. -
Eva-Maria Faber | Kirchliche Ämter im Kontext pastoraler Umbrüche des Bistums St. Gallen – Die vergangenen 25 Jahre im Horizont des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Synode 72
Kirchliche Ämter im Kontext pastoraler Umbrüche des Bistums St. Gallen – Die vergangenen 25 Jahre im Horizont des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Synode 72
Die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstandene Palette von kirchlichen Ämtern im Bistum St. Gallen muss(te) sich im 21. Jahrhundert veränderten Konstellationen stellen. Dazu gehören eine breite Spanne von Partizipationsformen der Glieder des Volkes Gottes am kirchlichen Leben ebenso wie Ausdifferenzierungen von Diensten und Funktionen in neu definierten pastoralen Räumen. Eine charismen- und bedarfsorientierte Zuweisung von Funktionen verengt für die einzelnen Amtsträger das Spektrum des eigenen Wirkens, ermöglicht aber Spezialisierung und Professionalisierung. Während dies teilweise von je vorgefundenen Erfordernissen her geschieht, wandelten sich die kirchenamtlichen Vorgaben für die auf Ordination beruhenden Ämter nicht zusammen mit den pastoralen Verhältnissen. Daraus erwachsen für die unterschiedlichen Berufsgruppen Identitätsfragen, die Kräfte binden und
eine adäquate Antwort auf zeitgenössische Herausforderungen erschweren.Bistum St. Gallen – pastoraler Wandel – Ausdifferenzierung – kirchliche Ämter – kirchliche Berufgruppen – Seelsorgekultur.
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Arnd Bünker | Eine Kirche im Umbruch – Aktuelle Herausforderungen für das Bistum St. Gallen
Zweites Vatikanisches Konzil, Herausforderungen der späten 1960er Jahre, Synode 72
Das Bistum St. Gallen erlebt massive Transformationsprozesse und grosse Veränderungen. Diese betreffen die religiöse Prägung der Gesellschaft wie das kulturell-identitätsbezogene Selbstverständnis der Kirche. Im Bereich Religion löst sich die traditionelle Kirchenbindung der Bevölkerung zunehmend auf. Binnenkirchliche Distanzierungsprozesse der Gläubigen nehmen zu. Das religiöse «Geschäftsmodell» territorial organisierter Heilsvermittlung verliert an Plausibilität – und damit verbunden auch die territoriale Organisationsstruktur der Pastoral. Eine zweite Transformationsebene liegt im Bereich Kultur und kirchliche Identität. Mit der Erosion des traditionellen Katholizismus steht das Bistum vor der Herausforderung, vielfältige Kirchen-Identitäten der Gläubigen im Sinne einer diskursiv verstandenen offenen Katholizität zu moderieren und zu verbinden. Das Bistum könnte sich mit einem neuen «Geschäftsmodell» als eine Agentur des Christlichen gegenüber der Gesellschaft weiterentwickeln.
Bistum St. Gallen – Entkirchlichung – pastoraler Wandel – Säkularisierung – Individualisierung – Pluralisierung – Katholizismus – Katholizität – Agentur des Christlichen. -
Franz Kreissl | Seelsorgerliche Herausforderungen im 21. Jahrhundert im Bistum St. Gallen
Seelsorgerliche Herausforderungen im 21. Jahrhundert im Bistum St. Gallen
Die grundlegende Herausforderung für die Pastoral des 21. Jahrhunderts besteht darin, die Kirche des 2. Vatikanischen Konzils zu werden – und das unter den stark veränderten Bedingungen der Gegenwart, in der die Kirche für das Leben vieler Menschen keine Relevanz mehr hat. Dafür notwendig ist ein glaubhafter Perspektivenwechsel weg vom Schutz der Institution hin zum Wohl der Menschen, die konsequente Umsetzung der Volk-Gottes- Theologie, die die Berufung aller Getauften ernst nimmt, die Wiederentdeckung der biblischen Vielfalt als Grundlage für die Seelsorge und die Pflege von Gastfreundschaft und Ansprechbarkeit an Stelle von Kontrolle und Bevormundung.
Zweites Vatikanisches Konzil – Bistum St. Gallen – nachkonziliarer Aufbruch – soziokulturelle Transformationen – Volk Gottes – Evangelium.
