Dossier

Was will ein Faktenverweigerer?

Ein guter Wissenschaftler sein – oder natürlich eine gute Wissenschaftlerin.

Faktenverweigerer gehören zu unserer Universität. Mit der Muttermilch, im Proseminar, saugen wir die Einsicht auf, dass wir Fakten nur durch Interpretation haben. Wer stattdessen behauptet, «die» Fakten, die «reinen» Fakten, gar «das Ding an sich» zu kennen, hat schon verloren. Diese Kritik – d.h. wörtlich: dieses Prüfen – von Fakten gehört zur Grundausstattung wissenschaftlicher Redlichkeit. Wer «Fakten» verweigert, lebt an der Universität mithin in guter Gesellschaft.

Aber nein, so meine ich beim Schreiben zu hören, so war das nicht gemeint. Faktenverweigerer seien doch Menschen, die wider besseres Wissen behaupten, dass das Falsche richtig sei. Man denkt seit dem 22. Januar 2017 an die Schöpferin der «alternative facts», an Kellyanne Conways, Donald Trumps Beraterin. Sie hatte bei der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten auf den Strassen Washingtons Menschen gesehen, die weder die Polizei noch die Medien noch die Hubschrauber zu Gesicht bekommen hatten. Frau Conways wurde zum Prototyp der Faktenverweigererinnen.

Also, was wollen derartige Menschen? Hier gibt es, biologisch gesehen, zwei Spezies. Erste Gruppe: Sie wissen, was sie tun. Dann aber sollten wir ihnen nicht den Titel «Faktenverweigerer» zuerkennen, das könnte jemand als zivilgesellschaftlichen Widerstand missverstehen. Seit Menschengedenken haben wir für jemanden, der wissentlich falschredet, einen Begriff mit klarer Kante: Lügner. Und dazu zählt vermutlich Kellyanne Conways. Die zweite Gruppe ist komplexer. Es gibt Menschen, die dem, was andere für Fakten halten, aus subjektiv guten Gründen die Anerkennung verweigern. Etwa, weil sie im Meer der Informationen den Kompass verloren haben. Oder, weil ihr Misstrauen überhandgenommen hat: Skepsis gegenüber «der Presse», gegenüber «der Politik» oder gegenüber uns, «der Wissenschaft». Dieser Argwohn ist nicht aus der Luft gegriffen. Hatten nicht die Mitglieder des Club of Rome 1972 mit der Autorität der Wissenschaft prognostiziert, dass 20 Jahre später, das war 1992, der letzte Tropfen Öl aus der Erde gepresst sein würde? (Inzwischen haben wir die doppelte Menge des damaligen «Restes» gefördert.) Gab es nicht gute Gründe für die Annahme, mit dem Internet würde das Zeitalter der grossen Transparenz anbrechen? (stattdessen: Cambridge Analytics. Wer glaubt, dies sei schon das Ende, ist therapiebedürftig.)

 

 

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Vermutlich sind unser Problem nicht die flagranten Lügner, denn sie gehören zu unserer conditio humana. Die Menschheit lebt mit Ihnen, wie gesagt, seit Menschengedenken. Hingegen sind die desorientierten und skeptischen Faktenverweigerer, jene, die nicht sehenden Auges lügen, ein Problem anderen Kalibers. Sie sind auch das Ergebnis einer Gesellschaft, in der die Fähigkeit, mit Informationen umzugehen, mit der Masse der Informationen nicht Schritt hält. Ich schlage nochmals an die eigene Brust, denn wir WissenschaftlerInnen sind daran nicht unschuldig. Ein Beispiel: Ein Unternehmen fordert von der Wissenschaft Expertisen, bei denen es leidlich egal ist, ob sie den Interessen dieser Firma entgegenlaufen oder nicht. Es müssen nur viele sein. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass fünf Wissenschaftler drei Meinungen vertreten. Die schlichte Fülle von Deutungsoptionen sorgt dann schon dafür, dass die Position unserer Firma zumindest fürs erste stabilisiert ist. Orientierung ist damit nicht einfacher geworden. Paralyse durch Analyse nennt man das im Fachjargon.

Was tun? – Auch wenn mir diese Frage nicht gestellt wurde, versuche ich mich an einer Antwort. Wir, in der Universität, wir müssen etwas Antagonistisches tun: Wir müssen weiter forschen, wir müssen klarmachen, dass die Wirklichkeit immer komplizierter ist, als wir denken. Wir sind die Welt der Komplexitätssteigerung, nicht diejenige der Komplexitätsreduktion. Und damit werden wir die Unsicherheit über die Bewertung von Fakten vergrössern. Wir werden mit anderen Worten den Faktenverweigerern noch mehr Argumente für die Verweigerung liefern. Aber, und das ist die andere Seite: An vielen Stellen können und müssen wir auch sagen, dass wir einen Konsens wissenschaftlicher Meinungsbildung haben, der auf soliden Argumenten ruht. Ein Konsens, der in harten Auseinandersetzungen geprüft und analysiert wurde. Dessen Argumente für jedermann nachvollziehbar sind. Und selbst wenn wir klarmachen, dass wissenschaftliche Erkenntnis Wissen auf Zeit ist, und nicht vertuschen, dass es in der Wissenschaft immer abweichende Meinungen geben wird, dürfen wir sagen: Wer den Konsens über ein solches «Faktum» verweigert, ist in der Begründungspflicht. Aber ich weiss: Was in der scientific community meist funktioniert, lässt sich nicht immer leicht in der ausseruniversitären Öffentlichkeit vermitteln.

 

Frage Daniel Wegmann, Professor für Biologie
daniel.wegmann@unifr.ch

Experte Helmut Zander ist Professor für vergleichende Religionsgeschichte und interreligiösen Dialog. Aktuelle Forschungsfragen: Wie könnte man eine religiöse Weltgeschichte schreiben? Warum entwickeln religiöse Kulturen stabile Unterschiede? Welchen Preis zahlen wir für das Interesse an Geschichte? (Und immer noch ein wenig: Anthroposophie)
helmut.zander@unifr.ch