Dossier
Der Wächter im Web
Zugegeben, die folgende Erkenntnis erfordert mehr Vorstellungsvermögen als die Erfindung der Zahnbürste. Da sie aber ebenso häufig zum Einsatz kommt wie das Werkzeug zur Mundhygiene, lohnt es sich, davon Kenntnis zu haben. Ulrich Ultes Nitsche erklärt.
Ulrich Ultes-Nitsche, was ist das RSA-Verschlüsselungsverfahren?
Das RSA-Verschlüsselungsverfahren wird heute in sehr vielen, ja fast allen, digitalen Transaktionen eingesetzt, um die digitale Kommunikation vertraulich und authentifizierbar durchführen zu können, so etwa auch beim E-Banking. Das Verfahren basiert auf einem mathematischen Theorem, mit dem sich Leonard Euler im 18. Jahrhundert beschäftigt hat, das wiederum ein Resultat von Pierre de Fermat aus dem 17. Jahrhundert verallgemeinert.
Wie kam es zu dieser Erfindung?
Der Ausgangspunkt für diese Erfindung waren Resultate aus der Mathematischen Zahlentheorie, so etwa die Frage, wie viele kleinere Zahlen zu einer gegebenen Zahl teilerfremd sind – also reine Grundlagenforschung. In den 1970er Jahren haben Ron Rivest, Adi Shamir und Leonard Adleman – kurz: RSA – erkannt, dass sich aus dem sogenannten Euler-Fermatschen Theorem ein Algorithmus ableiten lässt, der es erlaubt asymmetrische Kryptographie durchzuführen, die heute üblicherweise Public-Key Cryptography genannt wird. Das Verfahren wurde patentiert, die Firma RSA Security wurde gegründet. Heute ist das Verfahren in allen Webbrowsern verfügbar und wird zur Verschlüsselung des Datenverkehrs verwendet. Der Nachweis, dass man sich tatsächlich auf der Webseite der Uni Freiburg befindet, wird beispielsweise auch durch das RSA-Verfahren erbracht.
Was war der ursprüngliche Zweck?
Der ursprüngliche Zweck der Ergebnisse von Fermat und Euler war, die Struktur der natürlichen Zahlen besser zu verstehen. Man nennt dieses Gebiet der Mathematik «Zahlentheorie». Über den Erkenntnisgewinn hinaus waren diese Ergebnisse vollkommen zweckfrei, reine Grundlagenforschung eben.
Hat sich der ursprüngliche Zweck im Lauf der Zeit verändert?
Die Erkenntnis, dass sich aus dem Euler-Fermatschen Theorem ein Kryptoalgorithmus ableiten lässt, hat den «Zweck» der Ergebnisse natürlich völlig verändert. Auf einmal liegt ein praktisches Ergebnis von hoher informatischer, aber vor allem auch von ökonomischer Relevanz vor.
Was ist der konkrete Nutzen dieser Entwicklung?
Die Absicherung der Kommunikation auf dem Internet, sowohl was die Vertraulichkeit der übermittelten Daten angeht wie auch in Bezug auf die Gewährleistung des Nachweises, mit wem man kommuniziert. Ausserdem lösen asymmetrische Verfahren wie das RSA-Verfahren das Schlüsselverteilproblem in der Kryptographie: Wie schaffe ich es, dass jemand Fremdes sofort mit mir in einer verschlüsselten Art und Weise kommunizieren kann?
Hat die Erfindung einen Hacken?
Die Sicherheit von RSA basiert auf der Tatsache, dass es unglaublich zeitaufwändig ist – ich spreche von Milliarden von Jahren –, grosse Zahlen zu faktorisieren. Man weiss, dass es mit Quantencomputern möglich werden wird, diese Faktorisierung schnell durchzuführen, womit RSA mit einem Schlag unsicher werden wird.
Wie hat RSA unsere Lebenswelt verändert?
Asymmetrische Verschlüsselungsverfahren, darunter hauptsächlich RSA, haben unser Leben revolutioniert, in dem eine sichere Kommunikation im Internet möglich wurde, ohne dass die Kommunikationspartner vorher ein gemeinsames Geheimnis sicher ausgetauscht haben müssen.
Braucht die Welt diese Erfindung (noch)?
Absolut. RSA ist noch überall im Internet im Einsatz.
Unser Experte Ulrich Ultes-Nitsche ist Professor am Departement für Informatik.
ulrich.ultes-nitsche@unifr.ch
