08.11.2011

Freiburger Forschende lösen Knacknuss der Physik


Wissenschaftler des Physikdepartements der Universität Freiburg um Prof. Jean-Claude Dousse und Dr. Joanna Hoszowska haben eine 85-jährige Knacknuss der experimentellen Physik gelöst. Sie vermochten einen Effekt zu messen, den der Physiker Werner Heisenberg 1925 vorausgesagt hatte. Bisher waren alle Versuche, diese Voraussage experimentell mit Hilfe von Röntgenstrahlung nachzuweisen, gescheitert. Die Ergebnisse wurden im renommierten Journal Physical Review Letters publiziert und tragen zu einem besseren Verständnis der Interaktionen zwischen Elektronen innerhalb eines Atoms und einer exakteren Modellierung von Viel-Elektronen-Systemen bei.

Die European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble, wo die Tests durchgeführt wurden.  Bild: P. Ginter/ESRF

Der beobachtete atomare Abregungsprozess entspricht der Transition eines „Elektronenpaars“ in die vorher geleerte innere Elektronenschale und geht mit der Emission eines einzelnen Röntgenfluoreszenzphotons einher. Die experimentelle Messung dieses two-electron-one-photon (TEOP, Zwei-Elektronen-Ein-Photon) Prozesses ist aus folgenden Gründen sehr herausfordernd. Um diesen Prozess zu ermöglichen, muss die K-Elektronenschale geleert werden, d.h. die beiden Elektronen der innersten Schale müssen gleichzeitig aus dem Atom entfernt werden. Die Wahrscheinlichkeit einen solchen Zustand zu erzeugen ist, insbesondere mit Röntgenstrahlung, sehr gering. Entsprechend hochintensive Röntgenstrahlung ist erforderlich, um ausreichend oft beide Elektronen aus der K-Schale eines einzelnen Atoms herauszuschlagen. Mit Ionen lässt sich ein mehrfach ionisierter Zustand des Atoms einfacher erzeugen, allerdings werden, im Gegensatz zur Ionisation mit Röntgenstrahlung, nicht ausschliesslich die zwei Elektronen der K-Schale, welche von Interesse sind, aus dem Atom herausgeschlagen. Dies erschwert den Vergleich mit der Theorie. Hinzu kommt, dass die Transition eines einzelnen Elektrons, welches eine der Lücken in der inneren K-Schale füllt, um einige Grössenordnungen (ungefähr ein Faktor 2000) wahrscheinlicher ist als die gleichzeitige Transition von zwei Elektronen. Diese beiden Faktoren bedingen, dass seit 1925, das Jahr in dem die Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transition von Werner Heisenberg vorausgesagt wurde, alle Versuche diese Transition mit Hilfe von Röntgenstrahlung zu messen misslangen.

Eine experimentelle Herausforderung

Die Wissenschaftler der Atomic and X-ray Physics (AXP) Gruppe von Prof. Dr. Jean-Claude Dousse der Universtiät Freiburg stellten sich 2009 in einer internationalen Kollaboration mit Grenoble (Frankreich), Kielce (Pole) und Ljubljana (Slowenien) der Herausforderung, die Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transition durch Anregung der Probe mit Röntgenstrahlung erstmalig zu messen. Der experimentelle Nachweis dieser Transition ist nur dann möglich, wenn eine Röntgenstrahlenquelle mit sehr hoher Intensität, ein angepasstes Detektionssystem und ausreichend Zeit zur Verfügung stehen. Um diese Voraussetzungen bestmöglich zu erfüllen, führten Dr. Joanna Hoszowska, die Hauptautorin des Artikels, und ihre Kollegen die Messungen am European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble durch. Ihre Anstrengungen waren nach mehreren Versuchen erfolgreich und ihre Geduld und Ausdauer somit belohnt. Die Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transition wurde für Aluminium und Silizium im Oktober 2009 und für Magnesium im September des darauf folgenden Jahres gemessen. Es gilt hervorzuheben, dass trotz der sehr schwachen Messintensität der Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transition, ihre Energie in den drei Elementen mit einer relativen Genauigkeit von 0.015% bestimmt werden konnte.

Wieso ist diese Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transition von Interesse?

Die Materie besteht aus Atomen und Molekülen. Da die physikalischen und chemischen Eigenschaften hauptsächlich von der Art der Interaktion der Elektronen bestimmt werden, ist ein gutes Verständnis der Interaktion zwischen zwei Elektronen in der atomaren Physik äusserst wichtig. Auch in anderen Bereichen der Physik sowie in der Chemie ist dieses von besonderem Interesse, wenn es gilt eine präzise theoretische Beschreibung von komplexen Systemen oder Vorgängen zu entwickeln. Tatsächlich ist das wissenschaftliche Verständnis der Natur der Interaktionen zwischen Elektronen in Mehrkörpersystemen noch unvollständig. Insbesondere Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transitionen sind sehr empfindlich gegenüber diesen Interaktionen. Experimentelle Messungen bieten daher eine einzigartige Möglichkeit, theoretische Modelle stringenten Tests zu unterziehen. Bisherige theoretische Vorhersagen für die Zwei-Elektronen-Ein-Photon Transition weichen um vier Grössenordnungen voneinander ab und nur zwei rezente Modelle (relativistic configuration interaction calculations und many-body perturbation theory) reproduzieren die gemessenen Wahrscheinlichkeiten auf zufriedenstellende Art und Weise. Abschliessend erlauben die in dieser Arbeit publizierten Ergebnisse verschiedene theoretische Modelle für Mehrkörperprobleme miteinander zu vergleichen. Zudem geben sie Einsicht in die Natur der Korrelationen zwischen Elektronen; eine akkurate theoretische Beschreibung dieser stellt noch immer eine formidable Herausforderung dar.

Link:
First Observation of Two-Electron One-Photon Transitions in Single-Photon K-Shell Double Ionization, Phys. Rev. Lett. 107, 053001 (2011).
http://prl.aps.org/abstract/PRL/v107/i5/e053001

Kontakte:
Dr. Joanna Hoszowska, Physikdepartement, Universität Freiburg, 026 300 92 10, joanna.hoszowska@unifr.ch
Prof. Dr. Jean-Claude Dousse, Physikdepartement, Universität Freiburg, 026 300 90 73,
jean-claude.dousse@unifr.ch