Dossier
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Im Vergleich zu den grossen Erfindungen der Menschheit erscheint jene des Online-Handels unbedeutend. Aber für den Alltag der Menschen und für die Geschäftsmodelle von Unternehmen hat der Online-Handel innerhalb weniger Jahrzehnte enorme Veränderungen gebracht.
Der erste Vorläufer des Online-Handels entstand 1979 in Grossbritannien. Ein von Michael Aldrich entwickeltes System verknüpfte einen Fernseher per Telefonleitung mit einem Computer und ermöglichte so erste Online-Transaktionen. 1984 erfolgte die erste dokumentierte Online-Bestellung einer privaten Kundin über das britische Videotex-System, eine Lebensmittelbestellung bei Tesco. Auch in anderen Ländern wurden in den 1980er Jahren Systeme wie Videotex (Schweiz), BTX (Deutschland) oder Minitel (Frankreich) bereits sporadisch für Online-Bestellungen aus Katalogen genutzt.
Von der Bestellung bis zur Bezahlung
1991 wurde das World Wide Web öffentlich zugänglich. Dessen Nutzung durch den Online-Handel folgte schnell. Der erste moderne Online-Shop im heutigen Sinne war NetMarket, bei dem am 11. August 1994 ein Kunde eine Musik-CD von Sting kaufte. Diese Transaktion gilt als der erste durchgängig online abgewickelte Kauf – von der Bestellung bis zur Bezahlung. Eine wichtige Voraussetzung war, dass verschlüsselte Kreditkartentransaktionen möglich wurden, was erst den sicheren Handel über das Internet ermöglichte.
1995 startete Amazon, heute der weltweit grösste Online-Händler, als Online-Buchhandlung in den USA. Schon wenige Jahre danach begann das Unternehmen seine Internationalisierung in Grossbritannien und Deutschland. Das Sortiment wurde sukzessive erweitert (zunächst um CDs und Filme, dann um Elektronik u.v.m.) und Amazon ist heute ein Universalanbieter mit allen erdenklichen Produkten. Zentral für das Wachstum von Amazon war ein Wandel des Geschäftsmodells – die Einführung des Marktplatzmodells im Jahr 2000. Bei einem Marktplatzmodell können externe Händler ihre Produkte über eine Plattform verkaufen und bezahlen dafür eine Provision. Über die Jahre wurde Amazon so nicht nur zum grössten Online-Händler, sondern zum grössten Handelsunternehmen weltweit – über die Plattform wurde 2024 ein Bruttowarenwert von über 700 Milliarden USD verkauft. Geschätzt 60 Prozent dieses Bruttowarenwerts stammen von Dritthändlern, die Amazon als Marktplatz nutzen.
Anteile am Kuchen
Dies verdeutlicht eine zentrale Weiterentwicklung des Online-Handels: Marktplätze, über die Dritthändler verkaufen, gewinnen stetig an Bedeutung und werden zum dominanten Geschäftsmodell im Online-Handel. In vielen Ländern erzielen Online-Marktplätze über 50 Prozent des Online Umsatzes. Neben dem Pionier Amazon traten in den letzten Jahren v.a. chinesische Konkurrenten aufs Parkett, z.B. die Marktplätze Taobao und Tmall (beide von Alibaba) oder Pinduoduo (die Muttergesellschaft von Temu). Trotz dieser globalen Giganten gibt es in den meisten Ländern auch einheimische Unternehmen, die der globalen Konkurrenz trotzen – etwa Galaxus, der grösste Online-Marktplatz in der Schweiz.
Wie hat sich nun der Online-Handel, insbesondere in der Schweiz, ausgewirkt? Knapp 20 Prozent des Nonfood-Umsatzes in der Schweiz kaufen die Kund_innen bereits über das Internet. In einigen wichtigen Warengruppen sind es sogar deutlich mehr. Über die Hälfte des Umsatzes mit Heimelektronik (54 Prozent) werden über das Internet realisiert; bei Bekleidung und Spielwaren sind es immerhin über 30 Prozent. Bei Lebensmitteln dagegen bleibt der Online-Handel eine Nische: Hier beträgt der Online-Handel nur knapp 3 Prozent. Supermärkte und Discounter werden also vom Online-Handel noch kaum bedroht.
Nonfood hingegen kaufen fast alle Schweizer Kund_innen zumindest von Zeit zu Zeit online ein. Schliesslich bietet diese Möglichkeit auch Vorteile: Sie können bequem von zuhause einkaufen, sie können ohne zeitliche Beschränkung einkaufen, sie haben eine deutlich grössere Sortimentsauswahl als in einem Geschäft und sie können Ware aus der ganzen Welt, auch direkt von Herstellern, beziehen. Der einfache Online-Einkauf im Ausland steigert den Preiswettbewerb für Schweizer Händler, was den Kunden über niedrigere Preise zugutekommt. Über jeden dieser Vorteile kann man kontrovers diskutieren, doch die hohe Akzeptanz und Nutzung zeigen, dass Kund_innen den Online-Einkauf schätzen.
