PublikationPublié le 13.04.2021

"Wie man mehr als 9000 Rezensionen schreiben kann. Lesen und Rezensieren in der Zeit Albrecht von Hallers" von Claire Gantet und Fabian Krämer


12.04.2021

Albrecht von Haller – Professor für Anatomie, Botanik und Chirurgie in Göttingen, später Politiker und Dichter in Bern und einer der führenden Gelehrten der Aufklärung – war auch als Rezensent bemerkenswert. Die Zeitgenossen waren von der schieren Zahl seiner Buchbesprechungen überaus beeindruckt; ähnlich ergeht es Historikerinnen und Historikern heute. Die Erklärungen, die für seine Produktivität als Rezensent ins Feld geführt wurden und werden, verweisen typischerweise auf Hallers beeindruckend breite Lektüre und sein außergewöhnlich gutes Gedächtnis. Wir argumentieren, dass diese Erklärungen nicht hinreichen: Nur wenn wir auch Hallers Lese- und Exzerpierpraktiken berücksichtigen, gelangen wir zu einer zufriedenstellenden Erklärung seiner Produktivität als Rezensent. Denn es zeigt sich, dass seine erhaltenen Exzerpte und seine veröffentlichten Rezensionen eng miteinander verbunden waren. Wie wir weiter argumentieren, waren die kognitiven Praktiken und der Einsatz von „paper technology“, die Hallers wissenschaftliche Lektüre charakterisierten, zeitgenössisch durchaus üblich. Während die Rhetorik vieler Aufklärer suggeriert, dass sie sich zugunsten des autoptischen Wissens vom Bücherwissen abwandten, sprechen ihre Buchbesprechungen und die erhaltenen Exzerpte oftmals eine andere Sprache. Das aufklärerische Projekt der „Kritik“ baute auf denselben gelehrten Praktiken des Lesens und Exzerpierens auf, die damals oft verpönt waren, und es profitierte von ihnen.

Der Aufsatz ist gewidmet an Helmut Zedelmaier.

Wie man mehr als 9000 Rezensionen schreiben kann. Lesen und Rezensieren in der Zeit Albrecht von Hallers. In: Historische Zeitschrift, Vol. 312, Nr. 2, 2021, S. 364-399. DOI: https://doi.org/10.1515/hzhz-2021-0009