Dossier

Das Altern im Blut

Forschende am Labor für Gefässbiologie untersuchen ein Enzym, das bei altersbedingten Zerfallsprozessen eine unrühmliche Rolle spielt: Es sorgt etwa dafür, dass Blutgefässe ihre Geschmeidigkeit verlieren, oder dass weisse Blutkörperchen Entzündungsprozesse anstossen.

Es liegt auf der Hand: Altern tun wir – ausnahmslos – alle. Doch nicht alle gleich rasch. Und jeder Mensch auf seine Weise: Es gibt keinen einheitlichen Alterungsprozess. Woran also liegt es, dass sich Gebrechen und Gebresten im Laufe des Lebens zusehends häufen? Wer hier eine einfache Antwort erwartet, wird enttäuscht, denn: Es ist kompliziert. Auch weil sich so viele Funktionen und Mechanismen, die das Altern steuern, gegenseitig beeinflussen.

Komplexes Knäuel von Zusammenhängen

Am passendsten ist vielleicht das Bild eines aus tausenden von unterschiedlichen Teilen zusammengesetzten Mobiles. Eine kleine Bewegung an einem Ende des verdrahteten Netzwerks kann sich auch auf weit entfernte Untersysteme auswirken, die Zusammenhänge sind schwer ergründlich – und erscheinen oft widersprüchlich. Das ist zumindest der Eindruck, der einem bleibt, wenn man sich mit der Forschungsgruppe um Zhihong Yang an der Universität Freiburg unterhält. Neben Yang selber haben sich auch Xiu-Fen Ming, Duilio Potenza, Santhoshkumar Sundaramoorthy und Yuejun Yao Zeit für ein Gespräch genommen.

Am Laboratorium für Gefässbiologie und Altersforschung versuchen die Forschenden schon seit mehr als 20 Jahren, das komplexe Knäuel von Zusammenhängen zu entwirren, das dem Altern zugrundeliegt. Das Hauptaugenmerk der Forschenden liegt auf einem auf den ersten Blick unscheinbaren Enzym namens Arginase. Es treibt eine grundlegende Reaktion des Stoffwechsels voran. Und erlaubt den Zellen, die Aminosäure Arginin in kleinere Bestandteile zu zerlegen.

In den Zellen der innersten Wandschicht von Blutgefässen wird das unzerlegte Arginin aber auch von einem anderen Enzym namens Stickstoffmonoxid Synthase abgebaut. Wie es der Name verrät, entsteht dabei Stickstoffmonoxid, eine gasförmige Substanz mit einer blutgefässerweiternden Wirkung. Das Gas sorgt dafür, dass die Schwellkörper in den Nasenmuscheln, in der Klitoris oder im Penis anschwellen. Zudem schützt es vor Herzinfarkt und anderen Gefässerkrankungen.

Elastische Gefässwände schützen vor Herzinfarkt

Innert weniger Sekunden lässt das Stickstoffmonoxid die Muskeln um die Gefässwände erschlaffen. Dadurch werden die Gefässwände elastisch und verletzen sich weniger: «Stickstoffmonoxid ist ein vasoprotektives Molekül», sagt Yang. Sein Forschungsinteresse an der Arginase enstammt der Tatsache, dass sie mit der Stickstoffmonoxid-Synthase in Konkurrenz steht und ihr das Arginin gewissermassen vor der Nase wegschnappt.

Ohne Ausgangsstoff können die Gefässwandzellen kein gefässerweiterndes Gas herstellen. Dadurch bleiben die Muskeln angespannt. Und die Gefässe verengt. Lohnt es sich, Arginin von aussen zuzuführen, um dafür zu sorgen, dass sich die Gefässe ausweiten können – und sich also weniger verletzen? So lautete jedenfalls die Hypothese, die kurz nach der Jahrtausendwende in zwei klinischen Versuchen getestet wurde.

Wie Yang ausführt, hat sich die Hypothese seither jedoch als zu einfach – und sogar gefährlich – erwiesen. In den Studien schluckten Patientinnen und Patienten mit Gefässproblemen über mehrere Monate hinweg Tabletten mit Arginin (oder sogenannte Placebo-Tabletten ohne Wirkstoff). Wie sich herausstellte, erwuchs den Teilnehmenden, die Arginin zu sich nahmen, kein Vorteil. Im Gegenteil: «Chronisch eingenommenes Arginin nützt nicht nur nichts, offenbar schadet es sogar», sagt Yang. «Das liegt wahrscheinlich daran, dass das Arginin von der Arginase in schädliche Moleküle umgewandelt wird.»

Dass die Sache verschlungener ist, als man denkt, zeigt sich auch daran, dass wir Menschen über zwei verschiedene Arginase-Versionen verfügen, die zwar dieselbe chemische Reaktion beschleunigen, aber an unterschiedlichen Orten innerhalb der Zelle tätig sind: Während die Arginase I im freien Zellsaft schwimmt, befindet sich die Arginase II im Mitochondrium. Das ist eine Zellorganelle, also ein abgetrenntes Abteil, das auf die Energieproduktion spezialisiert ist – und deshalb oft als «Kraftwerk» oder «Batterie» der Zelle bezeichnet wird.

Überall im Körper an Alterungsprozessen beteiligt

Die genaue Lokalisation innerhalb der Zelle mag (wie so vieles in dieser Geschichte) als unbedeutendes Detail erscheinen, doch der feine Unterschied macht sich sehr deutlich bemerkbar. «Die Arginase I ist lebenswichtig», sagt Ming. Wenn das Gen bei Mäusen ausgeschaltet wird, sterben die Tiere innerhalb von zwei Wochen ab. Im Unterschied dazu sehen Mäuse mit ausgeschaltetem Arginase II-Gen «sehr gesund» aus, sagt Yang.

