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Bakterien-Cocktail als Starthilfe

Durch die Muttermilch werden Bakterien von der Mutter auf das Kind übertragen. Warum das wichtig und wieso bei Antibiotika Vorsicht geboten ist, erklärt Kinderinfektiologin und Forscherin Petra Zimmermann im Interview. 

Sie raten Müttern, ihre Kinder zu stillen. Warum ist Muttermilch so wichtig für die Babys?

Kinder, die gestillt werden, haben im späteren Leben gesundheitliche Vorteile. Sie haben weniger Allergien, leiden seltener an Asthma und sind weniger häufig krank. Das ist schon seit längerem bekannt. Die genauen Mechanismen dahinter sind hingegen noch nicht klar. Zunächst entdeckte man, dass Antikörper über die Muttermilch auf das Kind übergehen, dann hat man herausgefunden, dass auch weisse Blutzellen – also Immunzellen – übertragen werden. Und in den letzten Jahren konnte nun aufgezeigt werden, dass auch Bakterien von der Mutter an das Kind weitergegeben werden. In der Muttermilch sind viele gute Bakterien, die für die Gesundheit des Kindes wichtig sind.

Das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder Viren auf und in unserem Körper, steht in Ihrer Forschung im Fokus.

Das Immunsystem wird in den ersten Lebensjahren vor allem im Darm trainiert. 80 Prozent der weissen Blutzellen befinden sich rund um den Darm. Diese kommen in Kontakt mit den Bakterien und lernen dadurch, was gefährlich ist und was nicht. Wenn sie das unzureichend lernen, beginnen sie später den Körper selbst anzugreifen – das äussert sich dann in Allergien. Die ersten zwei Lebensjahre können in diesem Bereich also einen Einfluss auf das ganze Leben haben.

Können wir das im Verlauf des Lebens denn nicht korrigieren? Das Mikrobiom mit seinen Milliarden von Mikroorganismen, die auch miteinander interagieren, ist ja etwas Dynamisches, das sich ständig verändert.

Auf unser Mikrobiom können wir immer Einfluss nehmen, da spielt vor allem die Ernährung eine grosse Rolle. Korrekturen sind also möglich, aber die ersten beiden Lebensjahre sind wegweisend. Es ist schwierig später das Immunsystem zu verändern.

Wie beeinflusst die Muttermilch das Mikrobiom konkret?

Es ist nachgewiesen, dass während der Schwangerschaft der Darm der schwangeren Frau durchlässiger wird – die Bakterien aus ihrem Darm gelangen durch den Blutfluss in die Brust und von dort später in die Muttermilch. Diese erhöhte Durchlässigkeit des Darms während der Schwangerschaft ist für mich ein Zeichen, dass die Bakterien zum Baby gelangen sollen. Und tatsächlich weisen Kinder, die gestillt werden, beispielsweise mehr Bifidobakterien und mehr Lactobacillus im eigenen Darm auf. Das sind Bakterien, die eher mit positiven Folgen für die Gesundheit assoziiert sind. Kinder, die künstliche Milch erhalten, haben hingegen mehr Enterobakterien, die häufig mit Allergien oder anderen gesundheitlichen Problemen assoziiert sind.

Kann die Muttermilch denn nicht einfach kopiert werden, um äquivalenten Ersatz aus der Dose herzustellen?

Es gibt ein Labor in den USA, das versucht Muttermilch herzustellen, einen Eins-zu-Eins-Ersatz gibt es jedoch nicht. Flaschenmilch ist anders zusammengesetzt. Sie enthält beispielsweise keine Hormone, während über die Muttermilch viele Hormone weitergegeben werden. Dazu gehört auch das Schlafhormon Melatonin, das in der Muttermilch nicht immer in gleicher Menge auftritt, sondern je nach Tageszeit variiert. Es ist also kompliziert – das gilt auch für das Mikrobiom. Die Zusammensetzung der Bakterien in der Muttermilch ist sehr individuell, da wäre es schwierig, die richtige Dosierung und Zusammensetzung für ein Ersatzprodukt zu finden. Trotzdem wird die künstliche Milch allmählich besser. Vor ein paar Jahren haben die Entwickler_innen begonnen FOS und GOS beizumischen. Das sind Ballaststoffe, die aus Mehrfachzucker bestehen und als Nahrung für die Bakterien dienen. Das ist der einfachere Weg, als Bakterien zu züchten, denn diese sind strenger reguliert.

© STEMUTZ.COM Thierry Miauton

Die Muttermilch ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor, der das Mikrobiom von Babys beeinflusst. Welche anderen Einflussfaktoren gibt es?

