Dossier
Die Reinheit des Blutes in Spaniens Früher Neuzeit
Um 1500 n. Christus wurden Menschen mit jüdischen oder muslimischen Vorfahren in Spanien von vielen Ämtern in Staat und Kirche ausgeschlossen. Die sogenannte «limpieza de sangre» entschied über Aufstieg oder Ausschluss – ein frühes System sozialer Ausgrenzung.
Im Spanien der Frühen Neuzeit gab es «Statuten der Blutsreinheit» (estatutos de limpieza de sangre). Das war ein juristisches Instrument zur Regelung der Aufnahme in einige Korporationen (u.a. Gemeinderäte, Domkapitel, Hochschulen, Ordensgemeinschaften) und Territorien (z.B. das Baskenland) durch die Exklusion der Nachfahren von Juden, Muslimen, Ketzern und von der Inquisition Bestraften. Die Beweislast lag bei den Anwärtern: Sie mussten nachweisen, dass sie – soweit man dies genealogisch dokumentieren konnte – überhaupt keine bekannten Vorfahren aus dem genannten Personenkreis hatten, dass sie also, in der Sprache der Zeit ausgedrückt, durch «unreines Blut» nicht «befleckt» oder «angesteckt» waren. Aber solche Statuten wurden nicht überall verabschiedet: viele Domkapitel, wichtige Universitäten oder die meisten Kronräte und Höchstgerichte hatten keine.
In der Aufmerksamkeit der Forschung
Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts haben diese Statuten die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen. Es fehlen aber noch viele Mikrostudien über die tatsächliche Wirkungsgeschichte dieses Exklusionsprinzips in konkreten zivilen und kirchlichen Korporationen; wichtige Quellen sind immer noch nicht (kritisch) ediert bzw. ausgewertet worden, und viele Schriften – vor allem aus den Reihen der Kritiker der Statuten – wurden vernichtet oder sind verschollen. Umstritten ist dabei nicht nur die Breitenwirkung, sondern auch, ob es sich dabei nur um ein (religiös begründetes) sozial-juristisches Diskriminierungsprinzip handelt, oder ob es auch eine Form des Rassismus (vor allem gegen die Nachfahren von Juden) unter den Bedingungen des Ancien Régime darstellt. Dem Thema kann man sich – nicht zuletzt aufgrund der bekannten Folgen des rassistischen Antisemitismus im 20. Jahrhundert – nicht ohne eine gewisse Beklemmung nähern. Gleichwohl gilt gerade hier, dass die Geschichtsschreibung, wenn sie falsche Analogien oder Rückschlüsse vermeiden will, die Vergangenheit nicht nur im Lichte der Gegenwart zu betrachten hat, sondern auch und vor allem im Lichte des damaligen Kontextes.
Ein frühneuzeitliches Phänomen
Als erstes fällt auf, dass die «limpieza-Statuten» erst um die Mitte des 15. Jh. das spanische Leben zu prägen beginnen. Wie Américo Castro bemerkt hat, machten sich die Christen des Mittelalters noch keine Sorgen über die sogenannte «Reinheit des Blutes». König Alfons X. (1221–1284) hielt im Kodex Siete Partidas fest, dass die bekehrten Juden im ganzen Reich geehrt werden sollten, dass man sie aufgrund ihrer Herkunft nicht diskriminieren sollte, dass sie von den nicht-bekehrten Juden nicht enterbt werden dürfen, und dass sie alle Ämter, Berufe und Ehren wie die anderen Christen haben dürfen. Den Bekehrungswilligen wird damit signalisiert: Der König bürgt dafür, dass ihr weder von den alten noch von den neuen Glaubensgenossen um euer Recht gebracht werdet. Ähnlich äusserten sich Päpste und Konzilien. Das prominenteste Beispiel für diese Bekehrungspolitik ist der Oberrabbiner von Burgos Salamón Ha-Leví, der 1390 konvertierte und wie ein neuer Saulus zum Pablo de Santa María wurde. In der Zeit vor der Einführung der Statuten gelang ihm eine glänzende Karriere: 1401 wurde er Bischof von Cartagena, 1415 von Burgos. Sein Sohn und berühmter Humanist Alonso de Cartagena wurde zunächst Bischof von Cartagena. 1434 nahm er im Auftrag des kastilischen Königs Juan II. (1406 –1454) am Basler Konzil teil und erwirkte dort einen Beschluss zugunsten der vollen Rechtsgleichheit der konvertierten Juden. 1435 trat er die Nachfolge seines Vaters im pfründenreichen Bistum von Burgos an.