VARIA
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Stefan Bojowald | Ein Nachtrag zu Bodl. MS. Egypt.a 3 (P), 8, 4
Ein Nachtrag zu Bodl. MS. Egypt.a 3 (P), 8, 4
In diesem Beitrag geht es noch einmal um die demotische Stelle Bodl MS. Egypt.a 3 (P), 8, 4. Im Zentrum steht das Verb «ftft», bei dem erneut für die Bedeutung «empor sprießen» plädiert wird. Das Sprießen der Bäume wird im Zusammenhang mit der Wiedergeburt des Osiris gesehen. In zwei Hymnen des Ephrem Syrus lassen sich Spuren einer ganz ähnlichen Vorstellung finden.
Demotische Philologie – syrische Philologie – sprießende Bäume als Motiv der Wiedergeburt. -
Filip Malesevic | Bernardino Cirillos Verwaltung der karitativen Fürsorge im Rom des späten Cinquecento – Caritas und Pietas im Hospital von Santo Spirito in Sassia
Cinquecento – Caritas und Pietas im Hospital von Santo Spirito in Sassia
Die karitative Fürsorge gegenüber den Kranken und Sterbenden bildete ein Kernstück im Umgang der römischen Kurie mit dem Stadtraum Roms und dessen Gesellschaft. Mit dem Konzil von Trient (1545–1563) gelang es der Kurie, die Verwaltung der Sakramente gezielt auf ein Neuverständnis der römischen caritas auszurichten. Diese Neuauslegung der Sakramente in der Ausübung der karitativen Fürsorge hatte zur Folge, dass die römischen Bruderschaften vermehrt solche Werke der caritas und deren rituellen Merkmale in ihre eigenen Statuten aufnahmen. Damit wurden die Bruderschaften Roms im späten Cinquecento zunehmend als «verlängerter Arm» der kurialen Steuerung der Stadtgesellschaft funktionalisiert. Eine bislang im Zusammenhang mit einem solchen kurialen Programm der caritas noch kaum erschlossene Figur stellt der commendatore des römischen Hospitals von Santo Spirito in Sassia in den Jahren von 1555 bis 1575, Bernardino Cirillo, dar. Der Aufsatz verfolgt deshalb die Absicht, Cirillos Beitrag an der Ausgestaltung der sakramentalen Verwaltungspraxis im posttridentinischen Rom, die ein neues Verständnis römischer Fürsorge generierte, anhand seines bislang unberücksichtigt gebliebenen Briefverkehres nachzuzeichnen.
Bernardino Cirillo – Santo Spirito in Sassia – caritas – pietas – Bruderschaften – Kurie – Papsttum – Konzil von Trient – Rom. -
Giorgio Farabegoli, Piero Garofalo | L’auto-organo nel Canton Ticino
Die automatische Orgel im Kanton Tessin
Die katholische Kirche ist der Ansicht, dass die sakrale Musik von göttlicher Essenz durchdrungen ist, weil sie während der Liturgie zur Verherrlichung Gottes gespielt wird. Sie hat daher immer verhindert, dass sie über mechanische Mittel produziert oder reproduziert wird. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legten die päpstlichen Vorschriften für die Kirchenmusik fest, dass der Klang der Pfeifenorgel allen Qualitäten der Liturgie entsprechen sollte, d. h.eine menschliche und echte, nicht mechanische Kunst sein sollte, was den Einsatz automatischer Orgeln ausschloss. Der italienische Priester Angelo Barbieri (1875–1950) setzte sich für die Vereinbarkeit seiner automatischen Orgel, der so genannten Barbieri-Auto-Orgel, mit der Kirchenmusik ein und nahm 1931 die Produktion auf. Innerhalb von zwanzig Jahren installierte Barbieri über hundert Exemplare seiner Maschine, die automatisch Kirchenmusik in italienischen Kirchen spielte, und erreichte sogar den benachbarten Kanton Tessin, wo er fünf davon aufstellte. Der Absatz im Tessin war geringer als in Italien, weil der Widerstand von Geistlichen und Organisten grösser war. Aufgrund dieser gegensätzlichen Meinungen verbot Bischof Bacciarini ab Februar 1933 offiziell die automatische Orgel in den Kirchen der Diözese Lugano. Der Verkauf des Geräts wurde im Kanton Tessin ab 1948 wieder aufgenommen, als die automatische Orgel die offizielle Genehmigung der Heiligen Kongregation für Riten erhielt. Barbieri hatte jedoch nur wenig Zeit, sein Geschäft wieder aufzunehmen, weil er am 7. April 1950 starb. Die im Kanton Tessin installierten Orgeln wurden nach Jahren der Inaktivität nicht mehr benutzt und ihre Spuren gingen verloren. Es gibt nur noch ein Exemplar, das 1932 in der Kirche San Biagio in Magliaso aufgestellt wurde und sich heute im Besitz der Stiftung Franco Severi in Cesena befindet.
