Dossier

«L'état, c'est moi!»

Aufbrausend, eitel und schnell beleidigt. Donald Trump ist Fan von Donald Trump. Ist er ein Narzisst? Und was bedeutet seine Präsidentschaft für die USA?

Thomas Austenfeld, ist Donald Trump ein Narzisst?

Nun, ich bin kein Psychologe…

… und die Psychologen sagen, dass sie keine Ferndiagnosen stellen können. Aber als Amerikanist machen Sie sich natürlich Ihre Gedanken.

Da kommt man ja nicht drum herum. Was mir besonders auffällt, ist, dass er sich verhält, als wären er und sein Amt dasselbe. Und genau das ist das Problem: Er will – oder kann – die Interessen Amerikas nicht von seinen eigenen unterscheiden. Darum ging es ja auch in der Ukraine-Affäre. Er glaubt, dass alles, was gut für ihn wäre (nämlich, dem Joe Biden einen Skandal anzuhängen) automatisch auch gut für das Land wäre. Und das ist natürlich Unsinn. Trumps Gehabe erinnert mich an Louis XIV: «L’état c’est moi!». Wenn man sich nur schon anschaut, wie er auf Portraits seine Familie darstellt. Es gibt dieses berühmte Foto aus dem Trump Tower, wo er umgeben ist von Gold. Er sitzt auf einem thronartigen Stuhl, Melania steht daneben und erinnert eher an eine Schaufensterpuppe, als an einen Menschen – und der arme kleine Barron sitzt drei Meter weiter weg auf einem Plüschlöwen. Man hat weniger das Gefühl, eine Familie zu betrachten, als einem Theaterstück beizuwohnen.

Frau und Kinder als Schmuckstücke für den Patriarchen.

Als zweites kommt mir George Washington in den Sinn. Wegen des krassen Kontrasts. Kurz vor Ende des Unabhängigkeitskriegs schrieb ihm ein gewisser John Nicola, Offizier der US-Armee, einen Brief. Nicola sagte in etwa: «Wenn das hier alles vorbei ist, und wir unsere Unabhängigkeit erreicht haben, warum lassen Sie sich dann nicht einfach zum König krönen?» Washington war entsetzt! Es war ihm unbegreiflich, dass einer seiner Offiziere so denken konnte. «Wofür haben wir dann gekämpft?», fragte er. Das europäische Modell zu kopieren war für Washington die dümmstmögliche Idee. Und aus seinem Führungsverständnis leitete sich das amerikanische Ideal des «service for the greater good» ab. Seither ist kein Präsident auf den Gedanken gekommen, sich als etwas anderes zu sehen, denn als Diener des Volkes. Trump hingegen ist dieser Gedanke völlig fremd.

Möglicherweise kann man Trumps Egozentrik ja auch biographisch herleiten. Als Geschäftsmann war das wertvollste an seinem Business stets die Marke «Trump». Es ging nur um ihn.

In seinem Buch «The Art of the Deal» erzählt er ja auch stolz, wie viele Leute er übers Ohr gehauen und sie nicht bezahlt hat, weil er irgendeinen Pfusch entdeckt zu haben glaubte. In der Politik verhält er sich nicht anders: Greift ihn jemand an, ist seine einzige Verteidigung, noch härter zurückzuschlagen.

Das sieht man aktuell bei John Bolton, der ihn im Impeachment schwer belastet hat. Bolton war bisher auch für die meisten Rechten viel zu weit rechts …

…und heute soll er ein verkappter Linker sein. Teil einer «Verschwörung des Deep State». Das ist hanebüchen, aber was hat es zu bedeuten? Bedeutet es, dass die Leute, die Trump noch immer unterstützen, nun ebenfalls auf puren Egoismus setzen? Sagen die sich «wenn ich könnte, würde ich’s genauso machen»? Haben die Amerikaner die Idee des «greater good» aufgegeben?

Das ist es doch, was die Demokraten so schockiert: Es war stets Teil des amerikanischen Selbstverständnisses, dass man mit Autokraten nichts am Hut hat. Und da haben wir’s jetzt.

Da haben wir’s. 1935 hat Sinclair Lewis «It can’t happen here» geschrieben. Und im ganzen Roman geschieht es unter den Augen der Protagonisten eben doch. Die Amerikaner hatten immer das Gefühl, dass sie gegen Despoten immun sind – und nun stellt sich heraus, es könnte auch anders sein.

Die US-Verfassung sieht als Mittel gegen Autokraten ja die Amtsenthebung durch den Kongress vor. Aber diesen Kampf hat Trump Anfang Februar gewonnen.

Es ist zu befürchten, dass er nun auch noch die letzten Hemmungen verliert.

Wo bitte hat er denn noch Hemmungen?