Doch das ist noch nicht alles. Wie Yang und sein Team aufgezeigt haben, spielt die Arginase II mit zunehmendem Alter eine zusehends grössere Rolle: Sie ist praktisch überall im Körper – im Herz, in der Lunge, in den Nieren «und sehr wahrscheinlich auch im Gehirn», sagt Yang – an schädlichen Alterungsprozessen beteiligt: Stiessen die Forschenden auf grössere Mengen des Enzyms, entdeckten sie auch mehr Verhärtungen im Gewebe von Herz oder Lunge. Im Hirn der Mäuse führte die Arginase II zu Eiweissablagerungen, wie sie ähnlich auch im Hirn von Alzheimer-Patientinnen und -Patienten zu finden sind.

Während die Arginase I bestimmte weisse Blutkörperchen – die sogenannten Makrophagen, also die Fresszellen des Immunsystems – dazu verleitet, eine beruhigende, anti-inflammatorische Identität anzunehmen, entfalten im Gegensatz dazu die Makrophagen, die stattdessen die Arginase II verwenden, eine pro-inflammatorische, also entzündungsfördernde Wirkung.

Chronische Entzündungsherde

Auch darüber hinaus scheint die Arginase II zu einer Aktivierung des Immunsystems beizutragen. Dadurch wirkt sie daran mit, dass sich mit der Zeit chronische Entzündungsherde im Körper einnisten, die das Altern beschleunigen. Nicht umsonst spricht die Fachwelt von «inflammaging», einem aus Entzündung und Altern zusammengesetzten Kunstwort, das diese unschönen und unangenehmen Abbauprozesse beschreibt und zusammenfasst.

In jedem Biologie-Lehrbuch steht, dass Lebewesen bestens an ihre Umwelt angepasst sind, weil sie das Resultat eines natürlichen Selektionsprozesses sind: Dauernd, also bei jedem Kopiervorgang des Erbguts, entstehen zufällige Mutationen, und nur diejenigen, die den Trägern dieser Mutationen und ihren Nachkommen einen Vorteil verschaffen, werden beibehalten und über Millionen von Jahren weitervererbt. Doch wo genau liegt der Vorteil des Arginase II-Gens? Dessen Funktion kann ja nicht darin bestehen, Alterungsprozesse in Gang zu setzen?

Die Forschenden um Yang befassen sich schon seit Jahrzehnten mit der Arginase II, doch auf diese Fragen wissen auch sie noch keine Antwort. Geduldig und beharrlich ziehen sie an den verworrenen Fäden des Knäuels – und stossen so immer wieder auf neue Überraschungen. Zum Beispiel, dass die Arginase II auch bei Krebs eine unrühmliche Rolle spielt: Offenbar hilft sie Krebszellen dabei, aus dem Primärtumor auszubrechen – und an anderen Orten im Körper neue Ableger, sogenannte Metastasen, zu bilden.

Nur schon die Präsenz macht Probleme

In den Versuchen, die Yang und sein Team durchführten, genügte es, das Arginase II-Gen auszuschalten, um die Mäuse vor solchen Metastasen zu schützen. Wie lassen sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen? Das Gen bei Menschen auszuschalten, kommt für die Forschenden nicht in Frage. Das ist immer noch eher Stoff für Science-Fiction-Filme als etwas, mit dem schon bald zu rechnen wäre.

Für Yang und sein Team stehen in Sachen Anwendbarkeit ihrer Erkenntnisse medikamentöse Ansätze im Vordergrund. «Es gibt Wirkstoffe, die die Arginase hemmen», sagt Ming. «Doch sie wirken erstens nur schwach. Und zweitens hemmen sie beide Varianten des Enzyms.» Weltweit seien zwar Bestrebungen im Gang, neue chemische Moleküle zu identifizieren, die nur die Arginase II blockieren. Doch selbst dann hätte man die Altersschäden nicht unter Kontrolle, erklären die Forschenden.

Denn offenbar reicht es nicht, die katalytische Aktivität des Enzyms zu stoppen. Nur schon die Präsenz der Arginase II macht Probleme. Denn im Mitochondrium kann sie sich mit anderen Proteinen zusammenlagern. Und so Prozesse in Gang setzen, die zur Herstellung von giftigen Stoffwechselprodukten – und schliesslich zum Stillstand des Zellkraftwerks – führen.

Kein Wundermittel in Sicht

Die Bilanz aus dem Gespräch mit Yangs Forschungsgruppe ist ernüchternd. Ein Wundermittel, das alle schädlichen Effekte der Arginase II zu neutralisieren vermag, ist – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nicht in Sicht. Aber lässt sich sonst etwas tun, um die entzündlichen Alterungsprozesse zu vermeiden? Was machen die Forschenden selber, um möglichst gesund zu altern?

«Die weitaus günstigste Art, das Altern hinauszuzögern, ist, sich ausreichend zu bewegen – und weniger zu essen», sagt Yang. «Die Nahrungsbeschränkung ist auch die einzige Methode, deren Wirkung nicht nur bei Mäusen, sondern auch bei Menschen verlässlich nachgewiesen ist.» Er selber gehöre zwar nicht zu der wachsenden Anzahl von Menschen, die dauernd hungern, um länger zu leben. Doch Yang habe früher, als er noch jünger war, oft ein ausgiebiges Nachtessen, meist mit Fleisch oder Fisch, zu sich genommen. «Heute genügt mir ein Salat», sagt Yang.

Unser Experte Zhihong Yang ist Professor am Departement für Endokrinologie, Metabolismus und Kardiovaskuläres System (EMC) der Abteilung Medizin.
zhihong.yang@unifr.ch