ÖkologiePublikationsdatum 16.09.2025

Rettung einer Tierart – zulasten anderer?


Manchmal ist der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. In der Hoffnung, bedrohte Tierarten und Ökosysteme zu retten, schlagen manche Naturschutzprojekte vor, grosse pflanzenfressende Säugetiere in Gebiete ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets einzuführen. So lobenswert diese Strategie auch erscheinen mag – sie könnte sich als Bärendienst erweisen, wie drei Forschende der Universität Freiburg zeigen. Insgesamt überwiegen die negativen Auswirkungen eingeführter Pflanzenfresser auf die heimische Biodiversität deutlich die beobachteten Vorteile.

Können eingeführte Arten der Biodiversität nützen? Dieser Frage gingen Zoé Bescond--Michel, Giovanni Vimercati und Sven Bacher vom Departement für Biologie der Universität Freiburg nach. „Angesichts des Rückgangs vieler Tierpopulationen – insbesondere grosser Pflanzenfresser wie Elefanten, Kamele oder amerikanischer und europäischer Büffel – mehren sich die Rufe in der Fachwelt, diese Tiere ausserhalb ihres ursprünglichen Lebensraums zum Zweck des Naturschutzes anzusiedeln“, erklärt Giovanni Vimercati. „Die Befürworter solcher Massnahmen“, so fährt er fort, „versprechen sich von diesen Einführungen auch die Wiederherstellung natürlicher Prozesse, die im Laufe der Jahrhunderte degeneriert sind – etwa die Verbreitung von Samen oder Nährstoffkreisläufe – und damit eine Revitalisierung von Ökosystemen, die durch menschliche Aktivitäten geschädigt wurden.“       

Fachleute für gebietsfremde Arten mahnen jedoch zur Vorsicht: Es bestehe die Gefahr, sprichwörtlich den Bock zum Gärtner zu machen. Es gibt zahlreiche Beispiele für eingeführte Arten – ob absichtlich oder unbeabsichtigt –, die sich als unkontrollierbar erwiesen und einheimische Arten gefährdet oder ausgerottet haben. So haben Katzen und Ratten, besonders wenn sie auf Inseln eingeführt wurden, schon zum Aussterben einheimischer Vögel und Säugetiere geführt.

Objektive, standardisierte Risikobewertung
Bisher konzentrierten sich Studien vor allem auf die negativen Auswirkungen eingeführter Arten auf die Biodiversität. Die Freiburger Forschenden plädieren für eine differenziertere Betrachtung. Sven Bacher betont: „Die Mehrheit der Fachleute erkennt an, dass es auch positive Effekte für einheimische Arten geben kann. Eine neu eingeführte Art kann zum Beispiel die ökologische Rolle einer ausgestorbenen Art übernehmen oder eine wichtige Nahrungsquelle für einheimische Räuber darstellen. Doch bislang wissen wir nicht, wie stark diese positiven Effekte tatsächlich sind.“

Um ein klareres Bild zu erhalten, analysierten die drei Forschenden mehr als 2000 dokumentierte positive und negative Auswirkungen grosser Pflanzenfresser, die aus verschiedenen Gründen weltweit ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets eingeführt wurden. Für den Vergleich nutzten sie zwei Analyseinstrumente, die sie gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam über die letzten zehn Jahre entwickelt haben. Das erste, EICAT (Environmental Impact Classification for Alien Taxa; «Klassifizierung der Umweltauswirkungen gebietsfremder Arten»), bewertet die negativen ökologischen Auswirkungen eingeführter Arten auf die Biodiversität und ist von der Weltnaturschutzorganisation IUCN als globaler Standard anerkannt. Das zweite, EICAT+, überträgt die Grundprinzipien von EICAT auf die Bewertung potenziell positiver Effekte eingeführter Arten auf die Biodiversität.

Wenn die Therapie schlimmer ist als die Krankheit
Die Ergebnisse dieser Analysen wurden nun in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Für Zoé Bescond--Michel sind sie ein deutliches Warnsignal: „Bei der Untersuchung von Fällen, in denen grosse Pflanzenfresser wie Hirsche, Pferde oder Büffel ausserhalb ihres ursprünglichen Lebensraums eingeführt wurden, stellten wir fest, dass diese Massnahmen trotz bester Absichten der lokalen Biodiversität oft mehr schaden als nützen.“ Erschreckend: In der wissenschaftlichen Literatur fand sich nur eine einzige Art – der Schweinshirsch (Axis porcinus) –, bei der keine negativen Auswirkungen dokumentiert wurden. „Unsere Ergebnisse sind deutlich.“, so Bescond--Michel: „Nur eine von fünf dokumentierten Auswirkungen eingeführter grosser Pflanzenfresser war positiv.“

Besonders empfindlich reagierten Inselökosysteme und Arten am oberen Ende der Nahrungskette auf die Einführung von Pflanzenfressern. Zwar konnten auch Vorteile für bestimmte einheimische Arten festgestellt werden – diese gingen jedoch häufig auf Kosten anderer. Ein Beispiel: In einigen Regionen profitierten seltene einheimische Pflanzen davon, dass eingeführte Hirscharten (Cervus elaphus, Cervus nippon und Muntiacus reevesi) deren natürliche Konkurrenten frassen. Doch Bacher relativiert: „Dieser positive Effekt geht zulasten anderer einheimischer Arten, die von den eingeführten Tieren bevorzugt gefressen werden.“

Folgen für den Naturschutz
Auch wenn die Forschenden die positiven Effekte berücksichtigten, blieben diese selten und schwach. Zudem nahmen die positiven Auswirkungen im Laufe der Zeit ab – im Gegensatz zu den negativen, die konstant blieben und im Durchschnitt stärker ausfielen. Aufgrund dieser Asymmetrie regen die drei Forschenden nun ihre Kolleginnen und Kollegen dazu an, die Argumente für die Einführung gebietsfremder Arten im Rahmen von Wiederansiedlungsprojekten oder als Reaktion auf den Klimawandel kritisch zu überdenken.

Die Autorinnen und Autoren empfehlen, Risiken und Nutzen sorgfältig abzuwägen, bevor Massnahmen ergriffen werden. Giovanni Vimercati fasst zusammen: „Wenn bedrohte Arten ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets angesiedelt werden, können sie dort zwar eine ökologische Rolle übernehmen – sie können aber auch selbst invasiv werden und bereits gefährdete einheimische Arten zusätzlich bedrohen. Vorbeugen ist besser als einführen.“

Bescond--Michel, Z., Bacher, S. & Vimercati, G. Harms of introduced large herbivores outweigh benefits to native biodiversity. Nat Commun 16, 8260 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-63807-2