Ein Forscher der Uni Freiburg geht mit seinem Weissmacher «all-in»

Ein Forscher der Uni Freiburg geht mit seinem Weissmacher «all-in»

Ab September ist der Weissmacher Titandioxid auch in der Schweiz in Lebensmitteln verboten. Lukas Schertel von der Universität Freiburg hat eine Alternative aus Cellulose entwickelt. Mit seinem Start-up hat er dafür den renommierten de Vigier Preis gewonnen. Es könnte ein grosses Ding werden, zunächst aber gilt es, die gute Idee aus dem Labor in ein marktgerechtes Produkt umzuwandeln.

Rein, attraktiv, lecker – das sind Eigenschaften, die wir gemeinhin mit der Farbe Weiss assoziieren. Lukas Schertel hat in den letzten Monaten mit vielen Vertreter_innen aus der Industrie gesprochen. «Der Tenor war immer der gleiche: Das Konsumverhalten ist direkt mit dem optischen Erscheinungsbild verbunden», sagt der Senior Researcher am Departement für Physik der Uni Freiburg. Weisspigmente werden deshalb nicht nur in Druckerpatronen oder der Farbe verwendet, mit der wir unsere Wand weiss streichen, sondern auch in vielen Bereichen, in denen es eigentlich gar nicht nötig wäre. Sie machen unsere Zahnpasta weisser, unsere Kopfwehtabletten, die Sonnencreme, die Kuchenglasur.

Titandioxid umstritten
Es ist ein riesiger Markt; derzeit dominiert der Weissmacher Titandioxid, es geht um 10 Millionen Tonnen Material, um 16 Milliarden Dollar. Das Problem: Titandioxid wird immer umstrittener. Es gilt nicht mehr als sicher, neuen Studien zufolge kann eine erbgutschädigende Wirkung nicht ausgeschlossen werden, die Nanopartikel stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Der Verweis E171 ist auf vielen Verpackungen deshalb mittlerweile ungern gesehen. Mehr noch: In Lebensmitteln ist er vielerorts verboten. Frankreich machte 2020 den Anfang, die EU zog dieses Jahr nach, in der Schweiz läuft im September die Übergangsfrist ebenfalls ab.

Ein Käfer als Inspirationsquelle
Die Industrie ist also auf Alternativen angewiesen. «Material weiss zu machen, ist nicht schwierig. Es reicht, es mit vielen Partikeln anzureichern.» Schertel erklärt das Prinzip anhand einer weissen Wolke. «Die erscheint weiss, weil die vielen Wasserpartikel das Licht hin- und herprallen lassen. Durch diese Streuevents wird das Licht irgendwann diffusiv und wird zurückgestreut.» Die Herausforderung bei der Suche nach einem Ersatz für Titandioxid war allerdings, ein starkes Weiss, also eine sehr starke Reflexion mit sehr wenig Material herzustellen.

Schertel und andere Forscher_innen liessen sich dabei von der Tierwelt inspirieren. Ein weisser Käfer aus Südostasien, der Cyphochilus, hat auf seinen Flügeln eine poröse Netzwerkstruktur, die extrem stark Licht strahlt. «Da kam in der Wissenschaft die Frage auf: Können wir Netzwerkstrukturen, können wir Fibrillen für bessere Streuung benutzen?» Schertel war prädestiniert für die Beantwortung dieser Frage. Er hatte in Zürich im Bereich optische Materialien promoviert, für sein Postdoktorat in Cambridge arbeitete er später viel an Biomaterialien, besonders an Cellulose. Durch diese Kombination kam er auf die Idee, Cellulose für die Streuung zu benutzen.

Wissenschaftler und Unternehmer
Schertel legt Wert darauf zu betonen, dass er die Forschung keinesfalls alleine betrieben hat, sondern von vielerlei Hilfe und Vorarbeit profitierte. Er denkt dabei unter anderen an Professor Frank Scheffold von der Universität Freiburg oder Professorin Silvia Vignolini von der Universität Cambridge. Einer seiner wichtigsten Beiträge in dem Ganzen sei schlicht auch, dass er sich irgendwann hingesetzt und praktische Fragen gestellt habe: «Was machen wir mit dieser Laborerfindung, die in einem ineffektiven Prozess ein paar Milligramm Pulver rausschickt? Was für ein Markt besteht? Welche Technologien für die Skalierung sind bereits vorhanden?»

