Philosophieren in Freiburg Publikationsdatum 22.06.2021

Philosophieren in Freiburg - Tradition und Erneuerung


Das Departement für Philosophie in Freiburg hat eine traditionsreiche Geschichte, dem sie ihren Ruf im In- und Ausland verdankt. Seit Universitätsgründung Ende des 19. Jahrhunderts oblag ihr Unterricht lange den Dominikanerpatern, sowohl innerhalb der Theologischen als auch der Philosophischen Fakultät. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verselbstständigte sich die Philosophie, um sich als eigene Disziplin - und später: als Departement - zu etablieren. Heute ist sie fest in der Philosophischen Fakultät verankert und zeichnet sich durch Methodenpluralismus und ein breites Verständnis von Philosophie aus. Berücksichtigt sind dabei sowohl die Geschichte der Philosophie in all ihren Epochen sowie ihre neuesten Entwicklungen und Debatten. Renommierte Philosoph_innen waren und sind regelmässig im Rahmen von Workshops und Dozenturen zu Gast (dazu zählte etwa Emmanuel Lévinas, der am Departement über lange Jahre Phänomenologie-Vorlesungen und Einführungen in das hebräische Denken anbot). Jedes Semester kommen auswärtige Gastforschende nach Freiburg, um von der Expertise der diversen Forschergruppen Gebrauch zu machen und diese umgekehrt zu bereichern.

Die Lehr- und Forschungstätigkeiten der Freiburger Philosophie verteilen sich entlang zwei Hauptachsen: die Geschichte der Philosophie einerseits und die systematische Philosophie andererseits. Auf der historischen Achse befinden sich drei Lehrstühle: antike Philosophie (Prof. Karfik), Philosophie des Mittelalters (Prof. Tiziana Suarez-Nani) sowie neuzeitliche und zeitgenössische Philosophie (Prof. Soldati). Auf der systematischen Achse befinden sich die Lehrstühle für Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes und der Humanwissenschaften (Prof. Nida-Rümelin), Ethik und politische Philosophie (Prof. Bader) sowie Ästhetik und Kunstphilosophie (Prof. Alloa). Mit dem im Zuge der Neubesetzung 2019 vorgenommenen Reprofilierung des letztgenannten Lehrstuhls bietet Freiburg den schweizweit ersten Universitätslehrstuhl für Ästhetik überhaupt an. Während zwei neue Kollegen kürzlich das Professorenteam verstärkten (Prof. Bader und Prof. Alloa), werden zwei andere leider in diesem Sommer in den Ruhestand treten (Prof. Karfik und Prof. Suarez-Nani). Dass die Universität Freiburg heute als renommiertes Forschungszentrum für antike Philosophie - und für den Neuplatonismus im Besonderen - sowie für die Philosophie des Mittelalters anerkannt ist, so ist dies nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz beider Kollegen zu verdanken. Für beide müssen nun würdige Nachfolger gefunden werden, um deren Arbeit innerhalb der Fakultät und des Instituts für Antike und Byzanz sowie des Mediävistischen Instituts fortzusetzen.

Die Klärung unserer begrifflichen Vorannahmen

Auf Texte wie auf Kontexte aufmerksam, der Vielfalt der Denkstile und -formen eingedenk, steht die Philosophie in Freiburg daher ganz selbstverständlich in einem interdisziplinären Dialog mit anderen Wissenschaften, seien sie nun philologischer, historischer, sozialwissenschaftlicher, naturwissenschaftlicher oder psychologischer Ausrichtung. Andererseits kann es nicht Ziel der Philosophie sein, mit den erklärenden bzw. mit den interpretierenden Wissenschaften auf deren angestammten Terrain zu konkurrieren. Die Tätigkeit der Philosophie besteht vielmehr darin, die stillschweigenden Vorannahmen begrifflich zu klären und aufzuzeigen, welche Deutungsmuster die Wissenspraxis sowie unserem alltäglichen Umgang mit der Welt prägen.

