Interview

«Freiburg ist ein Rohdiamant»

Gemessen an ihrer Grösse, darf die Universität Freiburg stolz sein auf ihren Anteil am hart umkämpften Markt der Spitzenforschung. Um diesen Platz zu verteidigen, setzt die Uni nicht zuletzt auf die Unterstützung und das Interesse der regionalen Wirtschaft. Ein Gespräch mit der Forscherin und künftigen Vizerektorin Katharina Fromm, und der Direktorin der Handels- und Industriekammer des Kantons Freiburg, Chantal Robin.

Katharina Fromm, wie erklären Sie als Forscherin den Begriff Spitzenforschung?

Katharina Fromm: Spitzenforschung muss an der Wissensfront passieren, da wo vorher noch keiner war. Man sucht neue Ideen, erforscht neue Bereiche. Ich nehme das Beispiel der Chemie, da wird quasi jeden Tag bei uns eine neue Verbindung hergestellt, eine, die es sonst noch nirgends auf der Welt gibt. Und wenn solche Spitzenforschung dann den Weg in die Anwendung findet, dann kann auch die Gesellschaft davon profitieren.

Wird Spitzenforschung auch anhand der dafür erhaltenen Gelder gemessen?

Katharina Fromm: Mag sein, dass sie als Masseinheit verwendet werden, um Universitäten untereinander zu vergleichen. Ich finde das ein bisschen unfair, denn auch wenn eine eher kleine Universität wie unsere finanziell schlechter dasteht als grössere Universitäten, so erhalten wir doch immer wieder beträchtliche Summen über Drittmittelbeiträge und brauchen uns nicht zu verstecken. Für das zur Verfügung stehende Geld leisten wir einen extrem guten Output. Das ist doch auch eine aussagekräftige Masseinheit.

Bringen wir mal die Wirtschaft ins Spiel: Welche Beziehung hat die lokale Industrie zur Spitzenforschung der Uni Freiburg?

Chantal Robin: Die Freiburger Wirtschaft ist sehr diversifiziert. Nehmen wir nur schon den Bausektor, der in unserem Kanton sehr gut entwickelt ist. Viele Unternehmen sind führend in ihrem Bereich und bringen hervorragende Produkte auf den Markt. Entsprechend gross ist auch das Potential zu einer Zusammenarbeit mit der Universität. Das Problem ist die Zusammenführung von Uni und Industrie. Unsere Rolle ist es, da eine Brücke zu bilden und Türen zu öffnen. Ich hatte vor ein paar Jahren das Vergnügen, das Labor von Katharina Fromm besuchen zu dürfen. Und ich muss sagen, ich war unglaublich beeindruckt! Aber die Universität ist die Welt der Forschung und der Wissenschaft und diese Welt hat auf Aussenstehende manchmal eine etwas abschreckende Wirkung. Diesbezüglich hat sich schon vieles getan in den letzten Jahren. Mit dem Tag der offenen Tür zum Beispiel. Aber wir müssen noch vermehrt Begegnungen schaffen, welche die Industrie näher an die Universität bringen.

 

Katharina Fromm  ©STEMUTZ.COM

Gibt es ein Rezept dafür?

Chantal Robin: Zuerst einmal ist das Netzwerk, das die Uni zur Industrie unterhält, absolut fundamental. Dann gilt es, den Unternehmen Beispiele aufzuzeigen. Firmenchefs lieben Erfolgstories! Die Universität ist ein Reichtum für den Kanton und es wäre schade, davon nicht zu profitieren. Damit eine Zusammenarbeit entsteht, müssen aber alle Akteure zusammenspielen. Die Universität, die Hochschulen und die Industrie. Da gibt es noch zu viele Gräben. Dabei ist gerade die kollektive Intelligenz ein sehr wertvolles Gut.

Nennen Sie mir bitte ein Beispiel einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen der Spitzenforschung und der Wirtschaft.

Katharina Fromm: Ich habe selbst mehrere Innosuisse-Projekte am Laufen und arbeite mit Schweizer Firmen zusammen. Auch für die Mitarbeitenden in meinem Team ist es toll zu sehen, dass eine Forschung auch wirklich in einem Produkt endet. Was den Kanton Freiburg angeht, so arbeiten wir mit dem Swiss Plastics Cluster--Netzwerk zusammen, das ist ein Zusammenschluss von Polymer produzierenden Firmen im Kanton, aber auch darüber hinaus. Das Netzwerk tritt regelmässig mit Fragen an uns heran oder auch an die Hochschule für Technik und Architektur. Solche Fragen öffnen den Blick der Forschenden und zeigen ihnen, was sie mit ihrer Forschung vielleicht auch noch machen könnten. Denn manch eine Entdeckung geschah zufällig, das weiss ich aus eigener Erfahrung: Wir hatten eine Verbindung hergestellt, die Pestizide und verschiedene Sprengstoffe detektieren kann. Es ergab sich zufällig, dass man damit auch den Zapfengeschmack beim Wein nachweisen kann. Völlig zufällig!