Er hat noch keinen Krieg angefangen. Und er hat noch keine wichtigen Alliierten nachhaltig verprellt. Aber was, wenn er beispielsweise alle Truppen aus dem Baltikum abzieht? Oder aus Südkorea? Dann haben wir Verwerfungen einer ganz neuen Magnitude. Aber auch Syrien oder Libyen, das torkelt ja alles so vor sich hin. Alles ist immer kurz vor der Katastrophe. Und er scheint kein Interesse zu haben, die Lage wirklich zu beruhigen.

Im Gegenteil: auch in der Aussenpolitik liebt er es, kurzfristig Aufregung zu verursachen. Langfristige Ziele sind nicht erkennbar.

Noch funktioniert der grösste Teil der Administration, aber mit jedem «Erwachsenen», der geht, wird’s prekärer. Mattis ist weg, Tillerson ist weg, McMaster ist weg, Kelly ist weg, sogar John Bolton ist weg! Man kann nur noch drauf hoffen, dass die unteren Chargen die Befehle nicht ausführen und Trump am nächsten Tag schon wieder vergessen hat, was er wollte. Aber verlassen kann man sich darauf natürlich nicht.

Das Naturell des Präsidenten hat die politische Kultur völlig verändert. Aber ist das denn alles so komplett neu? Oder gab es früher schon ähnliche Figuren?

Nein. Es gab zwar Präsidenten, die Konventionen über den Haufen geworfen haben, aber keiner ging so weit wie Trump. Am ehesten kann man ihn noch mit Andrew Jackson vergleichen, Präsident in den 1830ern (Trump lässt sich übrigens gern unter Jacksons Portrait fotografieren). Jackson ist auch als «Indian Killer» bekannt. Er hat die Vertreibung der Cherokee, der Seminole und anderer Stämme aus dem Südosten veranlasst. Den Marsch nach Oklahoma haben viele von ihnen nicht überlebt – was durchaus gewollt war. Der Philosoph Ralph Waldo Emerson hat an den Präsidenten appelliert und geschrieben, dass man so die amerikanische Wesensart aufgibt. Genutzt hat es nicht. Die Vertreibung hat trotzdem stattgefunden. Aber Jackson war, obwohl Populist, immerhin im Militär und in der Politik herangewachsen.

Bei der Geschichte denkt man automatisch an die Einwanderer aus Südamerika, die in Käfige gesteckt wurden. Die Behörden haben die Familien aufgetrennt und jetzt gibt es hunderte Kinder, die man nicht mehr zu ihren Eltern zurückbringen kann, weil man keine Ahnung hat, zu wem sie gehören – weil es den Verantwortlichen offenbar komplett egal ist.

Das, was im deutschen Grundgesetz ganz am Anfang mit «Menschenwürde» umschrieben wird, geht im amerikanischen System momentan verloren.

 

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Machen wir doch nochmal einen Schritt zurück. Ist Donald Trump denn nicht irgendwie auch der logische Präsident unserer Zeit? Wir inszenieren uns ja alle in den sozialen Medien – ist es da nicht einfach folgerichtig, dass der grösste Selbstdarsteller überhaupt Präsident wird? Anders gefragt: Haben wir diesen Trump nicht auch ein bisschen verdient?

Also wir sicher nicht! Aber die, die ihn gewählt haben, ja, die haben ihn verdient.
Aber Sie schneiden die Sozialen Medien an und die sind durchaus relevant. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass sich jemandem, der ein neues Medium beherrscht, Möglichkeiten eröffnen, die er sonst nicht hätte. Franklin D. Rosevelt war der King of Radio – er hat die Radioansprache quasi erfunden und hatte mit seinen wöchentlichen «Fireside Chats» einen direkten Draht zu den Leuten.
Kennedy wiederum war der Star des TV-Zeitalters. Er beherrschte das Fernsehen auf eine Weise, die ihm Nixon nicht nachmachen konnte. Und nun gibt es Trump, der Twitter beherrscht wie kein Zweiter. Ein Medium, bei dem oft nur mit Hauptsätzen kommuniziert wird und wo man seine plakativen Aussagen nie beweisen muss. Und Trump hält die Leute auf Trab: Je mehr er twittert, desto mehr muss man dagegen twittern.

Wobei wohl nur ein Bruchteil von Trumps Wählerschaft auf Twitter ist. Das Netzwerk hat 300 Millionen Nutzer_innen weltweit. Rund einen Zehntel der User von Facebook. Aber Trump diktiert per Twitter die Themen für TV und Radio. Diese können sich seinen Aufregern nicht entziehen.

Womit wir wieder eine Brücke zum Narzissmus schlagen können. Beziehungsweise zur griechischen Mythologie. Denn zur Geschichte von Narziss gehört ja nicht nur dieser eitle Jüngling, es gehört auch die unglückliche Nymphe Echo dazu, die immer nur wiederholen kann, was der andere sagt.

Die Medien in der Rolle der Echo – ein schönes Bild!

