Tennis in einer Bankfiliale: eine Rechtsfrage, die nicht naturwissenschaftlich zu beantworten ist

Tennis in einer Bankfiliale: eine Rechtsfrage, die nicht naturwissenschaftlich zu beantworten ist

Leute mit unterschiedlichstem wissenschaftlichem Hintergrund diskutieren gemeinsam über ein spezifisches Thema: Das ist das Konzept einer neuen Veranstaltungsreihe am Smart Living Lab. Inspiriert vom Prozess gegen die tennisspielenden Klimaaktivist_innen, ging es am Dienstag bei der Premiere um rechtsphilosophische Fragen – und um das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik.

«Im Idealfall konnte der eine oder andere seinen Horizont erweitern», sagte Martin Beyeler nach der ersten Ausgabe des «Smart Living Lab’s Round Table». Beyeler ist ordentlicher Professor am Lehrstuhl für Infrastrukturrecht und neue Technologien an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg. Und er war am Dienstag für Themenauswahl und Gesprächsleitung zuständig. Seine Wahl: «Science and Law: What is – and what ought to be.» Als Ausgangspunkt der Diskussion diente der Fall der Klimaaktivist_innen, die 2018 in Lausanne eine Filiale der Credit Suisse besetzten und dort Tennis spielten. Ein Fingerzeig in Richtung Roger Federer, der von der Grossbank gesponsert wird. Und ein Protest gegen die ihrer Meinung nach umweltfeindliche Investitionspolitik der Credit Suisse. Anfang Jahr hatte das Bezirksgericht Lausanne die Aktivist_innen überraschend freigesprochen. Die Begründung: Der Klimanotstand rechtfertige den an sich rechtswidrigen Hausfriedensbruch.

Ein weltweit viel beachtetes Urteil, das kürzlich in zweiter Instanz vom Waadtländer Kantonsgericht aufgehoben wurde. Viel Diskussionsbedarf – nicht nur für Jurist_innen. Die Diskussionspartner von Martin Beyeler am runden Tisch waren denn auch nicht etwa andere Jurist_innen, sondern Architekt_innen, Ingenieur_innen, Politikwissenschaftler_innen – oder auch Martin Gonzenbach, Physiker und operativer Direktor des Smart Living Lab. «Man kann ein Thema immer aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachten, das macht dieses Format so interessant. Das ganze Smart Living Lab beruht ja auf der Idee der Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen», erklärt Beyeler. Das Forschungszentrum bei der Bluefactory ist eine Kollaboration zwischen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg sowie der Universität Freiburg. Es geht um das Wohnen der Zukunft, um Bautechnologien, um Designprozesse und Energiesysteme – und manchmal eben auch um Klimaproteste.

Das Bundesgericht wird die Verurteilung vermutlich bestätigen
Das Thema passe gut zum Smart Living Lab, sagt Beyeler. «Der Blick auf den Energieverbrauch und die Ressourcen ist bei der Forschung am Lab sehr wichtig. Nachhaltigkeit ist etwas, das uns alle beschäftigt.» Entsprechend oft sei er in den letzten Wochen auf den Fall in Lausanne angesprochen worden. «Dabei bin ich ja ebenfalls kein Experte für Strafrecht.» Als Gesprächsleiter betrachtete er sich deshalb nicht als Experte, sondern als Inputgeber. Die Inputs fruchteten. Eineinhalb Stunden wurde angeregt diskutiert, eine halbe Stunde länger als geplant. «Die Ausgangslage ist interessant. Alle sind sich einig, dass es eine Straftat ist, eineinhalb Stunden lang eine Bank zu besetzen, selbst die Besetzer selbst», sagte Beyeler zu Beginn. Wie auch in anderen Staaten, gibt es allerdings im Schweizer Recht einen Artikel, der ein an sich strafbares Verhalten für rechtmässig erklärt, wenn es aus höheren Gründen unausweichlich und angemessen ist (Artikel 17 Strafgesetzbuch). Klassisches Beispiel: Das Eindringen in eine Alphütte, um sich vor einem lebensgefährlichen Gewitter zu schützen.

