Dossier

Den Röstigraben überbrücken

Wie Verbände die Herausforderung der Mehrsprachigkeit meistern.

National und überregional tätige Verbände in der Schweiz mussten sich immer schon mit der Herausforderung der Mehrsprachigkeit auseinandersetzen, insbesondere im Verhältnis zwischen deutsch- und französischsprachigen Mitarbeitenden und Mitgliedern. Eine Befragung von haupt- und ehrenamtlichen Mitgliedern der Leitung in 42 Schweizer Verbänden zeigte, wie diese Herausforderung eingeschätzt wird und wie sich Verbände mit einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen den Sprachgruppen von denjenigen unterscheiden, die von grösseren Schwierigkeiten berichten.

Abbilder der Zivilgesellschaft in ihrer Vielfalt

Verbände sind Vereinigungen von Organisationen oder Personen, die ein gemeinsames Anliegen mit solidarischen Anstrengungen verfolgen. Sie betätigen sich als Branchen-, Berufs- oder Arbeitnehmerverbände in der Wirtschaft, als Gesundheitsligen oder Sozialverbände, in Kultur, Religion und Sport, agieren als Parteien oder Bürgerinitiativen in der Politik, engagieren sich für Umwelt und Natur, oder sie nehmen sich international Anliegen der Entwicklungszusammenarbeit oder Menschenrechte an – um nur ein paar sichtbare Beispiele zu nennen. Verbände, die in einem mehrsprachigen Umfeld personell verankert sind, nehmen die Mehrsprachigkeit fast unvermeidlich in sich auf. Wenn sie gesellschaftlich mit Spannungen oder Konflikten behaftet ist, werden diese auch in der innerverbandlichen Kommunikation virulent. Das fordert die Verbandsführung sowohl in personeller, als auch struktureller Hinsicht.

Mit Sprachenkenntnissen zu mehr Akzeptanz?

Unter den Befragten der Verbandsstudie ordneten sich 69 Prozent als deutsch-, und 31 Prozent als französischsprachig ein. Die Teilnehmenden waren zu Beginn aufgefordert, auf 10-stufigen Skalen einzuschätzen, wie gut sie die jeweils andere Landessprache beherrschten: 44 Prozent ordneten sich mindestens auf Stufe 8, also als weitgehend «bilingue» ein, weitere 37 Prozent zwischen Stufe 5 und 8, und die übrigen 19 Prozent darunter.
Befragt danach, wie sie ihre Akzeptanz bei der jeweils anderen im Vergleich zur eigenen Sprachgruppe innerhalb der Organisation einschätzten, sahen 53 Prozent überhaupt keinen Unterschied, 25 Prozent geringe, aber 23 Prozent grössere Unterschiede, also Anzeichen für sprachbedingte Spannungen. Dabei zeigte sich auch: Wer sich wenig akzeptiert fühlt, beobachtet auch grundsätzliche Kooperationsprobleme im Verband, und wer keine Probleme über die Sprachgrenzen hinweg wahrnimmt, fühlt sich da auch persönlich akzeptiert. Unterschiede gab es nach Teilgruppen: Während die französischsprachigen Leitungskräfte kaum Akzeptanzprobleme bekundeten, fühlte sich die deutschsprachige Mehrheit häufiger einer kritischen Einstellung ausgesetzt. Die französischsprachigen Befragten schätzten ihre eigene Fremdsprachenkompetenz niedriger ein, betrachten sich aber dennoch in höherem Masse als akzeptiert. Die befragten Frauen in der Verbandsleitung schätzen ihre Fremdsprachenfähigkeiten ebenfalls höher ein als die Männer, fühlten sich aber trotzdem weniger durch die anderssprachigen Mitarbeitenden akzeptiert.

