«Auxin ist ein Hot Spot»

«Auxin ist ein Hot Spot»

Markus Geisler ist einer der meistzitierten Biologen. Er forscht an winzigen Pflanzen über einen wichtigen, aber komplizierten Mechanismus: den Transport von Auxin. Ein Gespräch über oben und unten, Wachstum, Unsterblichkeit und wie man Entscheidungen trifft.

Gratulation: Sie sind einer, von dem alle anderen abschreiben.
Das ist jetzt sehr zugespitzt: zitieren ist ja nicht dasselbe wie abschreiben. Und dass ich so oft zitiert werde, kam für mich sehr überraschend. Sven Bacher (siehe Link unten) hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ich selbst habe das Ranking gar nicht angeschaut, weil ich in einem Bereich der Grundlagenforschung arbeite, wo man das nicht unbedingt erwartet.

Gibt es denn ein bestimmtes Paper, das komplett durchgestartet ist?
Zuerst mal muss man wissen, dass das Ranking 11 Jahre umfasst. Das aktuelle umfasst 2005 bis 2015 und aus 2005 stammt auch mein wichtigstes Paper.

Und worum ging es da?
Da haben wir einen neuen Auxintransporter gefunden. Auxin ist ein Pflanzenhormon – und innerhalb der pflanzenbiologischen Forschung ein Hot Spot.

Moment, ich höre gerade zum ersten Mal, dass Pflanzen überhaupt Hormone haben.
Das tun sie. Und man hat deren Mechanismus schon beobachtet, bevor man diesen in Tieren fand. Charles Darwin hat ein Buch namens «The Power of Movement in Plants» geschrieben, in dem es nur um Bewegungen von Pflanzen geht. Und Darwin hat bemerkt, dass es Stoffe gibt – die er noch nicht benannt hat – die an einem Ort synthetisiert werden und an einem anderen Ort wirken. Und das ist die Definition von Hormonen: Hormone werden auch bei uns irgendwo im Körper produziert und wirken woanders.

Und transportiert werden sie über die Blutbahnen. Und in Pflanzen? Geht das über die Röhren, über die auch das Wasser von den Wurzeln in die Blätter kommt?
Den gibt es auch, aber der Mechanismus, der uns interessiert, ist ein Zell-zu-Zell-Transport. Und das ist spannend, weil es so etwas in Tieren nicht gibt. Und: das gibt es auch bei anderen Pflanzenhormonen nicht, das gibt es nur beim Auxin.

Und von wo nach wo muss dieses Auxin denn transportiert werden? Wird das in der Wurzel hergestellt und macht dann, dass es oben blüht?
Andersherum: Die Hauptsyntheseorte sind oben in den Grünteilen und der bestverstandene Wirkmechanismus ist in der Wurzelspitze. Das Auxin wird da hinuntertransportiert, die Transportbahn spaltet sich in der Wurzelspitze und es wird dann wieder an den Seiten hochtransportiert.

Es wird nicht irgendwie verbraucht oder gebunden?
Nein, das ist für unsere Prozesse nicht der primäre Mechanismus. Und auch das macht Auxin zu etwas Besonderem: Es funktioniert über Gradienten. Das Hormon ist in der ganzen Pflanze präsent und sowohl eine besonders tiefe, als auch eine besonders hohe Konzentration kann lokal einen Effekt haben. Das hat auch zur Folge, dass viele Wissenschaftler die Auxinforschung für ein ziemlich unübersichtliches Feld halten. Ich kann mich da nur anschliessen.

Für welche Effekte ist das Auxin denn beispielsweise verantwortlich?
Für vieles, aber wir interessieren uns vor allem für den Wurzelgravitropismus, den auch Darwin schon fasziniert hat. Also den Mechanismus, der Wurzeln in Richtung der Schwerkraft wachsen lässt, was bedeutet, dass die Wurzel «weiss, wo unten ist».

Stimmt, wenn so ein Samen in der Erde liegt, woher weiss der dann, wo er hinwachsen muss?
Oben funktioniert anders als unten: der Spross, also alles, was grün ist, strebt zunächst einfach mal zum Licht. Unter der Erde ist es ja nicht komplett finster. Wenn gar kein Licht durchkommt, gibt’s ein Backup: Dann wächst der Spross einfach mal vom Erdmittelpunkt weg. Und wo unten ist, weiss die Pflanze dank dem Auxin.

Und wenn man die Pflanze von unten beleuchtet?
Dann ist sie verwirrt. Solche gemeinen Exprimente machen wir. Aber es gibt noch viel Fieseres: Ich habe eine Kollaboration mit einem Partner, der in Luzern Weltraumforschung macht. Wenn man die Pflanze permanent in alle Richtungen dreht, hat sie gar keine Ahnung mehr, wohin sie wachsen soll.

Das ist aber nur ein Teil, auf den Auxin einen Einfluss hat.
Ja, mich persönlich interessiert vor allem, wie Pflanzen verschiedene Informationen miteinander verschalten. Wie sie Entscheidungen treffen.

Entscheidungen? Was müssen Pflanzen denn entscheiden und wie tun sie das?
«Wie» wissen wir noch nicht. Aber dass Pflanzen entscheiden können, ist getestet. Das macht man bei Pflanzen nicht anders, als bei Tieren: Man bietet zwei Optionen an und wenn die meisten dieselbe Lösung wählen, dann wissen Sie, dass da eine Entscheidung stattgefunden hat. Pflanzen müssen zum Beispiel entscheiden, wohin ihre Wurzeln wachsen sollen. Besser dorthin, wo der Boden salzig, oder lieber dahin, wo er steinig ist.

