«Was ich erlebt habe, darf nie mehr passieren»

«Was ich erlebt habe, darf nie mehr passieren»

Wüsteste Beschimpfungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen – sie hat alles durchgemacht. Nach einem Artikel im Blick, in welchem sie als mutmassliches Opfer eines Sexualdelikts mit Bild und Namen identifiziert wurde, war für die ehemalige grüne Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin auf einmal nichts mehr wie vorher. Nun war sie als Gast eines Seminars von Prof. Regula Ludi in Freiburg.

Auf Einladung des Interdisziplinären Instituts für Ethik und Menschenrecht besuchte Jolanda Spiess-Hegglin die Universität Freiburg und sprach zum Thema «Hass im Internet. Wie kann man sich dagegen wehren?». Nach den medial thematisierten Vorkommnissen nach der Zuger Landammannfeier Ende 2014, welche juristisch nie aufgeklärt wurden, wurde sie in den sozialen Medien Zielscheibe zahlreicher Verunglimpfungen. Mittlerweile ist sie Geschäftsführerin des Vereins #NetzCourage, der gegen Hassreden, Diskriminierung und Rassismus im Internet kämpft.

Internet und soziale Medien sind das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts geworden: Wie bewaffnet man sich am besten?
Ein Aufrüsten mit Munition ist nie gut in keinem Konflikt. Ich bin da eher eine Verfechterin der kontrollierten Entwaffnung. Kommt es zu Konflikten, sollte die Deeskalation das Ziel sein. Einfach nie mit hohem Puls zurückballern. Es stellt sich ohnehin die Frage, in welchen Situationen man überhaupt reagieren soll. Ist das Ziel des Gegenübers die pure Provokation, beendet man die Diskussion am besten. Werden hingegen Menschen verleumdet, muss man handeln und entgegnen, mit Fakten. Denn wenn das nicht geschieht, wenn nicht widersprochen wird, werden Unwahrheiten zu Tatsachen. Und das ist für die Betroffenen schwer zu ertragen.
Ich versuche stets, die Täter aus der Anonymität zu zerren und sie zu einem Kaffee zu treffen. Das wirkt Wunder.

Als Zuger Kantonsrätin kannte man Sie kaum, heute sind Sie schweizweit bekannt: Verspüren Sie manchmal auch Druck, nun etwas Besonderes leisten zu müssen, den Hoffnungen anderer Opfer zu genügen?
Ich glaube, der Drang zu helfen, war schon immer in mir drin. Ich mache es wirklich gern, aber einen Druck verspüre ich nicht. Ich mache im Leben nur noch Dinge, welche ich gerne mache. Rückblickend muss ich auch sagen, dass ich in Zug wohl keine dicken Stricke zerrissen hätte. Im Zuger Kantonsrat ists eng, konservativ, man ist gerade als Frau sehr gefangen und kleingehalten. Das bürgerliche Patriarchat lässt es fast nicht zu, dass in Zug Frauen gehört werden. Durch die sozialen Medien hingegen habe ich eine Möglichkeit gefunden, nicht nur Dinge zu bewegen, sondern Berge zu versetzen. Auch in Sachen Reichweite habe ich die Zuger Politiker und auch die Lokalpresse weit hinter mir gelassen. Und das ist gut so.

Sie haben soeben gegen Ringier/Blick gewonnen, Begründung: «eine schwere, nicht gerechtfertigte Verletzung der Persönlichkeit» und ein «krasser Eingriff in die Intimsphäre»: Was bedeutet das für Sie nun?
Für mich und auch meine Familie bedeutet dieses Urteil ein Meilenstein in der Aufarbeitung dieser schlimmen Geschichte. Und es ist der Grundstein zur Disziplinierung des Grüsel-Boulevard.

Werden Sie nun wie angekündigt den Verlag auf Herausgabe des im Zusammenhang mit ihrer Geschichte (über 200 Artikel) erzielten Gewinns verklagen?
Das kann ich mir sehr gut vorstellen, denn diese Möglichkeit haben wir jetzt. Wir warten jetzt mal ab und schauen, was passiert. Wenn Ringier von sich aus disziplinierende Massnahmen trifft, können wir über alles reden. Ich bin nicht dafür bekannt, dass ich stur bin. Aber da Blick mich und meine Familie fast vernichtet hat, muss jetzt was passieren. In den allermeisten Fällen fehlt den Medienopfern die Kraft, um bis zum Schluss für ihr Recht einzustehen. Ich habe das grosse Glück, dass ich ein wahnsinnig unterstützendes Umfeld habe. Und wir möchten gemeinsam das System ändern. Denn das, was ich erlebt habe, darf nie mehr passieren.

Sie sind ehemalige Journalistin: Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Medienschaffenden?
Ich glaube an guten Journalismus, zudem brauchen wir ihn. In jeder Redaktion kenne ich wirklich gute Leute, sogar bei Blick. Das Problem liegt ja auch nicht in erster Linie bei den Medienschaffenden, sondern bei den Interessen der Verleger und Chefredaktionen. Dort wird entschieden, wer gejagt wird, und daraus will Profit geschlagen werden. Das sind völlig falsche Anreize. Es ist falsch, Leben zu zerstören, um möglichst viel Aufmerksamkeit und Geld zu generieren. In meinem Fall fehlten zudem die Kontrollmechanismen. Normalerweise erscheint bei einer Boulevardkampagne nach einigen Tagen ein sachlicher, deeskalierender Artikel einer seriösen Zeitung. Gegen mich haben auch «Tages-Anzeiger» und «NZZ» mitgehetzt. Jetzt braucht es eine gewisse Änderung im System. Derzeit herrscht ein Rennen um Grüsel-Schlagzeilen, und es gibt regelrechte Klick-Orgien unter den Onlinemedien. Der mediale Pranger, das Ausbeuten von Menschen, das muss aufhören.

Wie gehen Sie eigentlich mit dem täglichen Hass um?
Dabei hilft mir meine Familie, sie würde mir sagen, wenn ich kalt werden würde. Davon bin ich weit entfernt. Ich habe zwar mittlerweile ein dickes Fell, doch solange ich mich auf Opfer und auf Täter einlassen kann, bewahre ich mir Menschlichkeit.

Was hat Ihr Engagement aus Ihnen selber gemacht?
Ich habe zu lange zugeschaut, wie alles irgendwie passiert, wie auf meinem Buckel Interessen verfolgt werden. Seit ich mich entschieden habe, für meine vermeintlich verlorene Ehre zu kämpfen, geht es mir besser als Mensch. Ich habe mehr Kontrolle, ich kann besser filtern, was ich brauche und was nicht. Mein Freundeskreis hat sich seither aber halbiert. Weil es darunter Leute gab, die fanden, ich solle doch mal ruhig sein. Es ist meine Entscheidung, wie ich mit einer solchen Krise umgehe.

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Author

Ist im Grüezi-Land einst aufgewachsen, doch das Schicksal zieht ihn jedoch immer wieder nach Freiburg: zuerst für die RS, dann fürs Studium, später fürs Wohnen und seit 2017 auch fürs Arbeiten. Als Leiter des Dienstes Unicom interessiert er sich für alles ein bisschen und ein bisschen für alles.

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