Angenommen, Sie möchten für diese Entdeckung jetzt eine Firma finden, die daraus einen markttauglichen Zapfendetektor macht. Wie gehen Sie vor?

Chantal Robin: Es gibt Strukturen, wie die Freiburger Wirtschaftsförderung oder auch Innosquare, die die Schaffung solcher Verbindungen zwischen der Industrie und der Forschung unterstützen. Die Industriepartner müssen aber erst einmal wissen, was an der Uni überhaupt so gemacht wird! Networking ist das Wort der Stunde. Die richtigen Leute kennen, die wiederum die richtigen Leute kennen. Freiburg ist ja ein kleiner Kanton. Das bedeutet zwar, dass man sich für komplexere Forschungsanwendungen über die Kantonsgrenze hinaus orientieren muss, aber es heisst auch, dass die Wege kurz sind.

Katharina Fromm: Techtransfer Fribourg und das Swiss Integrative Center for Human Health (SICCH) engagieren sich auch von Seiten der Universität als Schnittstellen zwischen der Forschung und den Unternehmen. Tatsache aber ist: Die Forschenden sind gut in der Forschung. Doch sie brauchen Hilfe in der Kommunikation, um ihre Forschungsresultate nach aussen zu tragen. Und sie brauchen auch Hilfe, wenn sie ein Start-up-Unternehmen gründen wollen, etwa um einen Business-Plan zu erstellen. Deswegen wäre es toll, wenn man von Seiten der Uni Matchmaking-Events initiieren könnte, beispielsweise Studierende aus den Wirtschaftswissenschaften, die mit Studierenden der Naturwissenschaften über ein Start-up nachdenken und sich gegenseitig helfen. Oder die die Gründung einer Start-up zu einer Masterarbeit nutzen.

Chantal Robin: Ich glaube, die Schweizer Wirtschaft ist stärker in der Renovation als in der Innovation. Wir sind eher reaktiv als proaktiv.

Katharina Fromm: Im Kanton Freiburg haben wir auch nicht dieselbe Start-up-Kultur wie etwa in Basel, wo sogenannte Business Angels ganz konkret Ausschau halten nach Ideen für neue Start-ups. Ich vergleiche das immer mit einem Pferderennen. Da schaut man sich die Pferde an und setzt auf eines und hofft, dass es gewinnt. Man muss also bereit sein, Geld zu investieren in der Hoffnung, dass das Pferd gewinnt. Eine Investition in die Forschung ist eine Investition in die Zukunft. Aber man muss bereit sein, auch einen Misserfolg einstecken zu können.

 

Chantal Robin ©STEMUTZ.COM

Der Schritt von der Grundlagenforschung in die Anwendung ist kompliziert.

Katharina Fromm: Es ist ein grosser Schritt. Aber es ist auch eine Frage der Kommunikation. Man muss darüber reden. Forschungsergebnisse müssen in die Zeitung, ins Radio.

Und davon hört ein Firmenboss und denkt sich: Diesen Zapfendetektor will ich produzieren!

Katharina Fromm: Ja, genau so war das! Wir hatten einen Impact in den Nachrichten und Zeitungen bis nach Frankreich und Belgien. Und ich habe jetzt eine Firma an der Hand, die genau diesen Zapfendetektor will. Und das nur wegen einer Medienmitteilung.

Forscht die Uni nach dem, was die Wirtschaft braucht oder nimmt die Wirtschaft, was die Uni bietet?

Katharina Fromm: Die Universität macht Grundlagenforschung. Aber eine der wichtigen Aufgaben, die wir auch als Forschende haben, ist es eben, die Augen offen zu halten und zu schauen, wie eine Forschung in Richtung einer Anwendung weitergetrieben werden könnte. Wobei man das nicht in jedem Forschungsgebiet machen kann. In der Teilchenphysik wird es schwierig, etwas direkt in die Anwendung zu bringen. Aber um die Teilchenphysik durchführen zu können, braucht man Apparate, die noch nicht entwickelt sind und die entwickelt werden müssen. Und daraus ergeben sich wieder Anwendungen. Das tollste Beispiel dafür ist die Weltraumforschung. Daraus sind so viele neue Dinge entstanden, neue Materialien, etwa für die Autoindustrie, die würde man ohne diese Grundlagenforschung nicht kennen.