Und wo entscheidet das die Pflanze?
Anscheinend in der Wurzelspitze – und da ist auch die Auxinkonzentration am grössten. Das Auxin hat also irgendetwas mit diesen Entscheidungen zu tun. Und die Auxintransporter ebenso. Das wissen wir, weil wir die genetisch rausnehmen können, was dann die Wachstumsregulation der Pflanze durcheinander bringt.

Wie funktioniert denn dieser Transport?
Wie gesagt, von Zelle zu Zelle. Da müssen Membranen überwunden werden, das ist also ein relativ langsamer Transport. Für einen Millimeter braucht die Pflanze mehrere Minuten.

Eine Röhre wäre viel einfacher!
Richtig, aber die Natur macht manchmal Sachen, die man selber anders machen würde. Dass wir unseren Schädel auf dem Skelett balancieren, ist auch nicht die schlaueste Lösung. Ein Vorteil, den ich beim Zell-zu-Zell-Transport sehe ist, dass er sich so besser regulieren lässt.

Haben Sie sonst noch etwas ungewöhnliches entdeckt?
Ja. Die sogenannten ABC-Transporter, die ich erforsche sind Proteine. Am besten stellen Sie sich die vor, wie so eine Tinguely-Maschine: Da gibt’s Teile die fungieren als Motoren, andere könnte man als Kurbelwelle oder Kupplung bezeichnen. Die Transporter befinden sich in der Zellmembran. Sie bewegen sich nicht, aber sie bringen das Auxin von einer Zelle zur nächsten. Das Spannende ist, dass sie aber nicht einfach wie blosse Schleusen funktionieren, die quasi auxingeladene Zellen entleeren. Sie sind energetisiert, das heisst, sie können sogar eine Zelle, die schon viel Auxin beinhaltet, mit noch mehr davon versorgen.

Funktioniert dieses Auxin denn von der Alge bis zum Mammutbaum überall gleich?
Im Prinzip, ja.

Und spielt es nur bei Pflanzen eine Rolle oder hat die Auxin-Forschung auch für uns Menschen eine gewisse Relevanz?
Lustigerweise wurde Auxin beim Menschen nachgewiesen, bevor es in Pflanzen gefunden wurde. Auxin ähnelt unserem Neurotransmitter Serotonin und wir Menschen können es auch herstellen. Das ist aber nicht wünschenswert, denn das passiert eigentlich nur, wenn Sie einen Tumor, Schizophrenie oder Migräne haben. Es ist überhaupt verblüffend, wie ähnlich sich manche pflanzlichen und tierischen Systeme sind.

Also könnte auch die Medizin von Ihrer Forschung profitieren?
Nehmen wir unsere Lungen-Epithelien und die Wurzelspitze: anatomisch ist das natürlich etwas komplett anderes, aber auf molekularer Ebene ist es fast dasselbe. Der Auxintransporter, den wir untersuchen, wird ähnlich reguliert wie ein wichtiger Transporter in unserem Lungenepithel. Eine Mutation in diesem verursacht bei uns Menschen Mukoviszidose, also eine Form der zystischen Fibrose. Das ist eine Erbkrankheit, die zu einer Verfestigung des Lungenschleims führt und früher für viele Kinder tödlich war. Da finden wir beim Menschen einen Bestandteil aus unserer Arbeit wieder – obwohl er hier eine komplett andere Funktion hat. Gerade bei einer Krankheit, die Kinder betrifft, wäre es natürlich schön, wenn wir dank unserer Arbeit mit Pflanzen gewisse Mechanismen besser verstehen können.

Wie sind Sie denn überhaupt zum Auxin gekommen?
Eigentlich über die Transporter. Ich habe früher mit anderen Transportern gearbeitet und dann hat man mir dieses Thema angeboten. Hätte ich von Anfang an gewusst, dass es um Auxin geht, hätte ich es vermutlich nicht gemacht. Denn Auxin ist bekannt dafür, dass es wahnsinnig vielseitig ist. Eine weitere Funktion ist beispielsweise das Wachstum, bei dem Auxin ebenfalls eine Rolle spielt.

Auxin reguliert die Zellteilung?
Nein, Pflanzen wachsen weniger über Zellteilung, sondern vielmehr über Zellstreckung. Und auch das macht das Auxin. Aber das Auxin aktiviert die Zellstreckung nur im Spross. Der Einfluss des Auxins in der Wurzel ist genau umgekehrt: die Streckung wird gehemmt. Wenn Sie rausfänden, warum das so ist, könnten Sie sich unsterblich machen. Das weiss im Moment nämlich noch keiner.

Naja, Unsterblichkeit ist auch nicht alles im Leben.
Das ist allerdings richtig. Nun – eine Art, sich wenigstens ein bisschen zu verewigen, sind natürlich Publikationen. Und die haben auch deshalb schon ihren Reiz.

Das heisst, Sie arbeiten bereits wieder an ihrem nächsten Paper.
Absolut.

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Author

War schon Wünscheerfüller, Weinbauhelfer, Unidozent, Redaktionsleiter, Veloweltreisender und kleinkünstlerischer Dada-Experte. Ist dank dem Science Slam an der Universität Freiburg gelandet.

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