Angelo Barbieri – selbstspielende Orgel – sakrale Musik – Katholische Kirche – Kanton Tessin – Diözese Lugano. -
Albert Gasser | Mystik und Politik. Bruder Klaus in der Erinnerungskultur – 75 Jahre nach seiner Heiligsprechung
Mystik und Politik. Bruder Klaus in der Erinnerungskultur – 75 Jahre nach seiner Heiligsprechung
Bruder Klaus (Niklaus von Flüe) ist der bekannteste Schweizer Heilige. Er lebte im 15. Jahrhundert, und über ihn gibt es eine riesige Menge von Zeugnissen, die in einem zweibändigen Quellenwerk von Robert Durrer 1917–1921 erfasst wurden. Rupert Amschwand hat dazu 1987 einen Ergänzungsband herausgegeben. Die Literatur ist kaum überschaubar. Bruder Klaus ist als der grosse fastende Einsiedler und Ratgeber im Ranft von 1467–1487 in die Geschichte eingegangen. Der Abschied von der Familie erfolgte mit Zustimmung seiner Frau. Der Ranft entwickelte sich zu einer «Intensivstation», wo unzählige Menschen Trost und Hilfe erfuhren, und wo politische Lösungen in intensiven Gesprächen möglich wurden. In seiner Heimat wurde er alsbald als Heiliger verehrt. Die offizielle Heiligsprechung war erst 1947. Bruder Klaus hat als prophetische Gestalt vor der Reformation auch die auf ihn folgenden Reformatoren und die Reformierten beeindruckt. Die Heiligsprechung empfanden viele Reformierte als katholische Vereinnahmung, so dass die Feier 1947 innerhalb der Schweiz in einem konfessionell gereizten Klima stattfand. Heutzutage wird Bruder Klaus wieder überkonfessionell hochgeschätzt und auch im Ausland verehrt.
Niklaus von der Flüe (Bruder Klaus) – Erinnerungskultur – Robert Durrer – Rupert Amschwand – Politk – Mystik – Eros – Prophetie – Konfessionskulturen – Heiligsprechung 1947. -
Hannah Tetlow | The Making and Unmaking of a Protestant Hero – British Perceptions on Martin Niemöller in Context of the German Church Struggle, 1934–1945
Werden und Vergehen eines protestantischen Helden – Britische Wahrnehmungen Martin Niemöllers im Kontext des deutschen Kirchenkampfes, 1934–1945
Martin Niemöller ist bekannt für seine Teilnahme am deutschen Kirchenkampf (1934–1945) und seine Rolle als Gallionsfigur der Bekennenden Kirche, für die er ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht wurde und in Übersee als protestantischer Held Anerkennung fand. Die britische Wahrnehmung Niemöllers kann Aufschluss darüber geben, wie eingehend sein Charakter verstanden wurde und ob er in Großbritannien wie anderswo als «guter Deutscher» galt. Um zu untersuchen, wie Niemöller in Großbritannien im Zusammenhang mit dem deutschen Kirchenkampf wahrgenommen wurde, wurden die unterschiedlichen Wahrnehmungen in der Kirche von England, in den britischen Medien und in der Öffentlichkeit untersucht und eine Reihe von Primärmaterial, darunter die privaten Briefe von George Bell und nationale Zeitungsartikel, ausgewertet. In diesem Artikel wird argumentiert, dass die britische Wahrnehmung Niemöllers zwischen 1934 und 1945 auf und ab ging. Es wird dargelegt, wie das Interesse an Niemöller in Großbritannien zuerst in Schwung kam und wie unterschiedlich die Reaktionen auf seine anfängliche Opposition gegen die Deutschen Christen waren. Anschließend wird der Beginn der Wahrnehmung Niemöllers als Held in Großbritannien nachgezeichnet, die in Büchern und Filmen, die auf seinem Leben basieren, deutlich wird. Im letzten Kapitel wird untersucht, wie Niemöller schliesslich aufgrund negativer Presseberichte und seiner Teilnahme an einer Konferenz in Neapel kurz nach seiner Befreiung im Jahr 1945 seinen Status in Grossbritannien verlor und welche Auswirkungen dies auf die bereits bestehende Wahrnehmung von ihm in Großbritannien hatte.
