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Fenster zur unsichtbaren Welt

Erfunden hat das Lichtmikroskop niemand. Doch Generationen von Forschenden haben es weiterentwickelt – und tun dies bis heute. Es ermöglicht den Blick in den Mikrokosmos, ist für Forschung wie Industrie unverzichtbar und hat unsere Sicht auf das Leben verändert.

Die meisten begegnen dem Mikroskop in der Schule: Sie schneiden dünne Scheiben von einem Stängel und können Mark, Leitbündel und Epidermis unterscheiden. Oder sie legen Zwiebelhaut auf den Träger und sehen, dass sie aus Zellen zusammengesetzt ist – und wissen damit mehr als die besten Wissenschaftler des 16. Jahrhunderts. Zwar gab es damals schon Mikroskope, doch deren Auflösung war geringer als jene eines bescheidenen heutigen Schulmikroskops.

Das Wort Mikroskop stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus mikro (klein) und skopein (betrachten) zusammen. Es wurde zum ersten Mal in Zusammenhang mit einem Gerät benutzt, das Galileo Galilei (1564 –1641) besass. «Er hat das Mikroskop nicht erfunden, aber er hatte eins», sagt Boris Egger, wissenschaftlicher Leiter des Lichtmikroskopiezentrums der Uni Freiburg. «Galilei war damit ein Vorreiter, Mikroskope waren damals noch kaum verbreitet.»

Kleine Dinge ganz gross

Dass Dinge grösser erscheinen können, wenn man sie durch transparente Materialien betrachtet, war aber schon länger bekannt. Bereits um 1000 n. Chr. legten Mönche geschliffene Bergkristalle als Lesehilfe auf Bücher. Im 13. Jahrhundert entstanden aus solchen «Lese­steinen» die ersten Brillen – geschliffen aus Halbedelsteinen wie Beryll, von dem die Brille ihren Namen hat. Aus den Werkstätten der Brillenschleifer kamen bald die ersten Mikroskope – zu Beginn nicht mehr als starke Lupen mit Halterung.

Der englische Naturforscher Robert Hooke (1635 – 1703) tüftelte an zusammengesetzten Mikroskopen mit zwei Linsen. Als er damit Kork betrachtete, sah er, dass er keine homogene Struktur vor sich hatte. Das Gewebe war aus Einheiten zusammengesetzt, deren Formen ihn an Mönchs­kammern im Kloster erinnerte – weshalb er sie als «Zellen» bezeichnete. Seine detaillierten Zeichnungen von Flöhen, Moosen und Schneeflocken veröffentlichte er in seinem berühmten Buch «Micrographia». Sie machten Furore und die Mikroskopie populär. Hookes holländischer Zeitgenosse Antoni van Leeuwenhoek (1632 – 1723) entwickelte ein einfaches Mikroskop, dessen Linse aus besserem Glas bestand. Die Auflösung wurde damit so gut, dass er als erster Bakterien, rote Blutkörperchen und Samenzellen sah.

Die unbekannte Welt, die die beiden entdeckten, war eine grössere Überraschung, als das, was mit Fernrohren entdeckt wurde, sagt Felix Meyenhofer, operationeller Leiter des Freiburger Lichtmikroskopiezentrums. «Von den Sternen wusste man, dass es sie gibt. Doch vom Mikrokosmos hatte man nichts geahnt.»

Licht und Linsen

Im 19. Jahrhundert revolutionierten deutsche Optiker die Mikroskopie. Carl Zeiss gelang es, Mikroskope von gleichbleibend hoher Qualität zu bauen. Grundlage war die Arbeit seines Partners Ernst Abbe, der erstmals die Physik der Bildentstehung mathematisch beschrieb. Dadurch liess sich berechnen, wie Linsen geschliffen werden mussten. Der Chemiker Otto Schott steuerte die passenden Gläser bei. «Die grossen Durchbrüche kamen immer dann, wenn unterschiedliche Expertisen zusammenkamen», sagt Egger.

À propos Teamarbeit: Ein weiterer Zeiss-Mitarbeiter, August Köhler, verbesserte etwas später die Beleuchtung des Mikroskops. Die nach ihm benannte Köhler-Beleuchtung sorgt für gleichmässiges Licht und damit für schärfere Bilder. Sie bestätigte auch Abbes Theorie, dass die Auflösung eines Lichtmikroskops durch die Wellenlänge des Lichts begrenzt wird – je kürzer die Wellen, desto besser die Auflösung.

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Anfang des 20. Jahrhunderts brachte die Fluoreszenzmikroskopie den nächsten Umbruch. «Es war ein wahrer Paradigmenwechsel», sagt Egger. Man machte sich bei diesem Verfahren die Wechselwirkung von Licht mit fluoreszierender Materie zunutze. Wird eine Probe aus solcher Materie mit kurzwelligem Licht angestrahlt, «antwortet» sie mit längerwelligem Licht. Zu Beginn schaute man sich vor allem Objekte an, die natürlicherweise leuchten, wenn Licht auf sie trifft. Später färbte man Gewebe gezielt mit fluoreszierenden Farbstoffen. Mit der Immunfluoreszenz ging man noch einen Schritt weiter. Man koppelte fluoreszierende Farbstoffe an Antikörper. Diese liess man gezielt an jene Moleküle andocken, die sichtbar gemacht werden sollen.

