Porträt

Die richtige Flughöhe

Andrea Burgener Woeffrays Leben klingt nicht nach Langeweile. Die Gemeinderätin der Stadt Freiburg spricht über Entscheidungen, Leidenschaften und Chancen.

Unidozentin, dreifache Mutter, Berufspolitikerin: Ihr Lebenslauf würde für drei Personen ausreichen.

Es würde wohl reichen, ja. Aber ich habe ja eines nach dem anderen gemacht. Mein Mann und ich haben uns die Aufgaben geteilt. Mir war es wichtig, nach Schulschluss daheim zu sein. Am Abend hat dann mein Mann übernommen. Bis 2001 war ich an der Uni Freiburg tätig als Lektorin für Sonder- und Heilpädagogik mit dem Schwerpunkt auf behinderten Kindern im Vorschulalter. Danach habe ich als Selbstständige Lehraufträge angenommen. So konnte ich mein Jahr genau durchplanen und auch mein politisches Engagement mit einbeziehen.

Haben Sie nie eine akademische Karriere angestrebt?

Doch, eigentlich schon. Ich wusste, dass ich mit meinem Spezialgebiet Chancen auf eine Professur hätte. Als es dann am Institut für Heilpädagogik darum ging, den nächsten Schritt zu tun, war ich mitten in der Diss und hatte zwei Kinder daheim. Die Konstellation war nicht gegeben. Einer Professur habe ich nicht nachgetrauert. Sowieso bin ich nicht ein Mensch, der verpassten Chancen nachweint.

Aufgewachsen sind Sie im Wallis. Was hat Sie an die Uni Freiburg gezogen?

Schon mein Papa hat hier an der Juristischen Fakultät studiert. Ausserdem war – und bleibt – die Uni Freiburg für Heilpädagogik hervorragend. Auch meine vier Brüder haben an der Uni Freiburg studiert.

Sie sind als Einzige geblieben.

Nach dem Halblizentiat in Heilpädagogik ging ich zuerst drei Jahre nach Solothurn und kam dann wieder zurück ans Heilpädagogische Institut. Mein Mann war zu dieser Zeit als Werkstudent hier in Freiburg; er stammt aus Sitten und spricht Französisch. Freiburg erschien uns ideal, um zu bleiben.

Sie haben mit Herzblut unterrichtet. War die Liebe zur Politik letztendlich stärker?

Ich habe mal zu den Medien gesagt, ich ginge von einer Leidenschaft zu einer anderen. Als Dozentin konnte ich den Studierenden etwas mitgeben, meine Erfahrungen teilen, sie für etwas begeistern. Dieses Feuer habe ich auch nie verloren, weder für die Heilpädagogik noch für die Politik. Als ich dann die Chance hatte, etwas ganz Neues zu machen, das mir ebenso am Herzen liegt, war mein Entscheid klar. Die Wählerschaft der Stadt Freiburg hat es mir ermöglicht.

 

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Konnten Sie die Universität gut loslassen?

Die Lehraufträge musste ich aufgeben. Bis 2019 war ich noch Präsidentin der Freiburger Sektion des Schweizerischen Verbands der Akademikerinnen. Als Baudirektorin sehe ich die Universität durch eine andere Brille. Der Bau der neuen Rechtsfakultät ist wichtig, die Uni braucht Platz – aber natürlich ist nicht die Stadt Hauptakteurin in diesem Projekt. Mit Antoinette de Weck als Senatspräsidentin sind die Anliegen der Uni im Gemeinderat vertreten. Wir wollen, dass die Universität stark bleibt und wir dazu unseren Beitrag leisten können.

Von der Dozentin für Heilpädagogik zur Baudirektorin: Wie macht man das?

Das habe ich mich zu Beginn auch gefragt. Meine Erfahrung kam mir zu Gute. Ich war 15 Jahre lang Generalrätin, konnte ein Budget lesen, kannte das Räderwerk der Politik gut. Eigentlich hätte ich gerne die Schuldirektion übernommen. Eine mir nahestehende Person meinte dazu: «Pass auf, dass du die richtige Flughöhe behältst.» Als Schuldirektorin würde ich wohl noch einspringen, wenn mal ein Lehrer ausfällt! Hingegen könnte ich keine Architektin vertreten – und das ist gut so. Als Gemeinderätin muss ich die politischen Akzente setzen. Ich darf Leute führen. Es geht darum, eine Vertrauens-basis zu schaffen.

Haben Sie einen Lieblingsort?

Ich bin gerne im Garten des Kunstmuseums. Dort fühle ich mich wie in einer anderen Welt. Manchmal setze ich mich für zehn Minuten dorthin, lade die Batterien.

Welchen baulichen Traum möchten Sie verwirklichen können?

Ich möchte sehr gerne das genossenschaftliche Wohnen vorantreiben. Zusammen mit den ehemaligen und aktuellen Genossenschaften ein Riesenprojekt auf die Beine stellen. Aber dafür brauche ich ein Terrain. Um einen Ort zu schaffen, an dem das Zusammenleben eine andere Bedeutung haben kann.

Sie sind mit vier Brüdern in einem politisch aktiven Elternhaus aufgewachsen. Hat Sie das geprägt?

Meine Eltern haben nie zwischen Mädchen und Jungen unterschieden. Sie haben mir gezeigt, dass man in einem offenen Gespräch und mit guten Argumenten vieles erreichen kann. Und mein doch recht konservativer Papa sagte mir: «Was andere können, das kannst du schon lange.» Das vergesse ich nie.

Was macht Andrea Burgener in einem Jahr?

Ich werde nochmals kandidieren. Entsprechend wünsche ich mir, in einem Jahr nach wie vor als Gemeinderätin tätig zu sein. Am liebsten im Baudepartement.

 

Andrea Burgener Woeffray ist seit 2016 amtierende Gemeinderätin der Stadt Freiburg. Die SP-Politikerin ist in Visp (VS) aufgewachsen. An der Universität Freiburg hat sie ihr Studium der Heil­pädagogik absolviert. Andrea Burgener Woeffray war zwischen 1992 und 2016
an der Universität Freiburg in der Lehre tätig. Die 64-Jährige ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.