Nun geht es ja nicht nur um die Frage, wie eine Uni ihre Spitzenforschung in die Wirtschaft bringt, sondern auch darum, wie sie überhaupt namhafte Forschende anziehen und behalten kann.

Katharina Fromm: Oh ja, beides ist nicht einfach. Wir haben auch an der Uni Freiburg den einen oder anderen ERC-Grantee verloren. Diese Leute nehmen die Drittmittel mit und gehen an eine andere Uni. Da wünscht man sich als Universität dann etwas mehr Spielraum, um diese Personen halten und unterstützen zu können. Diesen Spitzenforschenden kann man nicht zusätzlich zu ihrer Forschung noch aufbürden, dass sie Departementspräsident sein oder in der Bibliothekskommission sitzen müssen. Gerade auch jungen Forschenden müssen wir die Möglichkeit bieten können, dass sie einfach mal nur forschen und vielleicht nur vier Stunden pro Woche in der Lehre tätig sind. Aber Tatsache ist, dass das Budget der Universität zu 95 Prozent schon verplant ist, wenn wir das Geld bekommen. Der Spielraum ist also wirklich sehr klein.

Trotzdem zählt die Uni Freiburg eine staatliche Anzahl an namhaften und vielversprechenden Spitzenforschenden zu ihrer Flotte.

Katharina Fromm: Es ist wohl ein Gesamtpaket. Einerseits zählen die von einer Universität zur Verfügung gestellten, nicht projektgebundenen Mittel, mit denen man freie Forschung machen kann. Einfach mal crazy ideas ausprobieren, mit denen man sich wiederum für weitere Drittmittel qualifizieren kann. Je mehr solche Mittel zur Verfügung stehen, desto attraktiver ist der Forschungsplatz. Auch in Sachen Lebensqualität, Kultur und Natur, hat Freiburg einiges zu bieten. Der Austausch unter den Forschenden ist gut, die Wege sind kurz und unkompliziert. Es kommt eben nicht nur auf das Gehalt an, sondern auf das ganze Paket.

Zurück zur Kernfrage: Welche Strategie hat die Universität Freiburg, um ihren Platz in der nationalen und internationalen Spitzenforschung zu verteidigen respektive auszubauen?

Katharina Fromm: Ich bin ab dem nächsten Januar Vizerektorin für Forschung und Innovation und gedenke, genau solche Aktivitäten zu unterstützen und zu aktivieren, wie wir sie jetzt besprochen haben. Die Uni soll näher hin zur Bevölkerung, zur lokalen Wirtschaft. Ich denke der Platz Freiburg, speziell das Plateau de Pérolles, hat sehr viel Potential. In Freiburg gibt es viele Player auf dem Gebiet der Innovation, die man zusammenbringen kann und sollte. Ich hoffe, dass es mir gelingt, diesen Dialog zu intensivieren und den entrepreneurial spirit zu stärken, so dass das eine oder andere Start-up aus der Forschung heraus entsteht. Freiburg ist ein kleiner Rohdiamant und es gibt noch ganz viele Facetten, die man aus diesem Diamanten herausschleifen kann.

Katharina Fromm, Sie sind seit vielen Jahren als erfolgreiche Forscherin an der Uni Freiburg tätig. Was hält Sie hier?

Katharina Fromm: Ich habe neben der Chemie immer auch die Sprachen geliebt und finde es toll, dass man an der Uni Freiburg, speziell auch in der Chemie, in drei Sprachen ein Studium anbieten kann. Ich unterrichte auf Französisch und Deutsch im Bachelor und auf Englisch im Master. Und ich bin immer wieder überzeugt davon, dass es nichts Besseres gibt, als eine naturwissenschaftliche Ausbildung in drei Sprachen zu absolvieren. Auch gefällt mir, dass es eine kleine Uni ist, an der man etwas bewegen kann. Wenn man Lokomotive sein möchte, dann passiert auch was.

 

Katharina Fromm ist seit 2006 Professorin für Chemie an der Universität Freiburg. Ab Januar 2020 wird sie ausserdem das Amt der Vizerektorin für Forschung und Innovation ausüben. In ihrer Forschung beschäftigt sich Katharina Fromm unter anderem mit antibakteriellem Silber und der Frage, wie sich Silberbeschichtungen auf Implantate auswirken.
katharina.fromm@unifr.ch

Chantal Robin ist seit 2016 Direktorin der Handels- und Industriekammer des Kantons Freiburg. Zuvor war sie lange Jahre als administrative Direktorin der Firma Sofraver tätig.
crobin@ccif.ch