Ohne Dialekt weniger Konflikte

Um die Qualität der Zusammenarbeit zwischen deutsch- und französischen Mitarbeitenden im Verband zu erfassen, wurde ein Index aus neun Indikatoren gebildet. Demnach bekundete ein Drittel der Verbände einen durchwegs harmonischen Austausch, während auf der anderen Seite ein Fünftel der Verbände teilweise über erhebliche Spannungen zwischen den Sprachgruppen berichtete. Wie liessen sich nun Unterschiede in der wahrgenommenen Kooperationsqualität unterscheiden? Als bedeutsam erwiesen sich zwei Faktoren: Die Französischkenntnisse der deutschsprachigen Mitarbeitenden und das Vermeiden von Schweizerdeutsch bei Besprechungen in gemischten Gruppen. Kaum Unterschiede gab es zwischen grösseren und kleineren bzw. international und national tätigen Verbänden.
Eine besondere Bedeutung für den Umgang mit Mehrsprachigkeit schien der Ansiedelung der Verbandsgeschäftsstelle zuzukommen: Je weiter die Organisation auf deutscher Seite vom Röstigraben entfernt war, umso höher waren die Deutschkenntnisse der französischsprachigen Mitarbeitenden. Besonders niedrige Werte zeigten die Verbände in der Bundesstadt Bern. Möglicherweise wird dort in besonderem Masse in Anspruch genommen, die eigene Muttersprache verwenden zu dürfen. Deutschsprachige Mitarbeitende verzichteten auf ihren Dialekt in gemischten Teams umso eher, je weiter die Geschäftsstelle von der Sprachgrenze entfernt ist. Der Gebrauch des Schweizerdeutschen war in der zweisprachigen Stadt Biel/Bienne am wahrscheinlichsten. Die Sensibilisierung für mögliche Verständigungsprobleme war bei den Verbänden auf der Sprachgrenze und in Zürich am höchsten. In Biel wird dem offensichtlich besonders pragmatisch begegnet, während man sich am Zürichsee der Herausforderung klar bewusst ist, aber trotzdem Lösungsschwierigkeiten hat. Dazwischen sowie in der Genferseeregion schätzten die Befragten die Sensibilisierung als geringer an.

 

 

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Best Practice

Die Handlungsempfehlungen für das Management von mehrsprachigen Verbänden in der Schweiz leiten sich nicht nur aus den eben präsentierten Untersuchungsergebnissen ab, sondern sie speisen sich auch aus Erkenntnissen, die vorbereitend in mehreren Interviews mit Geschäftsführern gewonnen werden konnten und geben nicht zuletzt auch eigene Erfahrungen der Autorin und des Autors wieder:
• Streben Sie danach, Mehrsprachigkeit auf allen Hierarchiestufen zu verankern, aber vermeiden Sie artifizielle Quotenlösungen. Lassen Sie einen Sitz im Vorstand, der für die Romandie vorgesehen ist, lieber frei, als dass Sie ihn mit einer deutschsprachigen Person, die etwas Französisch gelernt hat, besetzen.
• Seien Sie sich bewusst, dass die Vertretenden der Minderheitssprache mehr Aufmerksamkeit verlangen. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein gesamtschweizerisches Projekt, in Zürich präsentiert, gleich auf einhellige Begeisterung auf französischsprachiger Seite treffen wird. Nehmen Sie sich Zeit zur Vorabdiskussion und reisen Sie zu diesem Zweck in die Romandie.
• Bilden Sie nach Möglichkeit mehrsprachige Teams und setzen Sie darauf, dass der dazu nötige Mehraufwand für die Problemerörterung sich in einer reibungsloseren Umsetzung der Lösungsideen niederschlagen wird.
• Vergessen Sie nicht, dass Sprachgebrauch und Macht miteinander verbunden sind: Sie können mit der Sprachwahl andere Personen ebenso einschliessen wie ausschliessen.
• Bevorzugen Sie in Zusammenkünften über Sprachgrenzen hinaus das Schriftdeutsche gegenüber dem Dialekt, wenn Sie nicht davon ausgehen können, dass das ebenso gut verstanden wird.
• Denken Sie aber auch an Ihr eigenes Wohlbefinden bei der Sprachwahl. Das ist auch im interkulturellen Austausch mit der eigenen Authentizität und Überzeugungskraft verbunden. Mühen Sie sich nicht auf Französisch ab, wenn Sie es zu wenig beherrschen – es sei denn, Sie tun es explizit zu Lernzwecken und der Kontext lädt dazu auch ein. Seien Sie insbesondere vorsichtig im Einsatz vermeintlicher «Bonmots» in einer unzureichend beherrschten Sprache.
• Für Deutschsprachige: Werden Sie Romand(e) und üben Sie sich in männlicher Gelassenheit; Dann machen Sie sich gleich weniger Sorgen um Verständigungsprobleme und die eigene Akzeptanz im Verband.
• Si vous êtes un Romand ou une Romande: Merci d’essayer de comprendre notre dialecte. Cela serait une excellente contribution de votre part pour mieux gérer les problèmes autour le Röstigraben – et nous vous aiderons volontiers à nous comprendre.
Einige Anregungen sind mit einem Augenzwinkern versehen, denn ein gedeihliches Miteinander zwischen der deutschsprachigen Schweiz und der Romandie erfordert sicher dreierlei: Sachlichkeit in den Entscheidungen sowie freundlichen Pragmatismus und eine Portion Humor im Vorgehen – und das gilt nicht nur für Verbände.

 

Unsere Experte Markus Gmür ist Professor für NPO-­Management und Direktor des Verbandsmanagement Instituts (VMI).
markus.gmuer@unifr.ch

Unsere Expertin Eva Thomi war lange Jahre Geschäfts­führerin der Schweizerischen Bibelgesellschaft mit Sitz in Biel und hat an der Universität Freiburg einen MBA in NPO-­Management absolviert.
eva@thomis.ch