Tagung - Teil 2Publikationsdatum 22.10.2023
Auto[sozio]biographie als Quelle
Über die Analyse gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse anhand der Veranschaulichung von Gefühlen
Im Fokus der Tagung steht die Analyse von «Autosoziobiographien» (Spoerhase 2017) u. a. im Hinblick darauf, auf welche Weise diese durch die Darstellung von Gefühlen Aussagen über gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse erlauben.
Indem Autosoziobiographien den Anspruch haben, biographische Erfahrungen mit Gesellschaftsanalyse zu verknüpfen, weisen sie über Autobiographien hinaus, da sie zugleich eine vertiefende soziologische Analyse dessen anbieten, was sie beschreiben. Den in den letzten Jahrzehnten erschienenen Autosoziobiographien von ‹sozialen Aufsteiger:innen› (Baron 2020; Eribon 2009; Ernaux 1997; Lagrave 2021; Louis 2018) ist nicht nur gemeinsam, dass sie verdeutlichen, was ein sozialer Aufstieg – für die Aufsteiger:innen und für ihre familiären Verhältnisse, für ihre sozialen Beziehungen – bedeuten mag. Vielmehr legen sie durch die Veranschaulichung verschiedener Gefühle – wie jene der Scham und der Wut – hindurch die sozialen Herrschafts- und Gewalt-verhältnisse genauso eindrücklich und anschaulich offen wie die Verletzungen und Wunden, welche die symbolischen Unterdrückungsweisen der Macht in der Leiblichkeit, im emotionalen Erleben und in der Selbstachtung hinterlassen. Mit der Versprachlichung, mit der literarischen Thematisierung etwa der schambehafteten Entfremdung aus dem Arbeitermilieu im Rahmen einer autobiographischen Prosa wird die Scham aus dem Bereich des Persönlichen, des Privaten, in den des Politischen und des Öffentlichen überführt.
Die meisten der autosoziobiographisch gelagerten Bücher setzen mit einer Selbstbetrachtung des Familienlebens als Darstellung von klassenbedingten Vorurteilen und Vernachlässigung ein. Im Rahmen der Tagung werden Kolleg:innen aus verschiedenen Disziplinen – Erziehungswissenschaft, Soziologie, Literaturwissenschaft, Philosophie, Kulturwissenschaft – neben «Klasse» weitere Differenzkategorien berücksichtigen, da durch diese Anerkennungsweisen genauso strukturiert wie Erfahrungen der Demütigung produziert werden.