Forschung & Lehre

Starkes Erdbeben möglich

Die Stadt Freiburg ist vor starken Erdbeben nicht gefeit. Zu diesem Schluss kommt Naomi Vouillamoz in ihrer Dissertation. Ihre Arbeit trägt zur Kenntnis der Geologie im Raum Freiburg bei und leistet auch einen methodischen Beitrag. Die Geologin erhielt deshalb den Umwelt­forschungspreis der Universität.

Am Sonntagmorgen des 14. Februars 1999 schreckte ein Erdbeben die Bevölkerung der Stadt Freiburg und Umgebung aus dem Schlaf. Innerhalb von Sekunden gingen die Lichter in den Häusern an. Das Radio meldete wenig später ein Beben der Stärke 4.3 auf der Richterskala mit Epizentrum bei Marly.

 

Es war dies nach 1987 und 1995 das dritte kräftige Beben im Raum Freiburg. Der Schweizerische Erdbebendienst (SED) der ETHZ führte die Ereignisse auf eine zwanzig Kilometer lange, N-S verlaufende, oberflächliche Störzone zurück. Die Ursache des Bebens jedoch vermuteten die Seismologen in Verschiebungen im granitischen Erdsockel in mehr als sechs Kilometern Tiefe. Sie gingen sogar von einer Verbindung der Störzone mit dem seismisch hochaktiven Rheingraben aus. Und weil Bruchflächen im Sockel sehr gross sein können, warnten sie vor starken Beben mit einer Stärke 6 auf der Richterskala. Was dann? Der Reaktor des AKWs Mühleberg steht bekanntlich knappe 20 Kilometer vom Turm der Freiburger Kathedrale entfernt. Die Hypothese des SED warf die Frage nach einem möglichen nuklearen Zwischenfall auf.

 

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Störzone und Störfall?

Wie gross ist das Erdbebenrisiko tatsächlich? Diese Frage stellten sich die BKW als Eigentümerin des AKWs Mühleberg und die RESUN AG, eine Gesellschaft, die vor rund zehn Jahren den Ersatz des alten Reaktors vor Ort plante.

 

Mit ihrer Doktorarbeit «Microseismic characterization of Fribourg area (Switzerland) by Nanoseismic Monitoring» ging Naomi Vouillamoz vom Institut für Erdwissenschaften der Gefahr eines grossen Erdbebens im Raum Freiburg nach. Dazu untersuchte sie die mit einer Zehnerpotenz häufigeren, schwachen Ereignisse von einer Stärke < 2 auf der Richterskala, die erst seit kurzem dank des Nanoseismic Monitorings gemessen werden können. Bei dieser Methode werden seismische Spektrogramme mit Hilfe eines dynamischen Lärmfilters in Sonogramme umgewandelt.

 

Die Messungen führte Vouillamoz zwischen 2009 und 2013 durch. Während der SED in dieser Periode 34 Beben registrierte, konnte Vouillamoz 300 schwache Beben feststellen. «Diese grosse Menge an Daten erlaubte eine viel genauere raumzeitliche Bestimmung der Erdbebenereignisse», sagt Vouillamoz.

 

Doch Magitude 6

Ein erstes Ergebnis war durchaus beruhigend: Die Störzone erwies sich als eine Reihe von lokal begrenzten Brüchen, die nicht mit dem granitischen Erdsockel verbunden sind. Die vom SED vermutete Verbindung mit dem Rheingraben konnte somit ausgeschlossen werden. Prof. Jon Mosar wandte sich mit diesem Resultat im Jahr 2011 an die Öffentlichkeit und beteuerte, dass die Erdbebenstärke im Raum Freiburg jene vom Februar 1999 kaum je übersteigen werde. Auch seine Aussage sollte sich als Hypothese erweisen. Denn Vouillamoz ging mit ihrer Dissertation noch einen Schritt weiter. Sie verglich die Seismogramme der oberflächlichen Beben und stellte fest, dass diese sehr ähnlich aussahen. Jene, die zu mehr als 90 Prozent übereinstimmten, ordnete sie «Familien» zu und erkannte nun, dass diese einer seismisch aktiven, zehn bis 15 Kilometer langen Störzone angehören, die N-S ausgerichtet ist und die sich im Osten der Stadt Freiburg befindet.

 

«Diese Brüche innerhalb dieser Störungszone und die Beben, die sich hier ereignen», sagt Vouillamoz, «können sich miteinander verbinden.» Und dies kann, so die Geologin, zu ebenso starken Erdbeben führen, wie jene im Sockel. «Ein Erdbeben der Magnitude 5 und mehr ist deshalb im Raum Freiburg nicht ausgeschlossen; auch ein Beben mit der Magnitude 6 auf der Richterskala ist durchaus möglich», kommt Naomi Vouillamoz in ihrer Dissertation zum Schluss.

 

Wissenschaftliche Bruchsteine Vouillamoz lieferte damit auch die Erklärung für das Erdbeben vom 15. Juli 1996 in Annecy. Damals hatte ein oberflächliches Beben eine Magnitude von 5.3 erreicht. Freiburg, so Vouillamoz, weise eine ganz ähnliche tektonische und geodynamische Situation auf wie Annecy, weshalb die Gefahr eines grösseren Erdbebens in Freiburg nicht ausgeschlossen sei. Mit ihrer Arbeit hat sich Vouillamoz somit gleich dreifach wissenschaftlich verdient gemacht: Einerseits kennt man nun den geologischen Aufbau der Zone um Freiburg besser. Andererseits ist die Erkenntnis, dass grosse Erdbeben nicht zwingend vom Sockel ausgehen, von grosser Bedeutung. Und nicht zuletzt hat sie mit einer ersten systematischen Anwendung der Sonogramme einen wichtigen methodischen Beitrag geliefert. Die Universität zeichnete deshalb ihre Arbeit am Dies academicus 2016 mit dem Umweltpreis aus.

 

Zur Zeit ist Vouillamoz an der Universität Stuttgart tätig und wendet die Methode des Nanoseismic Monitoring auf oberflächliche Hangrutschungen an.

 

Der Umweltforschungspreis der Universität Freiburg zeichnet herausragende wissenschaftliche Arbeiten über relevante Umweltthemen aus. Er bewertet die wissenschaftliche Qualität, den Innovationsgrad und die Relevanz für die Praxis, insbesondere zur Lösung von Umweltproblemen.