Obendrein werden die Medien von Trump genauso verschmäht, wie Echo vom eitlen Narziss. Wichtig ist aber auch, wie der Mythos ausgeht: Narziss kommt an einen See und ist von seinem Spiegelbild so angetan, dass er es umarmen will – und ertrinkt. Und ich bin mir relativ sicher, dass mit Trump irgendwann dasselbe passiert. Die Frage ist bloss: Stürzt er dann allein? Nimmt er seine Partei mit? Oder gar das Land?

Es gibt ja bereits jetzt Stimmen, die spekulieren, was bei einer Abwahl Trumps geschehen würde. Gibt’s dann Leute, die ihre Waffen hervorholen und sagen «wir wollen ihn aber nochmals»?

Ich glaube nicht, dass es dazu kommen würde. Es gab schon bei Nixons Abdankung Befürchtungen in diese Richtung. Es gab sogar Vorbereitungen für ein Einschreiten des Militärs. Und doch ist nichts passiert. Aber ich muss gestehen: Ich weiss es nicht.

Sicher ist, dass Trump das Land spaltet, wie kein anderer. Hier seine Gegner, dort sein Unterstützer.

Alles dreht sich um ihn. Für einen Narzissten ein Idealzustand.

Aber ist ein gewisses Mass an Narzissmus denn bei Politikern nicht auch einfach normal?

Natürlich. Für den Job braucht es zumindest ein gesundes Selbstbewusstsein. Dass dieses nicht in Narzissmus umkippt, verhindern bei den meisten die Erziehung, das Studium, die Familie, Philosophie, Werte, Religion oder auch der Schwur auf die Verfassung. Aber wenn Trump über die Verfassung spricht, wird immer wieder klar, dass er nicht verstanden hat, was dort drinsteht.
Er zitiert gern Artikel 2, aber der gibt ihm eben nicht das Recht, zu tun und zu lassen, was ihm gerade einfällt. Und der Artikel über die Rechte und Pflichten des Präsidenten ist nicht zufällig nur der zweite, da haben sich die Gründerväter schon etwas dabei gedacht! Artikel 1 behandelt den Kongress und dieser geniesst Vorrang gegenüber dem Präsidenten. Trump hat auf die Verfassung geschworen, aber verstanden hat er sie wohl nicht.

Bezeichnenderweise sind von Trumps Vereidigung ja auch nur zwei Dinge im Gedächtnis geblieben: «America First» und die Frage, ob mehr Leute da waren, als bei Obama. Was letztlich ein nichtiges Gezänk um die Penisgrösse war.

Es ist schon ein absoluter Wahnsinn. Wenn ich es vermeiden könnte, mich mit solchen Themen beschäftigen zu müssen, würde ich’s tun. Aber offensichtlich gibt es viele Republikaner, die keine andere Möglichkeit sehen, als ihr Heil an Trumps Rockschössen zu suchen.

Das ist ja das Unverständliche: Mitch McConnell und die anderen republikanischen Senatoren, das sind ja keine dummen Leute.

Nein, die sind nicht blöd. Aber die fürchten sich vor ihren Wählern. Was bedeuten muss, dass sie ihre Wähler verachten. Sonst würden sie sie ernst nehmen. Es ist eigentlich tragisch. Ich habe allerdings grössten Respekt für Mitt Romney, der sich im Impeachment aus Gewissensgründen gegen seine Partei gestellt hat.

Was denken Sie denn, wie es nun weitergeht? Was erwartet uns bei den Wahlen im nächsten Herbst?

Oh, ich mache keine Prognosen mehr! Lieber erkläre ich dann nach der Wahl, warum’s herausgekommen ist, wie’s herausgekommen ist. Persönlich bin ich ein Fan von Amy Klobuchar. Sie wäre für sehr viele Leute wählbar, für die Hillary Clinton nicht wählbar war. Im Abgeordnetenhaus erwarte ich eine weitere Verschiebung zugunsten der Demokraten. Und schon jetzt kann man sehen, dass es bei den Republikanern intern heftige Vorausscheidungen gibt.

Und was, wenn Trump gewinnt?

Dann ist spätesten 2024 Schluss. Das ist per Verfassungszusatz geregelt und die Staaten werden Trump danach nicht mehr antreten lassen. Es wird eine Zeit nach Trump kommen. Und ich vermute, dass es dann wieder einen radikalen Wechsel geben wird. Ich bin gespannt, in welche Richtung es dann geht. Und ob sich die republikanische Partei jemals von diesem Tiefschlag erholt.

 

Unser Experte Thomas Aus­tenfeld ist seit 2006 Professor für amerikanische Literatur an der Universität Freiburg. Er lehrte zuvor 20 Jahre an Colleges und Universitäten in Virginia, Missouri, Utah und Georgia. Seine literarischen und kulturellen Interessen beziehen sich besonders auf den amerikanischen Süden, den Westen, die amerikanische Lyrik und die Frauen des Modernismus.

thomas.austenfeld@unifr.ch