Martin Niemöller – Deutscher Kirchenkampf – Deutsche Christen – Sachsenhausen – George Bell – Bekennende Kirche – The Times – Geoffrey Dawson – Pastor Hall – Massenbeobachtung – Grossbritannien – Zweiter Weltkrieg. -
Stefan Lemny | «L’affaire» Mircea Eliade au CNRS (1947–1951) – la mémoire des archives
Die «Affäre» Mircea Eliade beim CNRS (1947–1951): das Gedächtnis der Archive
Mircea Eliades erfolglose Bemühungen, 1947 einen Zuschuss für den CNRS zu erhalten, sind nur aus seinen autobiografischen Schriften bekannt. Zwei neue Archivbestände ermöglichen es, den Ablauf der Ereignisse neu zu beleuchten: das Privatarchiv von Alphonse Dupront, dem ehemaligen Direktor des Institut français de Roumanie, und das Archiv des CNRS, welches in den französischen Nationalarchiven aufbewahrt wird und seit kurzem für Forscherinnen und Forscher, die sich für diese Zeit interessieren, zur Einsichtnahme offensteht. Auch wenn diese Archive im Wesentlichen die Gründe für Mircea Eliades tiefe Verbitterung während seines Scheiterns bestätigen, bieten sie ein detaillierteres Bild des Räderwerks, das in diesem Zusammenhang in Gang gesetzt wurde. Die Quellen tragen dazu bei, die Rolle anderer Personen, die ihm unbestreitbar Unterstützung gewährten, besser einzuschätzen, insbesondere Alphonse Dupront, der in der Erinnerungskultur zu Unrecht vergessen wurde.
Mircea Eliade – Alphonse Dupront – CNRS – Geistesgeschichte/Intellektuellengeschichte. -
Rolf Tanner | «Im Herz von Afrika für den Schweizernamen Ehre einlegen» – Biographische Multidimensionalität einer privaten Schweizer Entwicklungshelferin in Rwanda
«Im Herz von Afrika für den Schweizernamen Ehre einlegen» – Biographische Multidimensionalität einer privaten Schweizer Entwicklungshelferin in Rwanda
Von 1970 bis 2007 lebte und arbeitete die Aargauerin Margrit Fuchs als Entwicklungshelferin in Rwanda – zuerst in einem kirchlich geprägten Kontext, ab dem Genozid von 1994 mit einem eigenen Hilfswerk, das sie in Zusammenarbeit mit einem lokalen Priester aufgezogen hatte und vor allem mit Spenden aus der Schweiz finanziert wurde mittels einer Partnerschaft mit der Aargauer Zeitung. Anhand eines multiperspektivischen biographischen Ansatzes werden drei thematische Bereiche untersucht, wie sie sich im Leben von Fuchs niedergeschlagen haben: die schweizerische Präsenz in Rwanda in den siebziger und achtziger Jahren, die Rolle der katholischen Kirche und einer ihrer Führungsfiguren (des Walliser Erzbischofs André Perraudin) in dem afrikanischen Land, und schliesslich die Herausforderungen und Probleme von praktischer Entwicklungszusammenarbeit. Der lange Untersuchungsraum erlaubt, Kontinuitäten wie auch Brüche in der persönlichen Erlebniswelt im Zusammenhang mit diesen drei Bereichen zu identifizieren und diskutieren. Dazu gehören zum Beispiel die unhinterfragte, anfängliche Integration in vorgefundene koloniale und latent rassistische Strukturen der europäischen Gemeinschaft, aber auch der Einfluss des eigenen Patriotismus auf das persönliche Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit wie von Entwicklung prinzipiell. Der Artikel schliesst mit einem Ausblick auf anschlussfähige Forschungsfelder in und über diese Bereiche hinaus.
Ruanda – Entwicklungszusammenarbeit – katholische Kirche – Biografie – schweizerische Aussenpolitk. -
Florian Bock | Die neue «Landlust» – Der Umgang mit der Schöpfung im westdeutschen Katholizismus circa 1960 bis 2000
Die neue «Landlust». Der Umgang mit der Schöpfung im westdeutschen Katholizismus circa 1960 bis 2000
Der Katholizismus ist historisch lange mit einem ländlichen, provinziell-rückständigen Image versehen worden. Dies begann sich im Laufe der 1960er-Jahre zu ändern. Vor allem das «Aggiornamento» des Zweiten Vatikanische Konzils bewirkte – im Zusammenspiel mit der gesamtgesellschaftlichen Planungseuphorie in Westdeutschland – einen Shift hin zu einem Technikoptimismus. Spätestens im Laufe der 1970er aber kam vielen Gläubigen auch die Kehrseite dieses Optimismus zu Bewusstsein: Konnte z.B. die Atomkraft, letztlich unbeherrschbar, nicht auch Gottes Schöpfung massiv schaden? In der niederrheinischen Kirchengemeinde St. Regenfledis wurde diese Gefahr rasch konkret – angesichts der geplanten Errichtung des so genannten «Schnellen Brüters» auf dem Gelände der Gemeinde. Während die lokale kirchliche Hierarchie dazu drängte, das Gebiet zur Errichtung des Atomreaktors zu verkaufen, weigerte sich ein (jüngerer) Teil der Gemeinde hartnäckig und beschritt kirchenrechtliche Wege bis zu Papst Paul VI. Sie fürchteten, so die Quellensprache, eine «Verseuchung» ihres von Gott anvertrauten Landes. Diese neue, bis heute anhaltende katholische «Landlust», sozusagen ein Vorbote der grünen Bewegung, in ihrem wesentlichen Verlauf nachzuzeichnen, ist Anliegen des vorliegenden Beitrages.