Es sind klassische Fragen, mit den sich auseinandersetzen muss, wer die Theorie in die Praxis umsetzt, eine Idee in ein kommerzielles Produkt verwandelt. Seit zwei Jahren wagt Lukas Schertel diesen Spagat zwischen Wissenschaft und Unternehmertum, erstellt Finanzpläne, meldet Patente an, führt Lizenzverhandlungen. Im Rahmen des Bridge-Programms des Schweizerischen Nationalfonds, das bis im Juni lief, verfolgte er zuletzt an der Uni Freiburg ganz klar das Ziel, ein cellulosebasiertes Weisspigment zu entwickeln, das langfristig über ein Start-up kommerzialisiert werden kann. Im Rahmen des Förderprogramms Innosuisse arbeitet er mittlerweile zusätzlich auch noch mit der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg zusammen.

Keine echten Alternativen
«Es läuft gut, das Interesse aus der Wirtschaft ist gross», sagt Schertel. Sein Start-up-Unternehmen Impossible Materials hat auch bereits einen Plan entwickelt, wie aus den Grammen bald Kilogramme werden sollen. Vom Markteintritt ist das Start-up aber doch noch ein gutes Stück entfernt. In den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren soll das Produkt weiterentwickelt, Genehmigungen eingeholt werden, um einen kommerziellen Status zu erreichen. «Danach gilt es, die kommerzielle Produktion aufzubauen, in einer Fabrik grössere Mengen herzustellen, da reden wir dann von Hunderten Tonnen.» Schertel hofft, in drei bis vier Jahren die Materialien kommerziell produzieren zu können.

Er muss sich deshalb ab und zu die Frage gefallen lassen, ob seine Firma nicht bereits zu spät komme. Schliesslich benötigen zumindest die Firmen im Lebensmittel-Sektor bereits jetzt eine Alternative. «Die Antwort lautet nein. Alle Firmen, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir, sie hätten noch keine befriedigende Alternative gefunden. Sie stellen zwar zwangsläufig um, allerdings auf Materialien, mit denen sie nicht komplett zufrieden sind. Deshalb sind sie weiter sehr offen für Innovationen.»

Schertel kategorisiert die derzeitigen Alternativen zum Titandioxid in mineralienbasierte und pflanzenbasierte, Beispiele dafür sind Calciumcarbonat und Reisstärke. Sie haben verschiedene Schwächen, ihr Hauptmanko: «Sie bringen nicht die gleiche Performance, was die Streuung angeht – sie sind schlicht nicht weiss genug.»

Nachhaltigkeit als Trumpf
Ein Problem, das Schertels cellulosebasierte Alternative nicht hat. «Wir konnten im Labor zeigen, dass wir diese Materialien outperformen», sagt er selbstbewusst. Das sei aber nicht der einzige Trumpf. «Cellulose ist Teil von jeder Pflanzenzellwand. Entsprechend unproblematisch ist die Produktion auch in grossen Mengen. Unser Prozess, um die Streupartikel herzustellen, ist deutlich CO2-ärmer als etwa beim Titandioxid.»

Titandioxid könnte in den nächsten Jahren deshalb weiter unter Druck geraten. Nicht nur, weil es den Konsument_innen längerfristig schwer zu vermitteln sein dürfte, dass Titandioxid in Mayonnaise verboten ist, in Kinderzahnpasta jedoch erlaubt, sondern eben auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit.

Förderpreis über 100’000 Franken
Dass grosses Potenzial in der Idee von Lukas Schertel steckt, beweist die Tatsache, dass er im Juli mit seinem Start-up in Solothurn den mit 100’000 Franken dotierten Förderpreis der W.A. de Vigier Stiftung überreicht bekam. «Wir freuen uns sehr über das Startgeld.» Es hilft Impossible Materials dabei, den nächsten Schritt zu gehen, sich von der Universität loszulösen. Eine Handvoll Leute wird bald, voraussichtlich im Marly Innovation Center, das Projekt auf die nächste Ebene bringen. «Es ist ein langer Prozess vom Labor in die Supermärkte. Man benötigt viel Resilienz, um ständig dranzubleiben», sagt Lukas Schertel. «Aber als ich gesehen habe, wie gross das Interesse aus der Industrie ist, habe ich beschlossen, «all-in» zu gehen.»

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Author

Matthias Fasel ist Gesellschaftswissenschaftler, Sportredaktor bei den «Freiburger Nachrichten» und freischaffender Journalist.

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