Auch für Unternehmen bringt er zahlreiche Vorteile: Durch die vielfältigen Möglichkeiten, über den Online-Handel Kunden zu erreichen und problemlos den Online-Vertrieb aufzunehmen (z.B. über Online-Marktplätze), können Hersteller wesentlich einfacher ihre Produkte vermarkten und z.B. über eigene Online-Shops direkt mit dem Endkunden in Kontakt treten. Auch kleinere Hersteller können mit innovativen und wettbewerbsfähigen Produkten Kunden weltweit ansprechen und über ausländische Online-Marktplätze verkaufen.
Kehrseiten der Medaille
Zugleich hat diese Entwicklung den stationären Handel erschüttert. Wenn 20 Prozent des Nonfood-Umsatzes – in manchen Warengruppen sogar deutlich mehr – über neue Kanäle fliessen, werden viele Läden unrentabel. Bekannte Beispiele aus den letzten Jahren sind Ex Libris-Filialen, die seit 2010 von 114 Standorten auf heute 16 Filialen geschrumpft sind, oder auch Franz Carl Weber, einst der grösste Spielwarenhändler der Schweiz, dessen letzte Filiale 2025 geschlossen wurde. Der Aufstieg von Digitec-Galaxus zum grössten Online-Händler der Schweiz hat zu einer Reduktion der grossen Elektronikmärkte und zur Schliessung von m-electronics geführt. Auch der Niedergang von Kaufhäusern wie Manor ist zumindest teilweise das Ergebnis davon, dass Zalando zum grössten Bekleidungshändler in der Schweiz aufgestiegen ist. Für Innenstädte, die traditionell einen hohen Wert für die Gesellschaft haben, ist dieser Wandel des Einkaufsverhaltens also eine dramatische Bedrohung.
Der stationäre Handel reagiert darauf u.a. mit sogenannten Omnichannel-Strategien, bei denen, vereinfacht gesagt, die Online-Shops mit den stationären Geschäften verknüpft werden, um so dem Kunden ein nahtloses Einkaufserlebnis zu ermöglichen und ihm einen Mehrnutzen zu bieten. Ein Beispiel hierfür ist «Click & Collect», ein System, das es ermöglicht, online bestellte Ware im Laden abzuholen.
Problematisch ist, dass durch die enorme Dynamik des globalen Online-Handels ein teilweise unfairer Wettbewerb und eine Umgehung von Gesetzen möglich geworden ist. Die Exzesse werden augenscheinlich, wenn man die chinesischen Plattformen Temu und Shein anschaut, die mittlerweile zu den zehn grössten Online-Händlern in der Schweiz gehören. Temu hat 2024 in der Schweiz einen Umsatz von etwa 700 Millionen Schweizer Franken erzielt. Und das, obwohl den chinesischen Plattformen regelmässig vorgeworfen wird, bzgl. Zöllen, Produktstandards, Preiswerbung, Schutz persönlicher Daten u.v.m. die Vorschriften der jeweiligen Zielländer zu umgehen. Die Produktions- und Umweltbedingungen vor Ort und die versprochenen Produkteigenschaften werden in vielen Fällen nicht verlässlich geprüft; das schiere Volumen macht es den Ländern schwer, die Einhaltung der Vorschriften systematisch zu prüfen. Die Rechtsdurchsetzung hinkt hier häufig hinterher. Erst allmählich reagieren nun auch die Behörden in Europa auf diese Missstände.
Nicht zuletzt ist das Risiko der Marktkonzentration zu erwähnen. In den meisten westlichen Ländern ist Amazon mit Abstand Marktführer. Damit entsteht ein Machtungleichgewicht zulasten der vielen, oft kleinen, externen Händler, die über solche Plattformen verkaufen. In Asien dominieren wiederum andere Plattformen die Märkte. Einige Eigenschaften des Online-Handels führen zu einer «The-winner-takes-it-all»-Entwicklung, also einem Verdrängungswettbewerb, bei dem nur wenige Unternehmen übrigbleiben, die dann in eine monopolähnliche Position kommen. Auch in der Schweiz führt die Grösse von Galaxus teilweise zu Sorgen bei den Händlern, die über diese Plattform verkaufen, denn diese Marktmacht könnte z.B. zu hohen Gebühren führen.
Blick nach vorne
Die weitere Entwicklung des Online-Handels verläuft dynamisch. Social-Media-Kanäle wie Instagram, TikTok und Facebook, auf denen viele Leute mehrere Stunden pro Tag verbringen, verknüpfen ihre Videos und Livestreams zunehmend mit Einkaufsmöglichkeiten.
Doch obwohl der Online-Handel stetig wächst, bleiben auch stationäre Geschäfte wichtig. So hat einer der grössten chinesischen Online-Händler, JD.com, vor wenigen Monaten Mediamarkt-Saturn gekauft. Mediamarkt-Saturn ist der europäische Marktführer für Elektronikhandel, mit über 1’000 stationären Geschäften in elf Ländern. Es ist zu erwarten, dass JD.com plant, mit einer Omnichannel-Strategie den europäischen Markt zu erobern. Was dies für die Schweiz bedeutet, ist heute noch unklar.
Unser Experte Dirk Morschett ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit den Forschungsschwerpunkten Internationales Management und Handel. Er arbeitet seit 30 Jahren an Themen des Handels, in Forschung und Praxis. Zudem ist er Mitglied der Fachgruppe Digital Commerce von GS1 Schweiz.
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