Mit Hilfe von fluoreszierenden Proteinen funktioniert diese Methode sogar in lebendigem Gewebe. Der Clou: So können auch dreidimensionale Aufnahmen gemacht werden. «Wenn etwas halbdurchsichtig ist und leuchtet, kann man auf verschiedene Ebenen fokussieren und von jeder Ebene Aufnahmen machen», erklärt Felix Meyenhofer. Aus diesen Schichten lässt sich am Computer ein 3D-Modell des ganzen Mikroorganismus zusammensetzen.» Beziehungsweise ein Film, wenn man die Organismen über eine gewisse Zeit beobachtet. «Diese sogenannte Konfokalmi­kroskopie ist die Methode, die wir heute an unserem Mikroskopiezentrum mit Abstand am häufigsten brauchen», sagt Boris Egger. Ein erstes konfokales Mikroskop wurde bereits 1991 an der Universität Fribourg installiert.

Seither gab es noch einen wichtigen Entwicklungsschritt in der Lichtmikroskopie. «Die neuste grosse Errungenschaft ist die Superauflösung», sagt Meyenhofer. Mit raffinierten Varianten der Fluoreszenzmikroskopie lassen sich Strukturen sichtbar machen, die enger beieinanderliegen, als es Abbes Auflösungsgrenze postuliert. «Mit einigem Getrickse lässt sich aus unzähligen Messungen ein Bild konstruieren, das diese Grenze um ein Vielfaches unterschreitet.»

Wunderwerkzeug mit Nebenwirkungen

Die jüngsten Fortschritte sind vor allem für die Grund­lagenforschung interessant. Sie ermöglichen es, nicht nur Strukturen, sondern auch Prozesse zu beobachten: wie sich Zellen teilen, was Nerven tun, wie sich Organe entwickeln. Das liefert Einsichten, die namentlich für die Medizin wertvoll werden dürften: für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit, für die Diagnostik, für die Therapie. Genau wie es einst die Entdeckung von Bakterien, Parasiten und Viren war. «Sie legte den Grundstein für die moderne Medizin, für Prävention und Hygiene», sagt Boris Egger.

Mikroskope sind auch in vielen Wirtschaftszweigen, wie der Metallindustrie, der Automobilindustrie oder der Elektronik- und Halbleiterindustrie längst unverzichtbar. Sie werden in der Qualitätskontrolle eingesetzt, sie stellen fest, ob Standards eingehalten werden, sie finden und analysieren Fehler von Materialien und Produkten.

«Die Mikroskopie hat unsere Gesellschaft tiefgreifend beeinflusst», sagt Felix Meyenhofer. Durchaus im Positiven, wie er findet. «Sie hat aber auch unsere Sicht auf die Welt verändert; sie hat sie zugleich erweitert und reduziert.» Lebende Materie werde nicht mehr als Ganzes betrachtet, sondern in ihre kleinsten funktionalen Einheiten dekonstruiert: Zellen, Organellen, Moleküle. «Statt eines holistischen Blicks dominiert oft ein mechanistisches Weltbild, in dem biologische Prozesse als Zusammenspiel isolierter Bausteine verstanden werden.» Das habe enorme wissenschaftliche Fortschritte ermöglicht. «Es birgt aber auch die Gefahr, dass das komplexe Zusammenspiel des Lebens vereinfacht oder gar nicht mehr gesehen wird», ergänzt Boris Egger.

Der Blick aufs Leben

Trotzdem ist es für Egger und Meyenhofer keine Frage, dass es die Lichtmikroskopie auch weiterhin braucht. Auch sonst bestreitet das heute kaum jemand. Doch es gab eine kurze Phase, als ein anderes Gerät das Lichtmikroskop etwas in den Hintergrund rückte: In den 1940er Jahren kam das Elektronenmikroskop auf. Es bildet die Probe mit Elektronen ab, die eine sehr viel kürzere Wellenlänge haben als Licht, wodurch eine massiv höhere Auflösung erreicht wird. «Das Kleinste zu finden, war sehr prominent von der Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts», sagt Felix Meyenhofer. Doch das Elek­tronenmikroskop hat einen Nachteil: Es funktioniert nur im Vakuum. Alles, was lebt, kann deshalb nicht betrachtet werden. Spätestens mit dem Aufkommen der fluoreszierenden Proteine hatte die Lichtmikroskopie diesbezüglich die Nase vorn. Dazu kommt, dass Elektronenmikroskope teurer sind, dass es viel komplizierter ist, die Proben aufzubereiten und dass die Geräte nur von Spezialistinnen und Spezialisten bedient werden können. Dagegen sind selbst die komplizierteren Lichtmikroskope relativ leicht zugänglich. «Nach einer Schulung durch uns, können Studierende selber daran arbeiten», sagt Egger. Ganz zu schweigen von den Schul­mikroskopen, an denen auch Schülerinnen und Schüler den Mikrokosmos entdecken.

Unser Experte Boris Egger ist Biologe und wissen­schaft­licher Leiter des Lichtmikroskopiezentrums der Uni Freiburg, einer Serviceplattform, die den Forschenden Licht­mikroskopie zugänglich macht (www.unifr.ch/go/ bicore). Mit seiner Forschungsgruppe untersucht Egger, wie sich neurale Stammzellen entwickeln und differenzieren.
boris.egger@unifr.ch

Unser Experte Felix Meyenhofer ist Computerwissen­schaftler und operationeller Leiter des Lichtmikroskopie­zentrums.
felix.meyenhofer@unifr.ch