Trifft das auch auf den Klimaprotest zu? Gibt es in der Schweiz wirklich keine andere Möglichkeit, auf die Klimaproblematik genügend aufmerksam zu machen, als durch eine Straftat? Hilft eine PR-Aktion unmittelbar gegen den Klimawandel? Wenn ich im Gebäude der Credit Suisse Tennis spielen darf, darf ich dann auch bei einem Credit-Suisse-Kunden im Wohnzimmer Tennis spielen? Über all diese Fragen diskutierte die zehnköpfige Gesprächsrunde ausgiebig – und war mehrheitlich der Meinung, dass es sehr heikel ist, einer solchen Aktion rechtliche Legitimität zu verleihen. Auch mit Blick auf die Konsequenzen. Bei einer ähnlichen Aktion wäre die Aufmerksamkeit das nächste Mal wohl nicht mehr so gross. Die Aktionen drohten dadurch immer extremer zu werden. Beyeler selbst wollte keine klare persönliche Beurteilung des Falls vornehmen. Er gab aber die Einschätzung ab, das Bundesgericht werde die Verurteilung vermutlich bestätigen.

Deskriptiv versus normativ oder der Unterschied von Wissenschaft und Politik
Der Rechtsprofessor wies darauf hin, dass manche der Meinung sind, das Kantonsgericht Waadt nehme die Dringlichkeit und die Bedeutung des Klimawandels nicht ernst genug, und es hätte für die Erkenntnisse der Wissenschaft viel offener sein sollen. Seiner Meinung nach dreht sich der Prozess zur Hauptsache aber nicht um die naturwissenschaftliche Frage, ob der Klimawandel stattfindet, und wozu er zu welchem Zeitpunkt führen wird, sondern darum, ob das Tennisspielen in der Bankfiliale eine nützliche und trotz Vorhandenseins von legalen Mitteln unumgängliche Handlung zur Rettung von Menschenleben darstellt. Eine Rechtsfrage, die nach Auffassung von Beyeler nicht naturwissenschaftlich zu beantworten ist.

Die Runde diskutierte deshalb auch über das Verhältnis zwischen Recht, Politik und Wissenschaft. «Es gibt zwei verschiedene Welten», sagte Beyeler nach der Veranstaltung dazu. «In der einen beschreiben wir, was passiert, in der anderen geht es nicht darum, was passiert, sondern was passieren sollte.» Diese Trennung sei selbst für Juristen nicht immer klar und einfach. «In meinem Unterricht ist sie jedoch zentral, es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.»

Eine Vermischung findet Beyeler mitunter problematisch. «Ich wünschte mir, dass wir alle klarer trennten zwischen naturwissenschaftlichen Aussagen, mit denen wir die Welt beschreiben und deren Widerlegung wir diskussionslos hinnehmen, sowie normativen Aussagen, mit denen wir unsere Idealvorstellungen der Welt beschreiben und bezüglich deren wir uns in der Regel nicht widerlegen lassen wollen. Wer behauptet, was ist, macht Wissenschaft. Wer behauptet, was sein soll, macht Politik, Moral oder Recht.»

Vom Gesprächsleiter zum Laien
Womöglich hätten die übrigen Teilnehmer_innen einen Einblick in das Denken von Jurist_innen erhalten, sagte Beyeler im Anschluss an die Diskussion. «Das wäre schön. Bei uns am Smart Living Lab kommen Leute aus vielen Ländern und zahlreichen Disziplinen zusammen: Architektur, Recht, Soziologie, Wirtschaft – da muss man eine gemeinsame Sprache finden, um zu verstehen, wie der andere tickt. So kann man anschliessend besser zusammenarbeiten.» Der nächste runde Tisch am Smart Living Lab findet im November zum Thema Energieeffizienz statt. Dann wird Martin Beyeler nicht mehr Gesprächsleiter, sondern einfacher Diskussionsteilnehmer sein. Ein neuerlicher Perspektivenwechsel, die nächste Horizonterweiterung.

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Author

Matthias Fasel ist Gesellschaftswissenschaftler, Sportredaktor bei den «Freiburger Nachrichten» und freischaffender Journalist.

1 comment

  • Bravooo… Jede Art von Diskussion in jeder Form in einer Gesellschaft ist nützlich… Man sollte die Politiker nicht diskussionslos über die Zukunft von uns allen entscheiden lassen…
    Die Politiker sind grundsätzlich nur an ihrer Karriere and der Gefolgschaft von Parteiinteressen interessiert..,

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