In einer früheren Studie haben wir herausgefunden, dass es einen Unterschied macht, ob das Kind per Kaiserschnitt auf die Welt kommt oder vaginal geboren wird. Eine natürliche Geburt ist grundsätzlich besser, da die Kinder dadurch Bakterien mit auf den Weg bekommen, die bei der Mutter in der Vagina oder im Darm sind. Beim Kaiserschnitt hingegen werden ihnen die Bakterien mitgegeben, die sich auf der Haut befinden. Diese sind tendenziell weniger gut für die Gesundheit. In einer gross angelegten Studie versuchen wir derzeit, möglichst viele andere Einflussfaktoren aufzuschlüsseln. Zum Beispiel, welchen Einfluss ältere Geschwister, das Aufwachsen auf dem Bauernhof oder Haustiere haben. Und wir schauen uns auch den Einfluss von Antibiotika sehr genau an, weil wir aus früheren Studien wissen, dass es einen grossen Einfluss auf das Mikrobiom hat, wenn die Mutter während der Schwangerschaft oder das Kind in seinen ersten zwei Lebensjahren Antibiotika zu sich nehmen.

Weil Antibiotika nicht nur die schlechten, sondern auch die guten Bakterien abtötet?

Genau, und man weiss, dass bereits eine Dosis Antibiotika das Mikrobiom bis zu sieben Jahre lang beeinflussen kann. Vielleicht sogar noch länger, das ist einfach die längste Studie, die durchgeführt wurde. Allergien, Asthma und Autoimmunerkrankungen sind die Probleme, die bisher hauptsächlich mit Störungen des Mikrobioms in Verbindung stehen – und die haben in den letzten Jahrzehnten allesamt zugenommen. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir zu viel Antibiotika benützen und dadurch unser Mikrobiom kaputtmachen. Gerade in jungen Jahren erhalten Kinder sehr häufig Antibiotika. Flächendeckende Studien zeigen, dass bis zu drei Viertel aller Kinder in den ersten zwei Lebensjahren mindestens einmal Antibiotika erhalten – oft wegen Ohrenentzündungen oder Atemwegserkrankungen.

Wäre das denn nicht unbedingt nötig?

Nein, bei einer Ohrenentzündung etwa reichen häufig antientzündliche Medikamente. Aber der Entscheid ist oft schwierig zu treffen. Bei kleinen Kindern sind die Sorgen grösser, weil sich ein Bakterium, das eine Infektion auslösen kann, schnell im ganzen Körper verteilt. Hinzu kommt der Druck der Eltern oder Zeitdruck, da ist es manchmal einfacher Antibiotika zu verschreiben, als Mutter und Vater eine halbe Stunde lang zu erklären, warum das nicht ideal ist. Allerdings ist es in den letzten Jahren besser geworden, es wird mittlerweile weniger Antibiotika verschrieben und die Schweiz ist im europäischen Vergleich eher zurückhaltend.

Ihre aktuelle Studie ist weltweit eine der grössten zum Mikrobiom bei Babys. Wie läuft sie genau ab?

Im Freiburger Spital, dem Daler-Spital und dem Geburtshaus «Le Petit Prince» fragen wir werdende Mütter während der Schwangerschaft an, ob sie an der Studie teilnehmen wollen. Wenn sie zusagen, nehmen wir eine Probe von der Muttermilch, machen einen Mundabstrich beim Baby und nehmen Stuhlproben von Mutter und Kind. Einer­seits bei der Geburt, andererseits während der ersten zwei Lebensjahre. So können wir umfassend analysieren, welche Faktoren einen Einfluss auf das Mikrobiom haben. Das machen wir bei 400 Mutter-Kind-Paaren, im Moment sind wir bei 300 angelangt, die Studie neigt sich also allmählich dem Ende entgegen.

Die Forschung am Mikrobiom ist noch jung, erst recht, was Kinder angeht. Wo steht sie – und wo will sie hin?

Unsere aktuelle Studie ist eine Beobachtungsstudie. Zunächst einmal müssen wir besser herausfinden, was genau was beeinflusst. Das nächste Ziel wird es sein, Einfluss darauf nehmen zu können. Zum Beispiel Kindern zu helfen, die per Kaiserschnitt zur Welt kommen, nicht gestillt werden können oder Antibiotika benötigen. Es gibt bereits erste Studien, die sich mit der Einnahme von Probiotika, also guten Bakterien, beschäftigen. Man kann auch noch weitergehen und zum Beispiel Präbiotika – das ist Nahrung für diese Bakterien – dazugeben. Allerdings braucht es noch ein paar Jahre Forschung, bis wir das alles im Alltag werden anwenden können. Auch wir wollen in unserer nächsten Studie lernen, die Abläufe zu beeinflussen. Wir hatten bereits Kontakt mit einer Firma, die Probiotika züchtet, die wir werden testen können.

Unsere Expertin Petra Zimmermann ist stellvertretende Chefärztin der Pädiatrie im Freiburger Spital (HFR). An der Universität Freiburg ist sie als Senior Researcher an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Fakultät tätig.
petra.zimmermann@unifr.ch