«Landlust» – Schöpfung – Fortschritt – Atomkraft – grüne Bewegung – Heinrich Tenhumberg – St. Regenfledis – «Schneller Brüter». -
Johannes Ludwig | Die neue «Landlust» – Der Umgang mit der Schöpfung im westdeutschen Katholizismus circa 1960 bis 2000
Moraltheologie im Wandel. Eine kirchengeschichtliche Analyse im Zeitraum von 1935–1998 auf Grundlage der Ausgaben des Lexikon für Theologie und Kirche
Der Aufsatz diskutiert die Entwicklungslinien der Moraltheologie im Zeitraum von 1935 bis 1998 auf Grundlage der jeweiligen Artikel des Lexikon für Theologie und Kirche. Ausgehend von der Definition der Moraltheologie wird zunächst auf das Selbstverständnis der Moraltheologie geschlossen, um dann deren Systematisierung im Zeitverlauf zu betrachten. Während die Moraltheologie in den 1930er Jahren weitgehend auf die Neuscholastik rekurrierte und im Kontext der Dogmatik situiert wurde, kam sie infolge politischer, gesellschaftlicher und kirchlicher Umwälzungen in den 1960er Jahren in eine tiefgreifende Krise. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Moraltheologie wieder als eigenständige Disziplin etabliert, der nicht nur an der Übersetzung der Dogmatik in die christliche Praxis, sondern auch an der Rezeption der Erkenntnisse anderer Wissenschaften gelegen ist. Dieser tiefgreifende Wandel zog sich bis in die begriffliche Ebene hinein: aus der Moraltheologie wird die Theologische Ethik.Moraltheologie – Theologische Ethik – LThK – Krise – Wandel – Normativität – Gesellschaft.
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Oliver Dürr | Kybernetischer Antichrist – Zur theologischen Dimension der Frage nach dem Bösen im digitalen Zeitalter
Kybernetischer Antichrist – Zur theologischen Dimension der Frage nach dem Bösen im digitalen Zeitalter
In der christlichen Tradition wurde die Figur des ‹Antichrist› in der Regel als individuelle Gestalt verstanden, die konkret identifiziert werden könne. Erst in jüngerer Zeit kann eine Verschiebung beobachtet werden, vom Antichrist als konkret benennbarer Einzelfigur hin zu Konzeptionen von machtvollen (antichristlichen) Strukturen oder Systemen. Der vorliegende Beitrag zeichnet diese historische Entwicklung von Antichristdeutungen anhand zweier Schlaglichter nach: Vladimir Solov’ëv (1853–1900) denkt noch über einen personalen Gegenspieler zu Christus nach, während sich Ivan Illich (1926–2002) bereits mit den strukturellen und institutionellen Herausforderungen seiner Zeit beschäftigt. Die aus diesen unterschiedlichen Antichristkonzeptionen gewonnenen Erkenntnisse werden schliesslich für die theologische Interpretation der anthropologischen Herausforderungen unserer durch die Digitalisierung geprägten kybernetischen Gegenwart fruchtbar gemacht. Die algorithmisch getragenen Techniksysteme des 21. Jahrhunderts haben nämlich das Potential inne, unsere Gesellschaften nachhaltig zu transformieren. Sie sind ein Gut, dessen Perversionen zu vermeiden eine dringliche Aufgabe ist. Denn obwohl sie stets durch menschliche Personen getragen sind, konstituieren solche Systeme eine neuartige Form von ‹apersonalen› Wirkmächten, die als ‹antichristliche› begriffen werden müssen, wo auch immer sie die Würde, Freiheit, Leib und Leben menschlicher Personen bedrohen.
Antichrist – Kybernetik – Digitalisierung – Künstliche Intelligenz – Algorithmen – Sünde – Menschenwürde – Gottebenbildlichkeit.

