kathPublié le 08.03.2022
Selig sind die Gewaltlosen?
Der Krieg in der Ukraine bewegt uns sehr. Unvorstellbar war noch vor kurzem, dass mitten in Europa ein souveräner Staat zum Opfer eines Angriffskrieges wird. Was auch immer historische Zusammenhänge oder auch politische Fehler des Westens sein mögen - nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt die Invasion Russlands in der Ukraine.
Wir alle fragen uns: Was ist hier die richtige Reaktion? Darf man, ja muss man vielleicht sogar Gewalt einsetzen, um den Aggressor zu stoppen? Im Ohr haben wir die Seligpreisungen des Neuen Testaments: Selig sind die Gewaltlosen, denn sie werden das Land erben» (Mt 5,1-11) Und nun werden Waffen geliefert, um die ukrainische Armee auszurüsten. Experten erläutern, wie man damit Hubschrauber oder auch Flugzeuge vom Himmel holen kann… Ist das der Geist des biblischen Glaubens? Müssen wir nicht eine andere Antwort finden, um Konflikte zu lösen?
Ein entscheidender Aspekt der theologisch-ethischen Bewertung ist, dass die Ukraine Opfer eines völkerrechtswidrigen Übergriffs geworden ist, der noch dazu offensichtlich mit Methoden ausgeführt wird, die gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht (die sogenannten Genfer Konventionen) verstossen. Darin ist festgelegt, dass im Kriegsfall Militär nur gegen Militär kämpfen darf, aber die Zivilbevölkerung kein explizites Ziel von kriegerischen
Aktionen werden darf. Putins Militär aber bombardiert Spitäler und Wohnquartiere!
Kriegsgrund und Kriegsführung sind also rechtswidrig und amoralisch. Daraus ergibt sich ein moralisches Recht der Selbstverteidigung. Der Ukraine in diesem Kampf, auch mit Waffenlieferungen, beizustehen, ist legitim, weil es zum Ziel hat, dem Aggressor eine Grenze zu setzen und damit weiteres Leid von der Bevölkerung abzuwenden. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch, dass die Waffenlieferungen auf Bitten der ukrainischen Regierung erfolgen, nicht aber das Interesse westlicher Länder leitend ist, einen Stellvertreterkrieg auf dem Rücken eines Drittlandes zu führen.
Eines aber bleibt klar: Die Ausübung von Gewalt ist nichts, was man sich wünscht oder gutheisst. Es ist verhängnisvoller Weise die Sprache, in der man zu antworten gezwungen ist, weil alle anderen Sprachen (die der Diplomatie, der Politik, der Zusammenarbeit) versagen. Waffenlieferungen können ein Mittel sein, sofern andere Mittel versagt haben und das Ziel vor Augen ist, zu einem Ende der Gewalt zurückzufinden. Auf dieses Mittel zu verzichten, weil man ein höheres Prinzip der absoluten Gewaltlosigkeit respektieren möchte, kann deshalb im Ergebnis zu mehr Gewalt führen und das Gegenteil dessen bezwecken, was man beabsichtigt.
Darüber hinaus ist es wichtig, die Fallstricke und Risiken zu sehen, die jeder Umgang mit Gewalt und Gewaltmitteln stets birgt: Auch derjenige, der «nur» liefert, kann unversehens zur Kriegspartei werden. Er riskiert damit eine Ausweitung des Konflikts und trägt nicht mehr nur zur Selbstverteidigung des Angriffsopfers bei. Anderen Waffen zu liefern bedeutet deshalb, mitverantwortlich zu sein dafür, was dieser damit macht. Die Selbstverteidigung
muss dazu führen, die Sprache der Gewalt so bald als möglich abzulegen und mit anderen Mitteln eine Verständigung herbeizuführen.
Prof. Daniel Bogner, Professor für Moraltheologie und Ethik an der Theologischen Fakultät