In diesem Sinne werden im Bereich der Ethik und der politischen Philosophie etwa die meta-ethischen Grundlagen unserer Normen untersucht, das heisst, zu überprüfen, ob die Werte, die unsere Handlungen und Urteile leiten, auf begründeten Annahmen beruhen (oder nicht). Forschende, die mit dem EXRE-Zentrum (Experience and Reason) verbunden sind, beschäftigen sich wiederum mit der Frage, was bewusste Wesen von allen anderen unterscheidet, wobei gegen die Reduzierung des Geistes auf neuronale Substrate das Primat erstpersonaler Erfahrung verteidigt wird. In wiederum eher historischer Perspektive offenbart die Forschung zur deutsch-österreichischen Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts viele ungeahnte Verbindungen, sowohl im Hinblick auf eine gemeinsame intellektuelle Herkunft der sogenannten angelsächsisch-analytischen und der sogenannten „kontinentalen“ Tradition als auch auf die Ideengeschichte Mittel- und Osteuropas. Ein SNF-Prima-Projekt (Leitung: S. Schmetkamp) untersucht ferner die ethischen wie ästhetischen Dimensionen der Aufmerksamkeit, während sich die Forschergruppe Ästhetik&Kritik innerhalb des Departements sowie der Fakultät als transversale Plattform für die Erforschung der Künste und ihrer Erfahrung versteht.

Gelebte Mehrsprachigkeit

Eine Besonderheit innerhalb der Fakultät ist zweifellos die konsequente Zweisprachigkeit: Sowohl auf BA- als auch auf MA-Stufe können die Studierenden zwischen einem vollumfänglichen Studienprogramm auf Französisch, einem vollumfänglichen Studienprogramm auf Deutsch oder aber einem zweisprachigen Studienprogramm wählen. Um diese drei Studiengänge auf Zeit sicherzustellen, wird die Lehre in allen Teilbereichen in gleichem Umfang in beiden Sprachen angeboten. Vor der Folie einer starken Budgetreduzierung, bei der in den vergangenen Jahren die Lehrauftragsmittel aus Solidaritätsgründen an andere unterbesetzte Departemente abgetreten wurden, leisten nun alle Dozierende zu gleichen Teilen ihr Lehrdeputat in den zwei Sprachen ab. Sowohl die Professor_innen als auch die Mitglieder des Mittelbaus bieten Lehrveranstaltungen abwechselnd auf Deutsch und auf Französisch an (mit teilweise dreisprachigen deutsch-französisch-englischen MA-Seminaren). Auf Ebene der Doktorandenausbildung ist die Mehrsprachigkeit sogar noch ausgeprägter, mit Dissertationen, die auf Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch verfasst werden (und von denen sich eine beträchtliche Anzahl zudem mit griechischen und lateinischen Quellentexten beschäftigt).

Für ein Fach wie die Philosophie, das um die Sprachabhängigkeit unseres Denkens weiß, ist zu hoffen, dass die Beweglichkeit zwischen den Sprachen – für Dozierende und Studierende gleichermassen – auch mit einer erhöhten Beweglichkeit des Denkens einhergeht. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, behauptete Wittgenstein einst. In einem Departement, in dem die Sprachgrenzen zur Sprachschwelle werden, und im Alltag in beide Richtungen überquert werden, sind es die Konturen der Welt, die in Bewegung geraten. Man geht wohl richtig in der Annahme, dass sich diese Schwellenerfahrungen für die Praxis des philosophischen Denkens, die konstitutiv mit dem Zweifel am allzu Selbstverständlichen zusammenhängt, von einem Makel in einen Vorzug verwandeln kann. Die vielen Studierenden, die der Fachbereich seit Jahrzehnten ausbildet und die mittlerweile an den Schulen, in der Forschung, in internationalen Organisationen und im Kultursektor wirken, sind heute als deren besten Botschafter unterwegs.

                                                                                                          Newsletter - Philosophische Fakultät - Juni 2021