Die bekehrten Juden oder conversos wurden erst zum Problem, als sie aufgrund ihrer Zahl, ihres Fleisses, ihrer Tüchtigkeit, ihrer Zielstrebigkeit bei der Suche nach Ämtern und Pfründen und der Deutung der Gesetze zu ihren Gunsten, ihrer Gruppensolidarität, aber auch wegen der aufgedeckten Fälle unechter, getäuschter Bekehrung bei den Altchristen (cristianos viejos) im einfachen Volk Neid, Aversion und Ressentiments hervorriefen. Das heisst also, dass die «limpieza-Statuten» nicht zuletzt als Antwort der altchristlichen Volksmehrheit auf die Veränderung der spanischen Gesellschaft durch die Massenbekehrungen zu verstehen sind, die zwischen den Pogromen von 1391 und der Vertreibung von 1492 stattfanden und aus dem jüdischen Problem eines der «Neuchristen» oder conversos machten. Auch wenn man bei konkreten Zahlen vorsichtig sein muss, so geht die Forschung davon aus, dass in dieser Zeit zumindest die Hälfte der spanischen Juden für die Taufe optierte. Dazu kommen zu Beginn des 16. Jahrhunderts Hundertausende aus dem Islam zwangsbekehrte Morisken. Kein christliches Land war damals auf die Bekehrung, d.h. kirchliche wie kulturelle Assimilation, so vieler Neuchristen aus dem Judentum oder dem Islam vorbereitet – ebenso wenig auf die Kontrolle der Echtheit und Lauterkeit ihrer Bekehrung. Die «limpieza-Statuten», die Gründung des Inquisitionstribunals (1478 –1480) und die radikale Massnahme der Vertreibung der nicht bekehrungswilligen Juden 1492 (und später auch der Morisken in verschiedenen Schüben bis 1614) sind die Antworten der Altchristen auf dieses neue Phänomen. Américo Castro spricht von drei «Castas» oder Sozialgruppen im mittelalterlichen Spanien: Christen, Juden und Muslime. Man kann sagen, dass sich mit den erwähnten Massnahmen die Kaste der Altchristen radikal durchsetzte.
Während der Hauptstrom in der Forschung der Meinung ist, dass die «Reinheit», von der die Statuten sprechen, nicht als eine biologische oder ethnische zu verstehen ist, sondern als eine soziologische Kategorie (Herkunft, Abstammung und Familie), privilegieren andere Autoren die Werke von epigonenhaften «Fanatikern der limpieza-Idee» im 17. und im 18. Jahrhundert, deren Blutideologie im Sinne eines vormodernen «Rassismus» verstanden werden kann, und neigen zur Betonung der Verwandtschaft mit der nationalsozialistischen Rassentheorie.
Sie stützen sich besonders auf «Centinela contra judíos puesta en la torre de la Iglesia de Dios» (Wächter im Turm der Kirche Gottes gegen die Juden, 1674 in Madrid erschienen mit mehreren Nachdrucken bis 1736) des Franziskaners Torrejoncillo. Darin findet sich die grösste «sprachliche» Analogie zum modernen Antisemitismus. Für den Autor wird der Hass der Diasporajuden auf Christus und die Christen vom Geschlecht zu Geschlecht durch das Blut übertragen, gleichsam wie eine zweite Erbsünde. Dazu sei es nicht nötig, dass beide Eltern Juden wären. Es genüge, wenn nur ein Elternteil ein Viertel oder gar ein Achtel jüdischen Bluts hätte.
Kann man die Entstehungsphase der nationalsozialistische Rassentheorie ins frühneuzeitliche Spanien verlagern? Max Sebastián Hering Torres – dessen Wiener Dissertation über die «limpieza-Statuten» den Titel «Rassismus in der Vormoderne?» trug, während bei der Buchpublikation (Frankfurt 2006) das Fragezeichen verschwunden ist – vertritt im Grunde eine sehr nuancierte These, die Ähnlichkeiten nicht leugnet, aber den zeitlichen Kontext mitberücksichtigt und auf die prinzipiellen Unterschiede aufmerksam macht. Auch für die schlimmsten Apologeten des spanischen Reinheitswahns stand z.B. die Monogenese der Menschheit ausser Frage; und auch in der schärfsten Form intendierten die Statuten und deren Befürworter «nur» die Exklusion der conversos von bestimmten Ämtern und Pfründen, nicht aber deren Vernichtung, weil sie als „Untermenschen“ kein Lebensrecht hätten. In der Zeit der lebhaften Kontroverse um die «limpieza-Statuten» fehlt es auch nicht an prominenten Nachfahren von Juden in Spaniens Religion, Politik, Kultur und Wirtschaft – aber man war gut beraten, es nicht an die grosse Glocke zu hängen.
Für Hering Torres ist es schliesslich genauso problematisch, den frühneuzeitlichen spanischen Reinheitswahn als «Protorassismus» oder «Vorläufer der Ariergesetze» zu interpretieren wie ihm jede rassistische Bedeutung absprechen zu wollen, handelt es sich doch um die «theologische Biologisierung einer Gesellschaft, die durch eine genealogische Besessenheit das Feindbild des Juden fiktiv aufrecht hielt». Die Brücke zum modernen Rassismus sieht er in der Abgrenzungsabsicht aufgrund der Herkunft.
Unser Experte Mariano Delgado ist Prof. em. für Kirchengeschichte.
mariano.delgado@unifr.ch