BiologiePublikationsdatum 27.11.2025
Die Schlüsselrolle des Gehirns in der Evolution des Ernährungsverhaltens von Taufliegen
Um ihr Überleben in einer neuen Umgebung zu sichern, müssen Insekten in der Lage sein, ihre Ernährungsgewohnheiten je nach Nahrungsangebot umzustellen. In Zusammenarbeit mit Expert_innen aus der Schweiz, Portugal und Deutschland konnten Forschende der Universität Freiburg zeigen, dass dieses Anpassungsvermögen auch durch Mechanismen im Gehirn gesteuert wird.
Es liegt auf der Hand: Findet eine Spezies in einer neuen Umgebung nicht ihre gewohnte Nahrung, muss sie sich anpassen, um zu überleben. Diese Fähigkeit zur Anpassung an das verfügbare Nahrungsangebot hängt mit bislang wenig erforschten Mechanismen zusammen, die Forschende der Universität Freiburg, der Universität Lausanne, der Champalimaud-Stiftung Lissabon und der Universität Giessen nun näher unter die Lupe nahmen.
Dazu untersuchten sie drei Arten von Fruchtfliegen: Drosophila melanogaster, eine oft in Labors eingesetzte Fliegenart, Drosophila simulans und Drosophila sechellia. Aufgrund ihres breiten Nahrungsspektrums mit einer Präferenz für Früchte mit hohem Zuckeranteil gelten die ersten beiden als «opportunistisch» oder polyphag, während sich die ursprünglich auf den Seychellen heimische Drosophila sechellia ausschliesslich von Nonifrüchten (Morinda citrifolia) ernährt. Die beiden anderen Fliegenarten meiden diese hingegen aufgrund ihres bitteren Geschmacks. Bislang gingen Forschende davon aus, dass die Ernährungspräferenzen der Fliegen ausschliesslich von der Sensibilität ihrer peripheren Sinnesorgane abhängen. Mithilfe genetischer Manipulationen aller drei Arten und moderner bildgebender Verfahren konnten die Forschenden nun jedoch zeigen, dass die Realität deutlich komplexer ist.
Feinschmecker von Kopf bis Fuss
Um ihre Nahrung zu schmecken, nutzen Taufliegen Sinneszellen, die vom Mund über die Flügel bis zu den Füssen auf ihrem gesamten Körper verteilt sind. Aus diesem Grund ging man bislang davon aus, dass Anzahl und Sensibilität dieser peripheren Geschmackssensoren über ihre Nahrungsvorlieben entscheiden. Die am 26. November 2025 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Ergebnisse einer Studie heben nun jedoch die Rolle des Gehirns hervor.
Ein Gen bewirkt einen (kleinen) Unterschied
Zunächst führten die Forschenden eine Reihe von Verhaltensexperimenten durch. «Neben Süssstoffen wie Saccharose boten wir den drei Fliegenarten im Labor auch Bitterstoffe wie Koffein als Nahrung an», erläutert Enrico Bertolini, Forschender an der Universität Freiburg. Die Versuche zeigten schnell, dass sich das Ernährungsverhalten der Drosophila sechellia nicht nur durch eine Veränderung ihrer peripheren Geschmackssensoren erklären lässt. «Wir konnten zwar eine geringfügige Veränderung eines an der Geschmacksempfindung beteiligten Gens feststellen, die sicherlich mitverantwortlich ist für die geringere Empfindlichkeit gegenüber Bitterstoffen. Dieser kleine Unterschied allein reicht jedoch nicht aus, um ihre nahezu ausschliessliche Spezialisierung auf die Nonifrucht zu erklären», so Thomas Auer, Assistenzprofessor an der Universität Freiburg und Leiter der Studie.
Gehirn vs. periphere Sensoren
Aus diesem Grund untersuchten die Forschenden schliesslich, wie Geschmacksinformationen im Zentralhirn der Fliegen verarbeitet werden.
Unterstützt wurden die Forschenden der Universität Freiburg dabei von Carlos Ribeiro und Daniel Münch von der Champalimaud-Stiftung in Lissabon und jetzt an der Universität Giessen. Diese stellten die Hirnaktivität der Fliegen aus dem Labor von Thomas Auer durch Calcium-Bildgebung dar. «Wir konzentrierten uns vor allem auf einen bestimmten Teil des zentralen Nervensystems unterhalb der Speiseröhre, die sogenannte subösophageale Region, die für die Nahrungsaufnahme von Bedeutung ist», erläutert Daniel Münch ihre Vorgehensweise.
Das Gehirn gibt den Ton an
Durch diesen Ansatz konnten die Forschenden nachweisen, dass die Drosophila sechellia ihre Ernährungsweise vor allem durch die veränderte Verarbeitung von Sinnesinformationen anpassen konnte. «Wir beobachteten, dass bei der Drosophila sechellia die subösophageale Region bei Nonifrüchten stärker aktiviert wird als bei süssem Fruchtsaft. Diese stärkere Aktivierung löst Bewegungsbefehle zur Nahrungsaufnahme aus. Bei den anderen beiden Fliegenarten verhält es sich genau umgekehrt, was ihre Vorliebe für süsse Nahrung erklärt», führt Carlos Ribeiro aus.
Mit anderen Worten: Neben den peripheren Sinnesorganen ist das Gehirn massgeblich für die Entwicklung der Nahrungsvorlieben der Insekten verantwortlich.
Diese Erkenntnis könnte man sich künftig in der Insektenbekämpfung zunutze machen. «Bisher konzentrierte man sich auf die peripheren Sinnesorgane, um ihr Ernährungsverhalten zu verändern. Doch das ist möglicherweise nicht der einzige Punkt, an dem wir ansetzen können», so das Fazit von Thomas Auer.
Bertolini, E., Münch, D., Pascual, J., Auer, Th. et al. Evolution of taste processing shifts dietary preference. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09766-6
